Zwischen Sünde und Segen – Main

In Brasilien stand die Kirche dem Putsch zunächst wohlwollend gegenüber, wurde aber mit der Lichtgestalt Hélder Câmara bald zum stärksten Gegenspieler des Regimes. In Chile und Paraguay gingen viele Bischöfe mutig auf Gegenkurs zu den Schergen der Diktatoren. In welche Richtung auch immer: Das Wort der Kirche hat und hatte Gewicht in den Ländern, wo mitunter 90 Prozent der Menschen katholisch sind. Dessen waren sich auch die Diktatoren bewusst.

Argentinien: In Argentinien gab es eine der engsten Verknüpfungen des Militärs mit der Hierarchie der katholischen Kirche. Die drei Vorsitzenden der Bischofskonferenz während der Militärdiktatur (1976-1983), die Kardinäle Raúl Primatesta und Juan Carlos Aramburu sowie Erzbischof Adolfo Tortolo, standen von Anfang an in nahem Kontakt zum Diktator Jorge Rafael Videla. Tortolo, der auch Militärvikar war, soll nach mehreren Zeugenaussagen sogar die Folter als »Weg zur Sündensühne« gerechtfertigt haben.
Nur ein knappes halbes Dutzend der rund 90 argentinischen Bischöfe prangerte öffentlich die Diktatur an. Einer von ihnen, der Bischof von La Rioja, Enrique Angelleli, kam 1976 bei einem mysteriösen Autounfall ums Leben. Die Justiz stufte den Fall erst 2012 als Mord ein und leitete einen Prozess gegen Videla und andere Militärs ein. Bis auf die wenigen kritischen Bischöfe hatten jedoch zur Zeit des »Unglücks« sowohl die argentinische Kirche als auch der Vatikan die offizielle »Unfall«-Erklärung schweigend oder gar billigend hingenommen.
Die Kirchenführung verschleierte die Regierungsverantwortung auch in anderen Fällen, in denen Glaubensbrüder und -schwestern ins Fadenkreuz der Diktatur gerieten. Etwa bei der Verschleppung, Folterung und Ermordung der französischen Nonnen Alice Domon und Léonie Duquet und dem Blutbad im Pallottiner-Pfarrhaus in Buenos Aires. Dort wurden drei Pfarrer und zwei Seminaristen ermordet. Jorge Bergoglio war der Beichtvater einer der Ermordeten.
Einige Dokumente der Kirche verurteilten zwar Morde und Folterungen, aber ohne die Militärregierung dafür verantwortlich zu machen. Man könne inmitten des blutigen Konfliktes von den Sicherheitskräften nicht »chemische Reinheit wie zu Friedenszeiten« fordern, hieß es dort makaber. Nach fester Überzeugung des katholischen Menschenrechtlers Emilio Fermín Mignone hätte eine energischere Reaktion der Bischofskonferenz damals Tausenden das Leben retten können.
Chile: In Chile verlief die Beziehung zwischen Diktatur und Kirche anders. Auch dort gab es einen starken konservativen Kirchenflügel und eine streng katholische Bildung des Militärs. Die Kirche war aber unabhängiger vom Staat und gleichzeitig über die starke Christdemokratische Partei enger mit der Zivilgesellschaft verflochten. Zudem wurde sie in den ersten zehn Jahren der Diktatur (1973-1990) von Augusto Pinochet von der überragenden Figur des Erzbischofs von Santiago, Raúl Silva Henríquez, geführt. Das von ihm gegründete »Solidaritäts-Vikariat« wirkte als autonome Institution der Kirche. Es unterstützte politisch Verfolgte und machte als internationales Sprachrohr die Menschenrechtsverletzungen öffentlich.
Auch das Vikariat geriet ins Visier der Pinochet-Schergen. Ein Mitarbeiter wurde 1985 von Sicherheitskräften getötet. Geheime Dokumente, die 2012 von der Nachrichtenagentur dpa veröffentlicht wurden, belegen, dass hohe Regierungsstellen damals das Vikariat bespitzeln ließen. Mehrere ausländische Mitarbeiter wurden ausgewiesen. Erzbischof Silva Henríquez war zu dem Zeitpunkt bereits im Ruhestand und hatte Einfluss verloren, nachdem Johannes Paul II. zum Papst gewählt worden war.
Paraguay: In Paraguay hatte die langjährige Diktatur des Generals Alfredo Stroessner (1954-1989) über die Colorado-Regierungspartei und das Heer eine effektive gesellschaftliche Kontrolle aufgebaut. Allein die katholische Kirche bot sich an als institutionelle Instanz für die Unzufriedenheit unter der Landbevölkerung. Unter dem Einfluss des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) setzten sich seit Anfang der 60er Jahre Priester und auch Bischöfe für die armen Bauern und ihre Forderungen ein. Einer von ihnen, der spanische Jesuit José Luis Caravias, erklärte vorige Woche, der jetzige Papst Franziskus habe ihm das Leben gerettet, als die Schergen der Diktaturen Paraguays und Argentiniens ihn in einer grenzüberschreitenden Aktion fassen wollten.
Die paraguayische Bischofskonferenz kritisierte wiederholt die »Verewigung« Stroessners an der Macht. Die Regierung reagierte mit Zensur und Ausweisungen ausländischer Patres. Die Kirche antwortete in einem Fall mit der Exkommunizierung des Innenministers und des Polizeichefs. Die Spannung erreichte einen Höhepunkt mit dem Besuch von Johannes Paul II., der sich offen für eine demokratischere Gesellschaft in Paraguay aussprach. Ein Jahr später wurde Stroessner gestürzt.
Brasilien: Auch Brasilien erlebte in der Militärdiktatur (1964-1985) brutale Unterdrückung, Folterung und Morde an politisch Andersdenkenden. Die einflussreichen Kirchenkreise standen dem Putsch zunächst wohlwollend gegenüber, dachten sie doch, nur so könne einem drohenden Kommunismus Paroli geboten werden. Diese Einstellung änderte sich aber rasch, als das Regime eisenhart durchgriff. In dieser »Hochzeit der extremen Gewalt« gegen die Bürger habe die Kirche eine herausragende Rolle im Kampf gegen Unterdrückung und Folter übernommen und unnachgiebig die Achtung der Menschenrechte gefordert, sagte der brasilianische Befreiungstheologe Paulo Suess. »Die katholische Kirche verwandelte sich in die wichtigste Institution der Opposition gegen die Militärdiktatur.«
Dom Hélder als Anwalt der Armen
International bekannt wurde vor allem der unermüdliche Kampf des Erzbischofs von Recife und Olinda, Dom Hélder Câmara (1909-1999), der von Brasiliens Rechten schnell den Beinamen »Bispo Vermelho« (Roter Bischof) bekam. Er war es, der auf seinen Auslandsreisen zum Teil vor Tausenden Zuhörern die Militärregierung und die Missstände in seinem Land anprangerte. Er wurde verfolgt und entging mehreren Attentaten. Sein Name durfte zeitweise weder im Radio noch im Fernsehen genannt werden. Der mehrfach für den Friedensnobelpreis nominierte Dom Hélder galt als »Anwalt der Armen« - ganz wie der jetzige Papst Franziskus. dpa

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