Japan-Obsession bei River Plate

"Seit wir die Copa Libertadores gewonnen haben, habe ich schon viele Leute getroffen, die mir sagten, die [argentinische] Meisterschaft und die Copa Sudamericana seien nicht wichtig. Es zähle nur die WM. Wo wir auch hinkamen, zuerst war immer die Rede von Japan."

Leonel Vangioni hat die zwölf Stunden Zeitdifferenz zwischen Argentinien und Japan noch nicht ganz weggesteckt, doch er und der gesamte Rest der "River-Welt" sind dort, wo sie hin wollen, seit sie sich für die FIFA Klub-Weltmeisterschaft Japan 2015 qualifiziert haben. Das Turnier ist der Traum, den alle träumen, und laut Aussage des linken Verteidigers gegenüber FIFA.com kennt die Japan-Euphorie, die den argentinischen Klub seit dem Sieg in der Copa Libertadores erfasst hat, keine Grenzen.

An jenem 5. August erschallte auf den Rängen des Estadio Monumental eine Hymne, die alle anderen übertönte. "Wegen Muñeco fahr'n wir nach Japan", sangen die Fans unter den sintflutartigen Regenfällen, die sich an diesem Abend über Buenos Aires ergossen. Der Gesang, der bei diesem Satz immer noch um einige Dezibel lauter wurde, erklang seitdem in jeder Partie, obwohl die Leistungen und Ergebnisse des Teams weit von denen entfernt waren, mit denen die Copa Libertadores gewonnen werden konnte. Die Gründe für die enorme Bedeutung, die der Klub-WM beigemessen wird, reichen weit zurück. Der Gesang ist einerseits eine Hommage an El Muñeco Marcelo Gallardo, der bereits als Spieler ein Idol war und heute als Trainer den Status eines Gurus genießt, andererseits aber auch ein sentimentaler Verweis auf das Austragungsland Japan, von dem viele Argentinier geradezu besessen sind.

"Diese frühen Fernsehübertragungen… Ich erinnere mich noch an das Finale zwischen Mailand und Vélez (1994), habe noch Bilder von River gegen Juventus (1996) im Kopf", meint Lucho González mit Blick auf seine Kindheit. "Echte Fussballfans standen damals um sechs Uhr früh auf, um sich die Partie anzusehen", fügt Vangioni hinzu. Alle erinnern sich noch an die frühen Morgenstunden vor dem Fernseher, wo man sich den Interkontinental-Pokal, den Vorgängerwettbewerb der Klub-Weltmeisterschaft, anschaute, der im Nationalstadion in Tokio ausgetragen wurde. Für Vereine wie CA Independiente Avellaneda, Argentinos Juniors, Vélez Sarsfield, die Boca Juniors oder River, die in den 80er und 90er Jahren dabei waren, ist die Klub-WM in Japan mehr als eine Klub-WM. Das Turnier und das Land haben einen Symbolcharakter wie kein anderes auf der Welt.

Gespannte Erwartungshaltung
Die Millonarios holten 1986 den Titel im Interkontinental-Pokal, der im Übrigen nur aus einem Spiel bestand, und unterlagen 1996. Jetzt kehren sie nach 19 langen Jahren und einer schier endlosen Durststrecke, während derer man in der Saison 2011/12 sogar in die zweite Liga abstieg, auf die Weltbühne zurück.

"Seit ich im Alter von acht Jahren zum Klub gestoßen bin, erlebe ich diese Besessenheit (von Japan). Das ist ein glorreicher Augenblick für den Klub, aber ich glaube, die Erwartungen sind jetzt höher als 96 gegen Juve", meint Javier Saviola, der damals noch in der Nachwuchsabteilung des Klubs spielte und einen glorreichen Zyklus hautnah miterlebte, den er später als Profi fortsetzen sollte.

"Früher war man bei River daran gewöhnt, Titel zu gewinnen und große Mannschaften zu haben. Dann kam diese mehrere Jahre andauernde Phase, in der es mit dem Klub in jeder Hinsicht bergab ging. Das schweißte die Fangemeinde noch mehr zusammen, weil sie diese extrem schwierigen Augenblicke gemeinsam erlebt und durchgestanden hatte. Es bedeutet den Fans ungeheuer viel, jetzt wieder an frühere Erlebnisse anzuknüpfen. Auf den Straßen ist die Anspannung schon spürbar."

Die Japan-Obsession der Menschen auf der Straße spiegelt sich im Gesang für El Muñeco sowie in der Choreographie mit der japanischen Flagge wider, welche die Fans beim Superclásico gegen die Boca Juniors im August auf einer Tribüne präsentierten. Auch der Verein stimmt in die Euphorie ein und hat im Oktober einen Tag mit japanischen Kulturaktivitäten organisiert, in der Marketing-Kampagne für das Turnier sind die Spieler wie Samurai gekleidet. Die Akteure selbst feierten nach dem Sieg in der Copa Libertadores in dem Bus, in dem sie die Ehrenrunde drehten, mit japanischen Flaggen.

"Es wäre mir niemals in den Sinn gekommen, dass ich einmal die Chance haben würde, bei einem so herausragenden Wettbewerb dabei zu sein", so Lucho González. "Für uns ist die Teilnahme an einer Klub-WM wie ein Griff nach den Sternen."

Riesenunterstützung
Schätzungsweise 15.000 Fans haben sich auf die Reise nach Japan gemacht oder werden dies in den nächsten Tagen tun, um das Team am 16. Dezember in Osaka im Halbfinale zu unterstützen. Sollte der Klub siegreich daraus hervorgehen, dann geht es am 20. Dezember in Yokohama im Finale des Turniers eventuell gegen den FC Barcelona, falls dieser sein Halbfinale ebenfalls gewinnen sollte.

"Wer einem auch begegnete, sagte: 'Wir sehen uns in Japan'. Die Unterstützung, die wir dort erhalten werden, wird absolut beeindruckend sein. Das wird uns viel Kraft geben", meint Vangioni. "Das war bereits bei der Copa Libertadores in Brasilien und Paraguay der Fall. Die Leidenschaft und Begeisterung der River-Fans hat uns in den letzten Jahren unglaublich dabei geholfen, das zu erreichen, was wir erreicht haben."

El Piri erwartet nach den Erlebnissen im September beim Sieg im Suruga Bank Cup gegen Gamba Osaka außerdem Unterstützung vom lokalen Publikum – trotz der großen Messi- und Neymar-Manie im Lande. "Viele japanische Fans sangen River-Lieder. Das war eine ganz verrückte Sache. Wie wird das erst bei der WM werden! Es wird super sein, dort zu spielen." Nach einer Wartezeit von vier Monaten und gefühlten 19 Jahren geht es in wenigen Tagen nun endlich los.

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