Venezuela auf dem Weg in eine Schuldenkrise – FAZ

Venezuela steuert geradewegs auf eine Schuldenkrise zu. Das südamerikanische Land, das 96 Prozent seiner Ausfuhrerlöse und die Hälfte der Staatseinnahmen aus dem Erdölexport erzielt, wird vom anhaltenden Verfall der Ölpreise besonders hart getroffen. Allein 2015 sind Venezuelas Exporterlöse um 68 Prozent eingebrochen, 2016 könnten sie um ein weiteres Drittel absacken. Die Preise für das besonders schwere und minderwertige Erdöl Venezuelas sanken dieser Tage auf 22 Dollar je Fass.

Damit liegen sie kaum noch über den Produktionskosten, die Fachleute auf etwa 20 Dollar je Fass schätzen. Bei den gegenwärtigen Ölpreisen müsste Venezuela mehr als 90 Prozent seiner Exporterlöse für den Schuldendienst aufwenden, kalkuliert die Bank Barclays. Für die Einfuhr von lebenswichtigen Arznei- und Nahrungsmitteln, die Venezuela selbst nicht herstellt, bliebe dann kaum noch etwas übrig. Selbst wenn sich die Ölpreise erholen und bei einem Durchschnittspreis von 37 Dollar für 2016 einpendeln sollten, werde ein Zahlungsausfall im weiteren Jahresverlauf immer schwerer zu vermeiden sein, warnt Barclays-Analyst Alejandro Arreaza.

Partiell zahlungsunfähig

Der Markt urteilt ähnlich. Die Preise von Kreditausfallversicherungen (CDS) für venezolanische Anleihen signalisieren eine Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent, dass es innerhalb eines Jahres zu Zahlungsausfällen kommt. Venezolanische Dollaranleihen werden nur noch zu einem Drittel ihres Nennwerts gehandelt. Allein seit Jahresanfang sind die Kurse um 15 bis 20 Prozent gefallen. Billig sind die Papiere damit immer noch nicht. Nach Schätzung der Deutschen Bank könnten die Preise auf 25 Prozent des Nennwerts weiter absinken. Gemäß Berechnungen der Bank of America Merrill Lynch sind möglicherweise sogar nur noch 20 Prozent Restwert zu erwarten, wenn die Ölpreise, wie von etlichen Analysten erwartet, auf 20 Dollar je Fass fallen sollten.

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Doch damit nicht genug. Die langfristigen rechtlichen Folgen der drohenden Zahlungsausfälle könnten für Venezuela ähnlich gravierend sein wie im Falle Argentiniens, das 15 Jahre nach seinem Staatsbankrott von 2001 den Zugang zum internationalen Kapitalmarkt immer noch nicht zurückerlangt hat. Denn wie seinerzeit in Argentinien sehen die Ausgabebedingungen von vielen Anleihen Venezuelas und insbesondere des staatlichen Ölkonzerns PDVSA keine Klauseln vor, mit denen eine Mehrheit der Gläubiger Änderungen der Zahlungsbedingungen beschließen könnte, die für alle Gläubiger bindend wären (Collective Action Clauses, CAC). Wie im Falle Argentiniens könnte eine Minderheit rebellischer Gläubiger mithin eine allfällige Umschuldung blockieren, das Land und PDVSA auf volle Erfüllung ihrer Verpflichtungen verklagen und kompromissbereite Gläubiger gegebenenfalls mit in die Pflicht nehmen.

Nach der argentinischen Staatspleite hatten Hedgefonds notleidende Anleihen zu einem Bruchteil des Nennwerts aufgekauft, alle Umschuldungsangebote Argentiniens abgelehnt und das Land vor ausländischen Gerichten mit Erfolg auf die volle Zahlung von Kapital und Zinsen verklagt. Die sogenannten Holdouts konnten vor einem amerikanischen Gericht erzwingen, dass Argentinien auch jene Gläubiger nicht mehr bedienen darf, die bei den Umschuldungen hohe Abschläge akzeptiert hatten. Unter Berufung auf die Gleichbehandlungsklausel (pari passu) entschied das Gericht, dass die Gläubiger von umgeschuldeten Papieren nur dann bedient werden dürfen, wenn gleichzeitig die in Argentinien als „Geier“ beschimpften Hedgefonds ausgezahlt werden. Argentinien gilt darum weiterhin als partiell zahlungsunfähig.

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