Auf der Straße zuhause – auch im Regen

Von Carolin Acker

Juli 2013 in Córdoba. Es ist ein verregneter Nachmittag – ein sehr untypisches Wetter, obwohl es in Argentinien gerade Winter ist. Nicolás Saracchini ist mit seiner Kamera im ältesten Stadtteil von Córdoba unterwegs – auf der Suche nach interessanten Menschen und Motiven zum Fotografieren. Seit drei Jahren hat er das Hobby für sich entdeckt und fotografiert am liebsten das Leben auf der Straße. Dort, an einem verregneten Julitag ist sein Bild „Wo gehen die Leute hin, wenn es regnet“ entstanden, mit dem Nicolás Saracchini beim Blende-Wettbewerb 2014 gewonnen hat. Aber er hat nicht nur den zweiten Platz in der Kategorie „Schwarzweiß“ belegt – auch bundesweit hat er es auf Platz 115 von 80 000 Teilnehmern geschafft.

Ein Motiv, das zum Nachdenken anregt

Im Stadtteil „Alta Córdoba“ waren früher viele Fabriken – heute sind die meisten geschlossen und stehen leer.  Stattdessen gibt es viele Kneipen und Bars in dem Bezirk. Vor einem der leerstehenden Gebäude entdeckt Nicolás einen älteren Mann, der sich unter dem Vordach vor dem starken Regen schützt. Der Mann ist obdachlos und hat früher in dieser Fabrik gearbeitet – heute lebt er in dem leerstehenden Gebäude.
„Das ist es, was ich mit meinen Fotos zeigen möchte. Ich möchte darstellen, was auf der Straße passiert“, erzählt Nicolás Saracchini. „In Argentinien herrscht noch eine klare Grenze zwischen den Gesellschaftsschichten. Die reichen Menschen interessiert es leider nicht, was mit dem alten Mann auf der Straße passiert.“
Der 26-Jährige hat oft versucht, den Mann zu fotografieren, denn er steht jeden Tag vor der alten Fabrik. An einem verregneten Nachmittag im Juli hat es dann geklappt. Ein Zufall gleich im zweifachen Sinn, denn in Córdoba regnet es nur ein- oder zweimal im Jahr. Und an diesem Tag hat der Mann in die Kamera von Nicólas geschaut. 

Kennengelernt in Argentinien, heute zusammen in Marburg

Das alles ist jetzt schon fast zwei Jahre her, und der Hobbyfotograf lebt seit fast eineinhalb Jahren in Marburg zusammen mit seiner Freundin. Kennengelernt haben sich die beiden 2009 in Argentinien beim Auslandsaufenthalt seiner Freundin. Es folgte eine Fernbeziehung und im Spätsommer 2013 ist Nicolás dann nach Deutschland gekommen und lebt seitdem in Marburg.
In Argentinien war die Straßenfotografie seine große Leidenschaft. „Ich habe auch versucht, in Marburg auf der Straße zu fotografieren, aber es ist nicht wie in meiner Heimat“, erklärt der Hobbyfotograf.  Im vergangenen Jahr war Saracchini mit Vokabeln und der deutschen Grammatik beschäftigt, da blieb leider nicht viel Zeit zum Fotografieren. Aber auch in seinem neuen Zuhause ist er jetzt auf der Suche nach neuen Motiven: „Denn in Marburg gibt es sehr interessante Ecken und viele versteckte Orte.“  
An das Leben in Marburg musste er sich trotzdem erst gewöhnen: Der 26-Jährige kommt aus einer Großstadt mit fast 1,3 Millionen Einwohnern. „In Córdoba herrscht einfach eine andere Atmosphäre, es ist laut und hektisch, im Gegensatz dazu geht es Marburg etwas ruhiger zu.“ Aber nach etwas mehr als einem Jahr, hat sich der Argentinier auch in Marburg gut eingelebt.
Beim Blende-Wettbewerb der Oberhessischen Presse ist er allerdings kein Neuling: Kurz nach seiner Ankunft in Marburg, hat er im vergangenen Jahr bei der Blende teilgenommen und direkt einen zweiten Platz belegt.
Nachdem es mit der deutschen Sprache mittlerweile ganz gut klappt, würde Nicolás Saracchini sein Hobby gerne zum Beruf machen. Seit Anfang April gibt es seine Bilder auch in Marburg zu sehen, in einer Fotoausstellung in der Buchhandlung „Roter Stern“ – vielleicht ein erster Schritt zu seinem Traumberuf.

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