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Argentinien glaubt seiner Präsidentin kein Wort mehr. So beobachtet der Schriftsteller und Journalist Martín Caparrós sein Heimatland nach dem mysteriösen Tod des Staatsanwalts Nisman. Ob die Wahrheit über den Kopfschuss ans Licht kommt, ist seiner Meinung nach zweitrangig.
Der argentinische Journalist und Schriftsteller Martín Caparrós ist einer der profiliertesten Beobachter seines Heimatlandes. Im Interview erzählt er, wie sich Argentinien durch den Fall Nisman verändert und warum der mysteriöse Tod des Staatsanwalts das Land in eine politische Krise stürzen könnte.
SZ.de: Herr Caparrós, in Ihren Romanen zeichnen Sie Ihr Heimatland in recht düsteren Farben. Im Moment scheint die Realität die Fiktion einzuholen: Der mysteriöse Tod des Staatsanwalts Alberto Nisman entspinnt sich zu einem Justiz-Krimi. Ist dieser Fall nicht optimaler Stoff für einen Schriftsteller?
Martín Caparrós: Da bin ich mir nicht sicher. Wenn ein Roman-Autor diese Geschichte erzählen würde, würde man ihm vorwerfen, sie sei übertrieben. Dass ein Staatsanwalt, der der Präsidentin vorwirft, den schlimmsten terroristischen Anschlag in der argentinischen Geschichte zu decken, am Vorabend seiner Anhörung im Kongress tot aufgefunden wird - das ist doch einfach zu viel. Und es ergibt auch keinen Sinn, eine Präsidentin zu erfinden, die an einem Tag sagt, es war Suizid, und zwei Tage später behauptet, Nisman sei getötet worden. Das wäre wirklich zu unglaublich.
Sie kritisieren, dass Argentiniens Präsidentin, Cristina Fernández de Kirchner, ihre Meinung über den Tod Nismans geändert hat. Die Ermittlungen Nismans belasten nicht zuletzt sie selbst. Wie beschreiben Sie die Strategie, die Kirchner in der Affäre verfolgt?
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Ich erkenne nicht wirklich eine klare Strategie: Ihre Ideen und Erklärungen wechselt sie drei Mal in acht Tagen. Das beobachte ich in allen Bereichen: Ihr einziges Ziel scheint, ein bisschen weiter voranzukommen, deshalb ändert sie ihre Meinung ständig. Zum Beispiel als der Argentinier Bergoglio Papst wurde: Erst ärgerte sie sich darüber. Dann, ein paar Tage später, wurde sie plötzlich seine beste Freundin.
Fernández de Kirchner hat ihre Erklärungen zum Fall Nisman auf Facebook veröffentlicht. Ist diese Form des Regierens typisch für Argentinien?
Mir gefällt die Idee, per Facebook zu regieren - noch mehr gefällt sie wahrscheinlich Mark Zuckerberg. Aber ich glaube nicht, dass man das "regieren" nennen kann. Cristina Fernández hat das präsidentielle Wort abgewertet und in den Diskurs eines Politikkommentators umgewandelt, der über politische Vorgänge redet, als trüge er keinerlei Verantwortung für sie.
Dieses Jahr wird in Argentinien gewählt. Welche Auswirkungen hat die Affäre um den toten Alberto Nisman auf die bevorstehende Wahl?
Cristina hat bereits verloren. Sie kann nicht noch einmal antreten und die zwei oder drei Peronisten, die ihr nahestehen und die sie unterstützt, werden nun wahrscheinlich versuchen, sich von ihr zu distanzieren. Ihr Wunschnachfolger, Daniel Scioli, der jetzige Gouverneur der Provinz Buenos Aires, tut dies bereits.
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