"Konzentrationslager überall": Der schmutzige Krieg der argentinischen Junta – n

Es ist der 22. April 1976, als die uruguayische Küstenwache in einem Bericht zu einer angespülten Frauenleiche festhält: "... weist Anzeichen äußerer Gewaltanwendung auf: Zeichen von Vergewaltigung, möglicherweise mit spitzen Gegenständen; ...

... mehrfache Brüche und linker Ellenbogen zersplittert, mehrfache Brüche an beiden Beinen, möglicherweise gefesselt, enorme Anzahl von Hämatomen über den ganzen Körper verstreut, komplette Zerstörung von Schädeldecke und Oberkiefer. Keinerlei Hinweise für Identifizierung. ...

... Der Körper wurde nackt aus dem Wasser gezogen, die gemachten Fingerabdrücke ergaben keine positiven Antworten."

Auch wenn die Frau nicht identifiziert wird, so gilt doch als sicher, dass es sich bei ihr um ein Opfer der argentinischen Militärjunta handelt, die von 1976 bis Ende Oktober 1983 das Land terrorisierte.

Wie die junge Frau sterben vermutlich Tausende. Schätzungen gehen davon aus, dass die Schergen in sieben Jahren Militärdiktatur rund 30.000 Menschen umbrachten.

Sie werden in Kellern zu Tode gefoltert, ...

... verschwinden in Massengräbern ...

... oder werden einfach - wie vermutlich diese Mutter, Nelida Sosa de Forti, - lebend aus Flugzeugen in den Atlantik oder Rio de la Plata abgeworfen.

Noch immer ist unklar, was mit Tausenden Menschen geschah.

Sie bleiben Verschwundene, "desparecidos".

Begonnen hatte der Terror mit dem Militärputsch von General Jorge Rafael Videla (M.) am 24. März 1976.

Die Präsidentin María Estela Martiínez de Perón wird vom Militär auf einem kleinen Inlandsflughafen verhaftet.

Der Staatsstreich gegen Perón sei durchgeführt worden, "um eine anarchische Gesellschaft zu disziplinieren, um aus dem demagogischen Populismus zu kommen und eine liberale Marktwirtschaft zu etablieren", rechtfertigt sich Videla später.

Wie diese Disziplinierung aussieht, erläutert General Luciano Benjamin Menendez kurz nach der Machtübernahme: ...

"Wir werden 50.000 Menschen töten müssen. ...

25.000 Subversive, ...

... 20.000 Sympathisanten ...

... und wir werden 5000 Fehler machen."

General Videla drückt es anders aus: "In Argentinien müssen so viele Personen sterben, wie nötig sind, um den Frieden zu erreichen."

Tatsächlich erweist sich die argentinische Militärjunta als nicht zimperlich - auch im Vergleich mit anderen südamerikanischen Diktaturen, die zu dieser Zeit an der Macht sind.

Direkt nach dem Putsch startet das Militär seine Jagd auf Oppositionelle.

Gewerkschafter, linke Intellektuelle, Studenten - sie alle geraten ins Visier der Schergen.

Wer nicht rechtzeitig fliehen kann, landet oft in einem der mehr als 340 Folterlager. Das größte ist die Technikschule der Marine in Buenos Aires, hier werden allein rund 5000 Menschen gefoltert und ermordet.

Selbst wem die Flucht ins Ausland gelingt, ist nicht immer sicher vor dem Zugriff der Schergen.

Unter den Junta-Opfern sind auch viele junge Mütter oder Schwangere, die direkt nach der Geburt ihrer Kinder getötet werden.

Die Babys werden oft ausgerechnet den Folterknechten ihrer leiblichen Eltern anvertraut, in deren Familien sie nichtsahnend aufwachsen.

Die Organisation "Großmütter der Plaza de Mayo" geht von rund 500 geraubten Kindern aus, die im Geheimen zur Adoption freigegeben wurden.

Mehr als 100 von ihnen, wie Maria Eugenia Sampallo Barragan, wissen mittlerweile um ihre Herkunft und klagen gegen die Militärs.

Zu dem hundertfachen Kindsraub sagt Videla im Jahr 2012 vor Gericht: "Alle Gebärenden, die ich als Mütter respektiere, waren aktive Militante in der Maschinerie des Terrorismus. Sie verwendeten ihre Kinder als menschliche Schutzschilde."

In den sieben Jahren des Militärregimes ist der Terror allgegenwärtig.

"Tausende, von denen man nichts weiß. Konzentrationslager überall, ein Menschenleben ist wenig wert", schreibt die deutsche Sozialarbeiterin Elisabeth Käsemann, die Verfolgten bei der Flucht hilft, im August 1976 an ihre Eltern.

Wenig später verschwindet auch sie als eine von rund hundert Deutschen oder Deutschstämmigen in einem der berüchtigten Folterkeller.

Ihre Leiche taucht immerhin auf, die Obduktion zeigt: Schüsse aus unmittelbarer Nähe in Genick und Rücken - wie bei einer Hinrichtung.

Ihre Eltern werfen später der Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt vor, nicht genug Druck auf die Militärs ausgeübt zu haben: ... (im Bild: Videla 1978)

... "Humanität wie Demokratie werden hier bürokratisch verwaltet, und ein verkaufter Mercedes wiegt zweifellos mehr als ein Leben", so ihr Vater, der Tübinger Theologe Ernst Käsemann.

