Vier gewinnt – Tages

«Polo ist ein Lebensstil», sagte einmal Adolfo Cambiaso, so etwas wie der Maradona des Polosports. Dieser Lebensstil hat in St. Moritz, der kleinen Stadt mit dem kalten Charme von zur Schau gestelltem Geld, verschiedene Facetten. Hier treffen sich die Schönen und die Reichen, um über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens nachzudenken. Hier kommen aber auch Tausende Schau­lustige zusammen, um diesem ausser­gewöhnlichen Sport zu frönen.

Auf dem gefrorenen See ist es kalt, der Maloja-Wind bläst durchs Tal, Reiter jagen auf ihren Tieren einem roten Ball hinterher. O ja, das Polowochenende steht ganz im Zeichen der Tiere: 95 Ponys wurden mit Schiffen, Fliegern und Lastwagen ins Engadin gekarrt; hinzu kommt eine Unzahl an Ozelots und Füchsen, Waschbären und Nerzen – inzwischen sehr tot und zu Pelzen veredelt.

Doch es wäre ein Leichtes, sich über diese eine Facette auszulassen: Klar, hier, im Kreise gut situierter Menschen, fällt auf, wer nicht dazugehört. Die Speisekarte im VIP-Zelt kokettiert mit Roastbeef und edlen Tropfen, fürs Volk gibt es draussen Bratwurst und Gerstensaft. Doch Polo bietet mehr, es ist die Königsklasse des Reitsports, sagen zumindest die Polospieler.

«Wilde, schwarze Teufel»

Das Spiel: vier gegen vier. Hoch zu Ross. Die Reiter schwingen einen 1,5 Meter langen Schläger, um einen 130 Gramm schweren Ball zu treffen und ins 7,2 Meter breite Tor zu knallen. Golf zu Pferde mit 50 Stundenkilometern und der ­Regel, dass die Pferde Ponys sind. Die Polospieler reiten sie einhändig, ein Reissen am Zügel, und die Pferdchen explodieren. Die Polospieler haben keine Hemmungen, sie wie Sportgeräte einzusetzen. Pony an Pony jagen sie dem Ball hinterher, die Pferde touchieren sich, der Reiter kracht zu Boden – Polo ist eine Kontaktsportart.


Sehen und gesehen werden ist in St. Moritz mindestens so wichtig wie der Sport: Weibliche Fans im Pelz.
Foto: Keystone

Sie komme jedes Jahr hierher, sagt eine Frau aus dem Unterland, ihr gefallen vor allem die Argentinier, das seien «wilde, schwarze Teufel». Die gute Frau meint die Reiter, nicht die Pferde. Tatsächlich gelten die Argentinier als die besten Polospieler der Welt. Und sie sind es auch in St. Moritz. Sie haben in den letzten Jahrzehnten aus dem Hobby vermögender Rösseler einen Spitzensport gemacht. Eine Professionalisierung setzte in Argentinien ein, die sich bis in die Pferdezucht durchschlug: In argentinischen Ponykliniken werden trächtigen Spitzentieren Embryonen entnommen und anderen ­Stuten eingepflanzt. Die leibliche Mutter kann weiterspielen und sorgt gleichzeitig indirekt für Nachschub. Leihmuttergeschäfte gibt es auch in der Tierwelt.

Profis und Amateure

Die Argentinier, die hier spielen, sind Profis. Sie werden von den Patrons, den Teamcaptains, mit dem nötigen Kleingeld engagiert. So spielen in St. Moritz auch Schweizer. Tutti Wolfensberger holte zusammen mit Cédric Schweri – ­einem Cousin von Philippe Gaydoul und keine Reitkanone – die beiden Argentinier Pepe Riglos und Piki Alberdi ins Team. «Das Spielen auf Schnee ist schwieriger als auf Rasen», sagt Alberdi. «Der Ball verspringt oft wegen des unebenen Schneebodens.» Und auch das Reiten sei anspruchsvoller. Trotzdem oder gerade deswegen lohnt es sich, den beiden Argentiniern genauer zuzuschauen. Im Höchsttempo preschen sie über den See, hauen den Ball mal backhand, mal aus vollem Lauf, mal durch die Beine ihres eigenen Pferdes. Und die Schweizer? Sie sind langsamer, sie schlagen öfters über den Ball – nur schon die behäbige Art, ihr Pferd zu besteigen, entlarvt sie als Amateure. Es ist, als ob Christian Constantin und Walter Stierli zusammen mit Messi und Cristiano Ronaldo Fussball spielen würden. Alleweil unterhaltsam.


Wie auf dem Spielfeld gibt es auch im Publikum Zwei- und Vierbeiner: Hund Gustavo im Winterdress.
Foto: Keystone

Ponyzelt. Der Mist dampft, so das Pony. Es schwitzt und ist tropfnass. Das rasche Beschleunigen und Abbremsen schlaucht die Pferde. Beinahe alle sind rasiert, «damit sie schneller trocknen», sagt der Stallbursche, der sogenannte Groom. Er ist wie viele seiner Kollegen aus Argentinien eingeflogen worden.

Eine Tasse Mate-Tee

Zum Schutz der Tiere, so schreibt es das Reglement vor, müssen die Reiter ihre Ponys nach jedem der vier Spielabschnitte wechseln. Das führt dazu, dass jeder Polospieler mindestens vier Pferde dabei hat. Einige mieten sie, andere bringen ihre eigenen mit. Um sich an die Höhenlage zu akklimatisieren, sind die Ponys bereits seit einer Woche im 1856 Meter über Meer gelegenen St. Moritz. Die Grooms kümmern sich seither um die Tiere. Sie reiten sie ein, füttern sie, wärmen sie, pflegen sie. Und sie bringen den Stars nach dem Spiel eine Tasse Mate-Tee. Vielleicht kommt dies dem von Adolfo Cambiaso besagten ­Lebensstil etwas näher. (Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 01.02.2015, 21:41 Uhr)

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