Mineralwasser Karbens vergessene Quelle für die Welt

Karben. 

Hinterm Haus saust leise ein Regionalzug vorbei. Nicht weit weg brummen die Motoren von Autos, die krftig Gas geben mssen beim Anfahren, wenn sie aus der Stadt hinaus hoch zur Bundesstrae B 3 ber die Bahnbrcke fahren mssen. Kaum ein Ort in Karben liegt so zentral wie dieser. Dennoch ist er den meisten Karbenern unbekannt: der Taunusbrunnen.

Zwischen Main-Weser-Bahn und Brunnenstrae, zwischen Bahnhof und Selzerbrunnen liegt das Areal. Fnf Jahrzehnte Dornrschenschlaf haben der Natur die Mglichkeiten gegeben, alles vor den Blicken von Passanten zu schtzen. Selbst die Zufahrt ist unscheinbar versteckt.

Am Tor steht Bruno Kling (58). Er und sein Bruder Norbert kennen das Gelnde aus dem Effeff. „Wir haben hier als Buben Cowboy und Indianer gespielt“, erklrt er.

Vater Otto betrieb im benachbarten Kloppenheim damals den Edeka, bezog sein Wasser selbst von hier. Die Jungen machten spter Karriere an der Brse und in der Industrie. Inzwischen sind sie in der Immobilienbranche gro im Geschft. Ihr Steckenpferd: Historische Huser sanieren. So griffen sie vor drei Jahren zu, als die Stadt den Taunusbrunnen verkaufen wollte.

Sie hatten ihn nur kurz in Besitz: Die weit verstreuten Erben der letzten Besitzerfamilie Krug wollten ihre Grundstcke nur en bloc verkaufen. Weil ein Filetstck im Stadtzentrum – Teil des Dreiecksgrundstcks vor dem Selzerbrunnencenter – dazu gehrte, griff Erster Stadtrat Otmar Stein (CDU) zu einem gnstigen Preis zu.

Die Gebrder Kling wiederum kauften danach der Stadt den Taunusbrunnen ab. Dort aber ist nichts in einem guten Zustand. Seit 1964 verfllt und verwildert alles. Die alten Hallen nutzt Einzelhandelsriese Rewe als Lager.

 

Raketen-Znder fr die V2

 

„Das ist kein Renditebringer“, sagt Bruno Kling und schaut am Brunnenhaus hinauf. Viele Fensterscheiben sind eingeschlagen. Doch der Charme stolzer Tage blitzt hervor. Das dreistckige Gebude ist verkleidet mit verziertem Holz wie ein Chalet in den Alpen. „Schweizer Stil“, erlutert Kling. „Das war damals der letzte Schrei“, als das Haus 1874 gebaut wurde.

Stefan Kunz


Als vier Brunnen sprudelten

Als Quellen- und Brunnenstadt brsten sich heute andere. Doch vor gut einem Jahrhundert sprudelten neben Friedberg, Bad Nauheim und Rosbach auch in Karben die Mineralwasserbrunnen.

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Eine groe Fensterfront im Hochparterre bot den Beschftigten bei der Arbeit viel Tageslicht. Im Stockwerk darber wohnten die Brunnenbesitzer, im ausgebauten Dachgeschoss einige Angestellte.

Mit lautem Knarzen reagiert die groe Pforte, als Bruno Kling sie ffnet. Eine Kerze, die dort steht, entzndet er, trgt sie die Stufen hinunter. „Wegen des Kohlensuregases“, erklrt er. „Damit wir wissen, wann kein Sauerstoff mehr da ist.“

40 Stufen fhren zum Brunnen hinunter. Gerade wegen seiner feinen Gasblschen war das Wasser des Taunusbrunnens so geschtzt. „Angenehm suerlich, prickelnd, ganz schwach eisenartig“, befand Professor Remigius Fresenius bei seiner Untersuchung im Jahr 1873.

Neben der Treppe fhren die verrosteten Laufschienen des alten Lastenaufzugs hinunter. Es ffnet sich der Blick in eine wahre Kathedrale des Mineralwassers und lsst den Betrachter staunen. 16 Meter lang ist sie, achteinhalb Meter breit, sieben Meter hoch. Durch die Oberlichter eines halbrunden, glsernen berbaus fllt fahles Tageslicht herein.

Der hlzerne Brunnentempel, gut drei Meter hoch, bunt bemalt und reich verziert, zieht den Blick auf sich. Drumherum liegen umgestrzte alte Tanks, Kisten, Maschinenteile, Glassplitter, Rost.

 

„Taunus, Sir?“

 

Alles ist mit einer Staubschicht berzogen. Die Zeit wirkt wie stehen geblieben. Nur das Gluckern der Quelle ist zu hren. Ihr Wasser fliet seit Jahrzehnten gnzlich ungenutzt ber einen berlauf und einen Kanal in die nahe Nidda.

„Hier drin ein Jazzkeller“, sagt Bruno Kling. Seine Augen blitzen vor Begeisterung. „Das wre ein Highlight fr die Region.“ Ob so etwas wegen des Gases realisierbar ist, wei er selbst noch nicht. Auch der Denkmalschutz habe bei allem ein Wrtchen mitzureden. Was mit dazu gefhrt habe, dass die Arbeiten erst allmhlich starten. „Aber wir haben dorthin einen guten Draht.“

Wie beim Pfrtnerhaus. Das wird als erstes saniert, hat bereits ein neues Dach erhalten. „Wir haben auch viele Fachwerkbalken ersetzen mssen.“ Bis Ende des Jahres soll es fertig sein. Die Mieter stehen schon Schlange. 2016 soll das Haupthaus ebenfalls zum Wohnhaus werden. Der Brunnenkeller bleibt aber frs Erste vermutlich unangetastet.


