DFB-Wissenschaftskongress – Lehmanns Zettelwissenschaft

Der Deutsche Fußball-Bund hat nicht unbedingt den Ruf eines innovativen Unternehmens. Peter Frymuth, der als Vizepräsident auch für die Fußballentwicklung verantwortlich ist, hat das am Donnerstag im Frankfurter Airporthotel eine wenig grummelnd eingeräumt: „Manche stellen den DFB gern in eine Ecke des Stillstands und der Verwaltung.“ Aber die ganze Wahrheit ist größer.

Beim 3. DFB-Wissenschaftskongress, der just in jenem großen Saal stattfand, in dem einst Wolfgang Niersbach zum Präsidenten gewählt worden war, wird in diesen Tagen der Beweis dafür geliefert. 20 Stunden lang referieren Experten aus Wissenschaft und Forschung zu Themen wie „Effekte des Kopfballspiels auf die Hirnfunktion“ oder „Mythos Teamgeist – Leistung zwischen Gemeinschaftsgefühl und Einzelkämpfertum“ und vielen mehr. Der Kongress ist mit 380 Teilnehmern aus neun Nationen ausgebucht. Martin-Peter Büch, Vorsitzender der ansonsten weitgehend im Verborgenen arbeitenden AG Wissenschaft im Deutschen Fußball-Bund, will Althergebrachtes überwinden helfen: „Die Maxime, das haben wir immer schon so gemacht muss neuen Erkenntnissen weichen.“

Ein konkretes Beispiel dafür lieferte DFB-Sportdirektor Hansi Flick. Der ehemalige Assistent von Bundestrainer Joachim Löw berichtete über einen persönlichen Weiterbildungsbesuch im kalifornischen Palo Alto bei den American Footballern der San Francisco 49ers. Flick war beeindruckt, denn er sah am Trainingsplatz drei große Kräne, mit insgesamt sieben Kameras bestückt, die den komplexen Übungsbetrieb verfolgten. Flicks Erkenntnis: „Die Wahrnehmung im Fußball ist noch nicht erforscht. Da sind andere Sportarten schon viel weiter.“ Auch in der Analyse im taktischen Bereich sei man im Fußball „erst am Anfang“. Flick erwartet viel von einer besseren Kommunikation zwischen Sport und Wissenschaft, sobald die DFB-Akademie an der Frankfurter Galopprennbahn genutzt werden kann. Der Sportdirektor bezeichnete das neue DFB-Zentrum, ein 110-Millionen-Euro-Projekt, das 2018 fertiggestellt werden soll, als „Think Tank“.

Im DFB sei man „überzeugt, dass eine fundierte Forschung den Fußball weiterbringt“, formulierte DFB-Direktor Ulf Schott. Der Kongress diene auch dem Zweck, dass Wissenschaft und Praxis gegenseitiges Vertrauen weiterentwickeln. Oder, wie es Professor Büch formulierte: „Wissenschaftler und Trainer sprechen oft nicht dieselbe Sprache und verstehen einander deshalb nicht.“

Intuition besser ausbilden

Auf dieses Problem ging in seinem zentralen Vortrag auch Gerd Gigerenzer vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung ein. Gigerenzer referierte zum Thema „Die richtige Entscheidung treffen – Intuition versus Rationalität“. Er stellt sich die Frage: „Wie kann man im Fußball Intuition besser ausbilden? Wie kann man Intuition strategisch nutzen, um den Gegner zu stören?“ Intuition sei im modernen Fußball immer wichtiger geworden, denn: „Spieler haben weniger Zeit, müssen schneller und deshalb öfter intuitiv entscheiden.“

Intuition lasse sich auch stören. Der Berliner Professor nannte das prominente Beispiel des WM-Viertelfinals zwischen Deutschland und Argentinien. Dort habe der deutsche Torwart Jens Lehmann beim Elfmeterschießen die Intuition des letzten argentinischen Elfmeterschützen Esteban Cambiasso so sehr gestört, dass der Argentinier verschoss. Entscheidend sei nicht die (im Fall Cambiasso gar nicht vorhandene) Information auf dem Zettel gewesen, so Gigerenzers These, sondern die Tatsache, dass Lehmann den Zettel sichtbar „besonders aufmerksam“ studierte, derweil der Schütze zum Elfmeter schritt. Ein psychologischer Kniff zur Verunsicherung, der durchaus noch mit dem Fairplay vereinbar sei. „Die Daten haben das nicht entschieden, sondern die Tatsache, dass Cambiasso angefangen hat, nachzudenken.“ Gigerenzer sieht anhand dieses Beispiels noch „einiges Potenzial“ im Fußball, nicht nur im Elfmeterschießen.

Um Elfmeter geht es am heutigen Freitag auch bei der Vergabe des DFB-Wissenschaftspreises, der mit insgesamt 30 000 Euro dotiert ist. Der erste Platz geht an Florian Scholz von der Universität Tübingen. Scholz betrieb eine sehr aufwendige Untersuchung zum Antizipationsverhalten von jugendlichen Torhütern beim Elfmeter. Ganz ohne Zettelwissenschaft nach Vorbild Jens Lehmann.









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