Surrealer Western im tiefen Süden

Lisandro Alonso schickt Hollwood-Star Viggo Mortensen in seinem Historienfilm „Jauja“ auf ein traumwandlerisches Driften durch entvölkerte argentinische Weiten. Als dänischer Landvermesser sucht er nach seiner minderjährigen Tochter, die mit einem Soldaten durchgebrannt ist - und das wird ziemlich surreal, nicht nur wegen eines zotteligen Hundes, der zeitweilig die Richtung angibt.

In John Fords Westernklassiker „The Searchers“ von 1956 reitet John Wayne aus, um seine von Komantschen entführte Nichte aufzuspüren. Am Ende der jahrlangen Suche wird er zu sich selbst - zu innerer Ruhe und Ausgeglichenheit - nicht im Geringsten gefunden haben. In manchem betont anders, im Grunde aber strukturell eng verwandt präsentiert sich Lisandro Alonsos „Jauja“ bei der Viennale.

Völkermord als Vorgeschichte

Der Film spielt in den weiten Steppen des Argentiniens der 1880er Jahre. Die Ausgangssituation des Films ist eine handfest schmutzige, im Norden vermutlich zu wenig bekannte Episode der argentinischen Geschichte. Was in Geschichtsbüchern als „Wüstenkampagne“ abgeheftet ist, war ein zwischen 1878 und 1880 durchgeführter militärischer Feldzug mit dem Ziel, in Argentinien große landwirtschaftliche Nutzflächen zu erschließen. Ein großer Teil der indigenen Bevölkerung wurde dabei ermordet.

Filmstill aus Jauja

Viennale

Tochter, Vater, weites Feld: Viilbjork Malling Agger und Viggo Mortensen

Zu Beginn des Films, der kurz nach diesem Feldzug ansiedelt ist, lungern reichlich verrohte Soldaten in verwaister Landschaft herum - der zur Vermessung der Flächen angeheuerte dänische Ingenieur macht sich also nicht ohne Grund Sorgen um seine behütete Tochter (Newcomerin Viilbjork Malling Agger in viktorianischer Aufmachung).

Die Tochter flieht. Was für sie ein mädchenhaft romantisches Ausbüxen bedeutet, wird für ihn zu etwas Existenziellem, so als ob eine fluchbeladene Landschaft sie geraubt hätte. Auf der Suche trübt sich seine Wahrnehmung so weit, dass wir nicht mehr wissen, ob das auf der Leinwand Teil des Plots ist oder seine Wahrnehmung: die versprengten Einheimischen, der zottelig treue Hund, den sie sich immer schon gewünscht hat, schließlich eine ältere Dame in Schwarz, die aus einer Felsspalte zu ihm spricht ...

Aus der Zivilisation in die Wildnis

Regisseur Alonso ist ein alter Bekannter der Viennale: 2004 hatte er - als Protagonist einer damals neuen Welle des argentinischen Kinos - in Wien den Kritikerpreis für „Los muertos“ erhalten, eine minimalistische Erzählung über einen rauen Mann, der aus der Zivilisation immer tiefer in den Urwald eintaucht. Ein ähnliches Grundmotiv also schon damals, diesmal sehr anders ausgearbeitet.

Als Glücksfall hatte Alonso nun Hollyood-Star Mortensen als Koproduzenten, Hauptdarsteller und auch (sparsamen) Filmkomponisten zur Seite. Mortensen war mit dem Umfeld gut vertraut - er hatte einige Kindheitsjahre in Argentinien verbracht -, auch konnte er nun erstmals in der Sprache seines aus Dänemark stammenden Vaters drehen, und er bewegt sich betont uneitel durch das karge Grün der Landschaft. Als Koautor hat Alonso den argentinischen Journalisten und Bühnenautor Fabian Casas engagiert, wohlgesetzte Textzeilen strukturieren sein Debüt im Fach des Historienfilms.

Kein Anlass zu Beschleunigung

Einen markanten Eindruck hinterlässt die Kamera von Timo Salminen, bekannt durch seine langjährige Zusammenarbeit mit Aki Kaurismäki (zuletzt 2011 bei „Le Havre“). Das Format ist ein klassizistisches 4:3-Normalformat, Einstellungen sind stoisch aufeinanderfolgend und trocken gesetzt, zu einer Beschleunigung besteht nie Anlass, auflockernde Zwischenschnitte sind kein Thema. Wo beim US-Western-Genre die Landschaftspanoramen dominieren, legt das engere Bild des südlichen weitschichtigen Verwandten den Schwerpunkt auf die Personen.

Filmhinweis

„Jauja“ ist bei der Viennale am 5. November um 21.00 Uhr im Gartenbaukino und am 6. November um 16.00 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus zu sehen.

Der Filmtitel „Jauja“ bezieht sich übrigens auf ein mythisches Land des Überflusses und des Glücks. Erwartet jemand, dass Mortensen als Ingenieur Dinesen auch nur den Funken einer Chance hat, dieses zu erreichen? Vielleicht erreicht er es allerdings schließlich doch - eine sehr eigenwillige Art von Nirvana.

Hans Christian Leitich, ORF.at

Link:

  • Jauja (YouTube-Channel)

Publiziert am 05.11.2014

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