Vortrag zur Brunnengeschichte am Sonntag

ber die Geschichte der Karbener Mineralbrunnen spricht Experte Stefan Kunz am Sonntag (6. September) ab 14.15 Uhr im Heimat- und Landwirtschaftsmuseum im Degenfeldschen Schloss in

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Ebenso sollen die Backsteinhallen nebenan saniert werden. Sie entstanden, nachdem die ursprnglichen Produktionshallen 1913 abgebrannt waren. Carl Mller-Marchand hatte den Taunusbrunnen ab 1864 gesucht, nachdem ihm Freiherr Ludwig von Leonhardi die Pacht des benachbarten Selzerbrunnens gekndigt hatte.

Dessen Gastwirtschaft war schon damals in weitem Umfeld der beliebteste Ort zum ausgelassenen Feiern. Mller-Marchand wusste, dass sich genau in der Mitte der Bahnlinie eine Quelle befand, die beim Bau der Eisenbahnstrecke kurz zuvor entdeckt worden war. Das berichtet Stefan Kunz in seinem 1999 erschienenen berblick ber die Geschichte der vier Karbener Mineralbrunnen. Drei Austritte fand Mller-Marchand schlielich. Der Kaufmann August Thiemann baute den Taunusbrunnen ab 1872 professionell auf, verkaufte ihn spter an Jacob Friedrich.

1887 bernahm ein englischer Investor und exportierte das Karbener Wasser in die USA, nach Sdostasien, Sdafrika und Sdamerika. „In Sdengland bestand sogar ein Flchenvertrieb“, sagt Kunz.

Franz Krug wurde damals Prokurist, kaufte die Firma 1903. Sie hatte in der Saison bis zu 60 Mitarbeiter und sogar eine eigene Bahnverladestelle direkt gegenber des Firmengelndes. Ein Hessenmdchen in Schwlmer Tracht wurde Markenzeichen des Taunusbrunnens. Auf Plakaten fragte es die englischsprachigen Kunden: „Taunus, Sir?“

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Produktion gestoppt. Die Wehrmacht beschlagnahmte das Gelnde, verlagerte das ausgebombte Rdelheimer Torpedo-Fahrradwerk hierher. Bis zu 350 Arbeiter stellten Zubehr fr Raketen her, etwa Znder fr Hitlers „Vergeltungswaffe“ V2. Mutter Kling war dort im Alter von 17 Jahren dienstverpflichtet ttig. „Es gab mehrfach Luftangriffe“, berichtet der Sohn von ihren Erzhlungen.

 

Eventhalle und Piazza

 

Selbst auf dem einige hundert Meter entfernt gelegenen Grundstck an der Luisenthaler Strae, wo die Klings jngst das Wohn- und Geschftshaus Bellevue bauten, fand sich bei den Bauarbeiten ein Bombenrichter. „Er war glcklicherweise leer, der Kampfmittelrumdienst hat Entwarnung gegeben“, sagt Bruno Kling.

Bis 1953 arbeiteten die Torpedo-Werke weiter in Karben und stellten bis zu 250 Schreibmaschinen am Tag her, bevor sie zurck nach Frankfurt zogen. Die zu alte Technik und familire Grnde gaben den Ausschlag, dass der Taunusbrunnen Ende 1964 den Betrieb einstellte, erklrt Stefan Kunz.

Die alten Produktionshallen will Bruno Kling nun mit neuem Leben fllen. Zur Eventhalle fr 500 Besucher samt dafr nutzbarer Gastronomie sollen sie werden. „Dafr gibt es groe Nachfrage.“ Als Vorbild hat er die Klassikstadt im Frankfurter Gallusviertel im Blick. „Nur eben eine Nummer kleiner.“

 

200 neue Bewohner

 

Wieso aber binden sich die Immobilienexperten ein solch kaputtes und dazu noch denkmalgeschtztes Areal freiwillig ans Bein? „Das zu sanieren ist schon viel teurer als ein Neubau“, rumt Kling ein. Neben den eigenen Kindheitserinnerungen aber wollen die Gebrder durchaus Geld verdienen. „Das hat langfristig Potenzial.“

So knne der Charme des Brunnengelndes wachgeksst werden. „Wir mchten das zum Zentrum der Stadt entwickeln“, sagt Bruno Kling. Eine Piazza und „schne Gastronomie“ knnten das Areal „zum Treffpunkt fr die Bevlkerung“ machen. In den kommenden Jahren soll die Stadt ohnehin mit Wohngebieten bis hierher heranwachsen, versprechen die aktuellen Plne im Rathaus.

Die cker bis zur Brunnenstrae haben sich die Klings daher lngst gesichert. Aktuell wird schon an der Bauleitplanung gearbeitet. Wohnungen fr 200 Menschen sollen dort entstehen, mitten in der Stadt und nur drei Gehminuten vom S-Bahnhof entfernt. Mit den neuen Husern wollen die Brder genug verdienen, um die historischen Sanierungen zu finanzieren. „Das geht nur in Kombination.“

Das neue Wohngebiet werde behutsam mit dem alten Taunusbrunnen verwoben. In „ein bis zwei Jahren“ soll es losgehen. „Wir wollen es architektonisch passend machen.“ Backstein- und Bauhausstil schweben Kling vor. Der alte Elektro-Verteilerturm etwa knne als Treppenhaus zwei Wohnhusern dienen. Diese wrden auf Grundmauern entstehen, die schon vor 100 Jahren Lagerschuppen trugen. Dieses historische Ambiente, so Bruno Kling, werden knftige Bewohner schtzen. „Den alten Charme bekommt man mit einem Neubau nie hin.“

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