Auch der Autokonzern Daimler steht wegen seiner Rolle während der Diktatur in der Kritik.

Vor einem US-Gericht klagen Angehörige von Opfern gegen das Unternehmen, weil es eng mit der Militärdiktatur zusammengearbeitet und Angestellte denunziert haben soll - was für diese den sicheren Tod bedeutete.

Nicht nur deutsche Unternehmen und die Bundesregierung müssen sich heftige Anschuldigungen gefallen lassen.

Noch unrühmlicher ist die Rolle der USA. Nicht nur, dass diese argentinische Offiziere im Fach "Aufstandsbekämpfung" ausbilden lässt.

Im Oktober 1976 ermahnt US-Außenminister Henry Kissinger Argentinien, dass die Säuberungsaktionen nicht allzu lange dauern sollten. Im folgenden Jahr könnten in den USA schon die Demokraten an die Macht kommen, die der Junta gegenüber nicht so wohlgesonnen eingestellt seien.

Als 1978 Argentinien die Fußball-Weltmeisterschaft ausrichtet, sagt kein qualifiziertes Land seine Teilnahme ab.

Die Militärs lassen sich als Gastgeber feiern - umso mehr, als Argentinien auch noch den WM-Titel erringt.

Allerdings trübt der Trainer der Nationalmannschaft, César Luis Menotti, den Moment des Triumphs. Bei der Siegerehrung verwehrt er Videla demonstrativ den Handschlag.

Zum Titelgewinn sagt er in einem Fernsehinterview: "Meine Spieler haben die Diktatur der Taktik und den Terror der Systeme besiegt".

Insgesamt bleibt der Widerstand gegen die Junta zunächst gering - ist er doch auch lebensgefährlich.

Nur die "Mütter der Plaza de Mayo" demonstrieren schon ab 1977 gegen das Regime.

Jeden Donnerstag drehen sie, mit weißen Kopftüchern bedeckt, vor dem Regierungsgebäude schweigend ihre Runden um den Platz.

Trotz der Grabesstille im Land wird die Situation für die Junta zunehmend ungemütlich. Grund ist vor allem die desaströse wirtschaftliche Lage.

Die Hyperinflation können die Militärs nicht richtig eindämmen. Gleichzeitig werden die Löhne eingefroren.

Die Folge: Der Lebensstandard vieler Argentinier verringert sich in den zwei Jahren der Diktatur um die Hälfte. Schon warnt der Gouverneur der Provinz Tucumán den Wirtschaftsminister: ...

"Wenn ich hier zehn Guerilleros liquidiere, schicken Sie mir mit Ihrer Wirtschaftspolitik zwanzig neue."

Mit der Besetzung der Falklandinseln im April 1982, die seit 1833 zu Großbritannien gehören, versucht die Militärregierung von den innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken und ihre Popularität aufzupolieren.

Zunächst scheint der Plan aufzugehen.

Hunderttausende Argentinier bejubeln in Buenos Aires General Leopoldo Fortunato Galtieri, der mittlerweile Führer des Militärregimes ist.

"Wenn sie (die Briten) kommen wollen, nur zu, wir werden uns ihnen in der Schlacht stellen", prahlt Galtieri.

Doch es kommt anders. Die Argentinier werden vernichtend geschlagen. Mehr als 1000 Soldaten lassen ihr Leben, am 15. Juni kapituliert die Armee.

Die Niederlage gegen Großbritannien besiegelt das Ende der Junta, sie verliert ihre letzten Unterstützer.

Schließlich kündigt sie freie Wahlen an - nicht ohne vorher noch ein "Selbstamnestiegesetz" deklariert zu haben.

Am 30. Oktober 1983 fällt die Diktatur in sich zusammen. Mit Raúl Alfonsín wird ein Mann zum Präsidenten gewählt, ...

... der die Ansicht vertritt: "Mit der Demokratie wird nicht nur gewählt, sondern mit ihr wird gebildet, mit ihr geheilt, mit ihr wird ernährt."

Der Heilungsprozess dauert lange. Zwar werden 1985 die Hauptverantwortlichen vor Gericht gestellt ....

... und Jorge Videla und andere Junta-Mitglieder zu langen Hafstrafen verurteillt.

Doch noch im selben Jahr wird das "Schlusspunktgesetz" verabschiedet:

Wer bis dahin nicht vor Gericht stand, braucht ein Verfahren nicht mehr zu fürchten.

Unter Präsident Carlos Menem werden sogar pauschal alle begnadigt, die wegen Verbrechen während der Diktatur inhaftiert sind.

Erst unter Néstor Kirchner, der von 2003 bis 2007 Präsident des Landes ist, beginnt Argentinien mit einer grundlegenden Aufarbeitung der Diktatur. Die Bilder Videlas werden in den Militärschulen abgehängt.

Im Juli 2012 wird unter anderem Videla wegen vielfach verübten Kindesraubs zu 50 Jahren Haft verurteilt. Kein Jahr später stirbt er im Gefängnis.

Das blutige Erbe seiner Diktatur aber ist bis heute präsent.

Die Zeit des schmutzigen Krieges hinterlässt ihre Narben.

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