Anfang Oktober 2009 verabschiedete der Kongress der argentinischen Republik das Gesetz 26.522, das auch „Ley de Servicios de Comunicación Audiovisual (SCA)“ genannt wird und gab somit einem umfangreichen Reformvorhaben der frisch gewählten Regierung unter Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner grünes Licht. Das neue Gesetz schuf strenge Obergrenzen für den Besitz von Sendelizenzen und den Zugang zu Marktanteilen und steuert damit auf eine weitgehende Neuordnung des argentinischen Mediensektors zu. Pro Unternehmen dürfen nur noch maximal zehn Sendelizenzen und 35% der Marktanteile gehalten werden. Besitzt ein Unternehmen mehr Sendelizenzen als erlaubt, sieht das Gesetz einen Verkauf vor. Folge des Gesetzes ist, dass insgesamt 21 Medienunternehmen große Teile ihres Besitzes verkaufen müssen. Am weitaus stärksten von der Reform betroffen ist der Medienriese Clarin, der neben der meist verkauften Tageszeitung des Landes und einem dutzend weiterer Druckerzeugnisse vier offene Fernsehsender und 10 Radiostationen betreibt. Insgesamt befinden sich 255 Sendelizenzen im Besitz des Medienunternehmens.
Nach Auffassung der Regierung war ein derart tiefgreifender Eingriff in die argentinische Medienlandschaft notwendig geworden, um die verzerrend manipulierende Berichterstattung von Seiten einiger großer Zeitungen und Fernsehsender zu beenden und die Meinungsvielfalt zu stärken. Der Mediensektor solle „demokratisiert“ werden, so die Vorgabe von Präsidentin Fernández. Kritiker monieren, dass mit dem Gesetz eher das Gegenteil erreicht werden dürfte. So würde die Zwangsschrumpfung der Clarin Gruppe, die in den letzten Jahren ein konfliktgeprägtes Verhältnis zu den Regierungen der Präsidenten Kirchner pflegte, ausgerechnet einen der mächtigsten Kritiker der Regierung schwächen. Unabhängige Experten und Vertreter des Medienriesen sind der Auffassung, dass das Gesetz 26.522 zu genau diesem Zweck konzipiert wurde.
Fraglich ist zudem, ob die zahlreichen kleineren Medienhäuser, welche das aus dem Verschwinden des Clarin Konzerns entstehende Vakuum füllen würden, die Fähigkeit und den Willen besäßen, ihrer Funktion als vierter Gewalt im Staat effektiv nachzukommen. Vielen kleineren regionalen und lokalen Medien, so die Befürchtung, fehlten die Ressourcen, um kritische Recherchen im Regierungsumfeld durchzuführen und etwaige juristische Konflikte durchzustehen.
Illegale Methoden
Die Frage nach dem angemessenen Umgang mit Medien und Medienmonopolen weist weit über den argentinischen Kontext hinaus. In Mexiko und Chile existieren große Medienkonzerne, die einen zum Teil erheblichen Einfluss auf die Politik entfalten und mitunter zu illegalen Methoden greifen. Den mexikanischen Fernsehanbietern Televisión Azteca und Televisa, die gemeinsam über 90% der kommerziellen Sendelizenzen des Landes kontrollieren, gelang es im Jahr 2007 ein Mediengesetz zur Neuordnung der Sendelizenzen, das sog. „Ley Televisa“ maßgeblich mit zu gestalten. Wäre das Gesetz nicht durch das mexikanische Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden, hätte dies eine langfristige Zementierung der eigenen Stellung auf dem mexikanischen Fernsehmarkt zur Folge gehabt. Im Juni 2012 äußerte die britische Tageszeitung „The Guardian“ den Verdacht, wonach Televisa die öffentliche Meinung im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2012 zugunsten des späteren Wahlsiegers, des PRI Kandidaten Peña Nieto beeinflusst haben könnte. In vielen anderen lateinamerikanischen Ländern, darunter Venezuela, Ekuador, Bolivien und Brasilien stehen Medien wie in Argentinien aufgrund ihrer angeblich chronisch „undemokratischen“ Berichterstattung immer wieder in der Kritik. Restriktivere Mediengesetze, Enteignungen oder der Entzug der Sendelizenz sind häufig die Konsequenz.
