Argentiniens Präsidentin eröffnet polarisierenden Vorwahlkampf

Kirchner griff in Rede an die Nation wegen Fall Nisman die Justiz an - Harter Kampf um ihre Nachfolge im Herbst erwartet

Buenos Aires / Puebla - Sie war kämpferisch wie immer, und der neue Feind war ausgemacht: Die Justiz habe sich von der Verfassung entfernt, schimpfte Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner am Sonntag bei ihrer Rede zur Eröffnung der neuen Legislaturperiode in Buenos Aires.

Das war eine Kritik unter dem Eindruck jenes Prozesses, den der unter bisher nicht aufgeklärten Umständen gestorbene Staatsanwalt Alberto Nisman gegen sie angestrengt hatte - wegen Vertuschung von Attentatsermittlungen zu einem blutigen Anschlag im Jahr 1994. Bei der Kritik tat es wenig zur Sache, dass ein Richter vor wenigen Tagen die Beweise für unzureichend erachtet und den Prozess gegen sie eingestellt hatte.

Gegenangriff Kirchners

Die linksperonistische Staatschefin ist überzeugt, dass sich die Justiz zusammen mit der bürgerlichen Opposition und rechten Medien gegen sie verschworen hat. Dreieinhalb Stunden dauerte der Gegenangriff. Sie verkündete die Verstaatlichung der Eisenbahnverwaltung, verteidigte Wirtschaftsabkommen mit China und beschimpfte Gläubiger, die noch immer auf Zahlung ihrer Schuldscheine aus 2001 pochen. Bilanzierend erklärte sie, in der Ära Kirchner seit 2003 - als ihr verstorbener Mann und Amtsvorgänger Nestor an die Macht kam - habe sich Argentinien von der Last der Auslandsschulden befreit und eine Wachstumsphase erlebt.

Es klang wie eine Wahlkampfrede. Dabei kann sie selbst im Oktober nicht noch einmal antreten. Aber es geht um ihr Erbe.

Spaltung

Ihr konfrontativer Regierungsstil hat das Land zutiefst gespalten. Da gibt es die "Kirchneristen", die der Staatschefin zugute halten, dass sie endlich die Menschenrechtsverletzungen aus der Diktatur geahndet hat, dass sie sich nicht vor den Gläubigern beugte, dass sie Sozialhilfeprogramme auflegte. In der Ära Kirchner sank die Armut nach Angaben der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika von 45 auf acht Prozent, die Wirtschaft wuchs im Schnitt um fünf Prozent jährlich.

Auf der anderen Seite stehen jene, die ihr staatsdirigistisches Modell für verfehlt halten. Die ihr die hohe Inflation ankreiden, sie für arrogant halten und ihren Feldzug gegen die einflussreiche Clarín-Mediengruppe als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit betrachten. Die darauf hinweisen, dass sich ihr Vermögen in zwölf Jahren versiebenfacht hat. Dazwischen gibt es kaum jemanden.

Dutzende Anwärter

Welcher Aspekt letztlich überwiegt, wird auch davon abhängen, wie die Präsidentschaftswahl im Oktober ausgeht. Momentan gibt es rund ein Dutzend Anwärter. Sie kommen aus dem Oppositionslager ebenso wie aus dem peronistischen Regierungslager. Der Peronismus ist eine historische Sammelbewegung, die von rechtsliberal bis linksradikal reicht, und in der die Führungsfigur den Kurs der nächsten Jahre bestimmt. Kontinuität ist eher die Ausnahme.

Egal, ob der Hauptstadtbürgermeister und rechte Millionär Mauricio Macri, der peronistische Ex-Motorboot-Rennfahrer und Gouverneur Daniel Scioli oder ein Dritter das Rennen macht - die Herausforderungen sind enorm: Die Gesellschaft versöhnen, den Rechtsstaat stärken, Argentinien international wieder kreditwürdig machen, die Inflation zurückdrängen, die steigende Gewaltkriminalität bekämpfen, die marode Infrastruktur erneuern - das sind nur Auszüge aus der Aufgabenliste.

Nicht alle diese Probleme sind den Kirchners anzulasten. Sie sind auch Erbe des seit den 1940er-Jahren vorherrschenden "antidemokratischen Modells" Peróns, wie Historiker Juan José Sebreli erklärt: "Der peronistische Populismus, bei dem ein starker Führer das Geld mit vollen Händen verteilt, begeistert die Massen bis heute." Doch die argentinische Geschichte hat auch gezeigt, dass auf den Rausch die Krise folgt. (Sandra Weiss, DER STANDARD, 3.3.2015)

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