Argentiniens seltsamer Vertrag mit Teheran

Der Iran kann die Aufklärung eines blutigen Anschlags in Buenos Aires kontrollieren, der ihm zur Last gelegt wird

Die argentinische Abgeordnetenkammer hat mit 131 Ja- gegen 113Neinstimmen eine folgenschwere Entscheidung getroffen: Zwischen Argentinien und dem Iran wird eine "Wahrheitskommission" eingesetzt, um die Hintergründe des Attentats auf das Jüdische Gemeindezentrum Amia aufzuklären. Im Juli 1994 waren dabei 85Menschen ums Leben gekommen, 300 waren verletzt worden. Die Hintermänner werden in Teheran vermutet.

Die Entscheidung der Abgeordnetenkammer dient als Ratifizierung des bilateralen Memorandums, das am 27. Januar in Äthiopien zwischen dem argentinischen Außenminister Héctor Timerman und dem Außenminister des Iran, Ali Akbar Salehi, unterzeichnet wurde. Timerman hatte damals von einer "historischen Übereinkunft" gesprochen. Die Ratifizierung durch das iranische Mullah-Parlament ist eine Formalität.

Danach ist der Weg frei für ein juristisches Wagnis erster Ordnung: Die Regierung eines demokratisch gewählten Staates akzeptiert die Bildung einer gemeinsamen Untersuchungskommission mit dem Iran, einem international geächteten Paria-Staat. Dabei sieht das in Farsi, Spanisch und Englisch abgefasste Abkommen sogar vor, dass die Befragung der verdächtigen Iraner in Teheran selbst stattfinden soll und nicht in Argentinien.

Julio Borger, Präsident der Amia, kündigte an, dass die jüdischen Verbände Argentiniens versuchen würden, die Umsetzung des Abkommens mit allen Mitteln zu verhindern: "Wir werden bis zum Obersten Gerichtshof gehen und auch internationale Gerichte einschalten, um zu beweisen, dass dieses Abkommen gegen die argentinische Verfassung verstößt." In Argentinien kamen die Untersuchungen über die Attentäter in den Jahren direkt nach dem Anschlag 1994 nur schleppend in Gang.

Damals regierte der rechtsperonistische Präsident Carlos Saúl Menem, dessen Familie Anfang des 20. Jahrhunderts aus Syrien eingewandert war. Er verfügte über enge Kontakte in den Nahen Osten. 1991 hatte Argentinien noch an der Seite der Vereinigten Staaten am ersten Irakkrieg teilgenommen.

Der seit 2003 regierende linksperonistische Präsident Néstor Kirchner und seine ihm 2008 folgende Ehefrau und nunmehrige Witwe Cristina machten die Aufklärung des Attentats zu ihrem erklärten Ziel. So ordnete auf argentinischen Antrag Interpol 2007 die Festnahme von sechs Iranern an, darunter waren der heutige Verteidigungsminister Ahmed Vahidi und der ehemalige Präsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani.

Die argentinische Opposition, die nun in seltener Geschlossenheit gegen das Abkommen auftritt, bezeichnet es als "nicht verfassungskonform". Für Ricardo Alfonsín, Sohn des angesehenen gleichnamigen Ex-Präsidenten, entspricht das Papier "weder dem Empfinden der Mehrheit des argentinischen Volkes noch dem der Opposition und schon gar nicht jenem der Opferfamilien und der sie vertretenden jüdischen Vereinigungen". Er wies die Behauptung Timermans zurück, das Abkommen sei "historisch", und erwiderte: "Historisch ist daran nichts: Das ist eine Verletzung argentinischer Rechtstraditionen." Für die Oppositionspolitikerin Elisa Carrio helfe die Einigung lediglich dem Iran, eine weitere Verfolgung durch Interpol zu vermeiden: "Wir machen das iranische Regime international salonfähig."

In der Debatte kam auch die enge Zusammenarbeit Argentiniens mit dem Iran zur Sprache. "La Nacion" veröffentlichte dazu eine statistische Übersicht aus Timermans Außenministerium: Dort ist der Verkauf von "Nuklearreaktoren für 5,09 Millionen Dollar" aufgeführt. Auf Nachfragen des Abgeordneten Ricardo Gil Lavedra behauptete Timerman dann allerdings, es handle sich nur um Armaturen ("articulos de grifería") und Luftpumpen ("bombas de aire"). Beruhigt hat sich die Debatte damit wohl kaum, was auch an den engen Bindungen Frau Kirchners an den venezolanischen Staatspräsidenten Hugo Chávez liegt, durch dessen proiranische Politik Teheran Zugang nach Lateinamerika gefunden hat. Alberto Nisman, der mit dem Amia-Fall bisher befasste Staatsanwalt, hat übrigens immer in der Hisbollah und libanesischen Gruppen mit Kontakten zum Iran und nach Syrien die Verantwortlichen für das Attentat gesehen.

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