In Chile ist das Zeitungswesen von der Existenz duopolartiger Strukturen betroffen. Zwar erscheinen täglich bis zu 9 nationale Zeitungen, “El Mercurio”, “La Tercera”, “Las Ultimas Noticias”, “La Cuarta”, “La Segunda”, “El Diario Financiero”, “Estrategia”, “Publimetro”, und “La Hora”. Der Großteil von ihnen befindet sich jedoch im Besitz der beiden größten Zeitungen des Landes, „El Mercurio“ und „Copesa“ (Consejo Periodístico de Chile), die zusammen 80% der in Chile vorhandenen Leserschaft von Tageszeitungen auf sich vereinen. Beobachter aus der Wissenschaft bemängeln die qualitativ mangelhafte Berichterstattung der beiden Zeitungen und beklagen die einseitige Ausrichtung zugunsten der Unternehmerkreise rund um die Regierung von Sebastian Piñera. Problematisch für die Etablierung von Konkurrenzangeboten sei der ausgeprägte Korpsgeist der chilenischen Unternehmer, die sich bei der Vergabe von Zeitungsannoncen allein auf „El Mercurio“ und „Copesa“ konzentrierten. Aufgrund der geringen Einwohnerzahl Chiles, ist eine Finanzierung allein aus dem Verkauf von Abonnements für Tageszeitungen schwierig.
Einschränkung der Pressefreiheit
Eine Beobachtermission der Vereinten Nationen und der Interamerikanischen Kommission der Menschenrechte kam im Jahr 2010 in ihrem Abschlussbericht zur Situation der Pressefreiheit in Lateinamerika zu dem Ergebnis, dass Meinungsvielfalt- und -freiheit in einigen Ländern Lateinamerikas durch die Eigentumskonzentration im Mediensektor ernsthaft eingeschränkt sind.
Auch in Europa und Nordamerika haben große Medienkonzerne mitunter einen schlechten Ruf. In der jüngsten Vergangenheit sorgten Teile des Medien Imperiums im Besitz von Rupert Murdoch für negative Schlagzeilen. Im Sommer 2011 erhärteten sich Vorwürfe gegen Mitarbeiter der britischen Traditionstageszeitung „News of the World“, die beschuldigt wurden, Telefongespräche illegal abgehört und Polizisten bestochen zu haben. Polizeiliche Ermittlungen führten zur Festnahme hochrangiger Mitarbeiter der Zeitung.
Große (Medien-)Unternehmen können die Politik beeinflussen und entwickeln manchmal kriminelle Energie. Dies scheint unbestritten. Insbesondere in Mexiko und auch in anderen Ländern Lateinamerikas müssen die genannten Probleme jedoch im Kontext generell hoher Korruption und Kriminalität betrachtet werden. Darüber hinaus kann in Lateinamerika ein ordnungspolitisches Versagen des Staates im Hinblick auf eine ganze Reihe anderer Wirtschaftsbereiche festgestellt werden. Neben der Furcht vor kriminellen Machenschaften, bleibt der Vorwurf, Eigentumskonzentrationen im Mediensektor schädigten die Meinungsvielfalt und damit die Demokratie. Moderne Massenmedien haben schließlich einen erheblichen Einfluss auf die politische Willensbildung der Bürger eines Landes. Große Medienhäuser verfügen über die Macht, Themen auf die Agenda der öffentlichen Debatte zu setzen und wieder verschwinden zu lassen. Gibt es nur einige wenige Medienkonzerne, werden sie die Öffentlichkeit ausschließlich mit den von ihnen gewünschten Themen und Deutungen versorgen, so die Befürchtung. Alternative Sichtweisen hätten einer solchen Situation keine Chance Gehör zu finden.
Tatsächlich, so haben verschiedene Studien im Auftrag der EU zu Tage gefördert, bedrohen Eigentumskonzentrationen im Mediensektor keineswegs per se die Meinungsvielfalt. Viel wichtiger sei die Etablierung verpflichtender interner Verhaltenskodizes, welche das Unternehmen auf die Wahrung des Meinungspluralismus verpflichteten. Die Medieneigentümer müssten derartige Kodizes fördern und respektieren. In kleineren Ländern wie Chile, die nur über ein begrenztes Marktvolumen verfügen, ist die Existenz zahlreicher überregionaler Medien mit großen Redaktionen und einem landesweiten Korrespondentennetz ähnlich wie in Deutschland zudem schlichtweg nicht möglich.
Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr
Einem Bericht der EU zufolge müsse auch der Aspekt des internationalen Wettbewerbs beachtet werden. Zu restriktive Eigentumsregeln könnten der Wettbewerbsfähigkeit einheimischer Medienunternehmen gegenüber US amerikanischen Medienriesen wie News Corp., Time Warner oder Viacom erheblich schaden. Werde ein Medienunternehmen zu klein, könne es im internationalen Wettbewerb nicht mithalten. Gegenwärtig kommen 7 der 10 größten Medienkonzerne weltweit aus den USA.
In Zeiten, in denen sich vor allem Printmedien weltweit einer immer stärkeren und preislich schwer zu unterbietenden Konkurrenz von Seiten kostenloser Onlineanbieter ausgesetzt sehen, besteht die Frage, ob es nicht sinnvoller ist größere Medienkonzerne zuzulassen, die eine Vielzahl von Mediensparten mit verschiedener Ausrichtung unter einem Dach vereinigen und Verluste in der Zeitungsbranche mit Gewinnen in anderen Bereichen ausgleichen können. Ein Beispiel für diese Art Medienunternehmen ist die argentinische Clarin Gruppe, die Fernseh- und Radiosender sowie einen Internetanbieter betreibt und deren Einnahmen aus dem Verkauf von Zeitungen nur einen geringen Teil des Gesamtergebnisses ausmachen.
Angesichts des großen Einflusses von Televisa auf die Politik des Landes scheint eine stärkere Pluralisierung des Fernsehmarktes im Falle Mexikos hingegen durchaus sinnvoll. Im Gegensatz zu Chile verfügt Mexiko mit 112 Millionen Einwohnern über ausreichend Potenzial zur Aufrechterhaltung eines dynamischen Mediensektors. Folgt man den Einschätzungen des Rechtswissenschaftlers Javier Couso, sind die in Argentinien praktizierten Ansätze zur Steigerung der Vielfalt im Mediensektor jedoch ungeeignet. Couso empfiehlt Eigentumskonzentrationen in keinem Fall durch die Zerschlagung von Unternehmen aufzulösen. Zu groß sei die Gefahr, dass Regierungen die Problemlage als Vorwand nutzten, um kritische Medien auszuschalten. Als mögliche Lösungsalternative empfiehlt der Jurist die Schaffung starker Aufsichtsbehörden, welche die Kompetenz erhalten sollten Fusionen zu verhindern und durch die Vergabe öffentlicher Subventionen gezielt Konkurrenz zu den dominierenden Medienkonzernen aufzubauen.
Zu Beginn seines Mandats im Jahr 2006 kündigte der damalige Präsident Mexikos Felipe Calderón an, über die Vergabe weiterer Sendelizenzen den Wettbewerb zu steigern. Angesichts der herannahenden Präsidentschaftswahlen fanden die für das Frühjahr 2011 geplanten öffentlichen Ausschreibungen jedoch nie statt. Der Versuch zweier Parteien, der „Partido Acción Nacional“ (Partei der Nationalen Aktion) und der „Partido de la Revolución Democrática“ (Partei der demokratischen Revolution), den Mediensektor durch die Verabschiedung eines neuen Telekommunikationsgesetzes, das in einigen Punkten über das argentinische Gesetz hinaus gegangen wäre, besser zu regulieren, scheiterte im Frühjahr 2011. Im Januar 2013 verurteilte die mexikanische Wettbewerbsbehörde „Comisión Federal de Competencia México“ die „Televisa“- Gruppe zu einer Geldstrafe in Höhe von etwa 3 Millionen Euro (53,8 Millionen mexikanische Pesos), da sie beim Kauf des Fernsehsenders Cablemás Vorgaben der Behörde nicht beachtet hatte.
Das Beispiel Uruguays zeigt, dass die Furcht vor der Macht der Medienunternehmen bisweilen zu überzogenen Reaktionen von Seiten der Politik führen kann. Anfang 2013 erließ Präsident José Mujica per Dekret eine Obergrenze für den Besitz von Marktanteilen im Bereich des Kabelfernsehens. Demnach dürfen private Kabelfernsehanbieter nicht mehr als 25% aller Haushalte mit ihrem Angebot beliefern. Sergio de Cola, Direktor der nationalen Telekommunikationsbehörde kündigte an, dieses Dekret sei nur der Anfang. Im Laufe des Jahres werde das Parlament ein umfassenderes Gesetz zur Regulierung des Mediensektors verabschieden. Kritiker bemängeln allerdings, dass ein solches Gesetz in Uruguay völlig Fehl am Platz sei, da es in Uruguay keine Medienmonopole gebe. Der größte Anbieter von Kabelfernsehen, DIRECTV besitze lediglich einen Marktanteil von 11%. Das Dekret des Präsidenten gehe demnach an der Realität vorbei.
Politik und Öffentlichkeit sollten angesichts der Existenz großer Medienkonzerne nicht überstürzt radikale Pauschallösungen suchen. Medienunternehmen unter Generalverdacht zu stellen und zu einer Zwangsschrumpfung zu nötigen wird der Komplexität der angesprochenen Probleme nicht gerechnet. Im Gegenteil: Die Zerschlagung großer Medienhäuser kann der Demokratie mehr Schaden zufügen als deren Fortbestehen. Mehr Wettbewerbspolitik und eine Stärkung der Kontrollmechanismen scheinen speziell im lateinamerikanischen Kontext der bessere Weg.
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