Zum Tode von Robert Schopflocher Das Komplott zu Lima: Eine Geschichte der …

Auf Druck Spaniens und der Inquisition der katholischen Kirche verfügte Portugals König Manuel I. 1496, dass sich die Juden im Lande taufen lassen oder auswandern mussten. Spätestens nach zwei Pogromen Anfang des 16. Jahrhunderts verließen sie Portugal. Viele von ihnen fanden in Brasilien eine neue Heimat. Doch gerade einmal ein Jahrhundert lang war ihnen dort Ruhe vergönnt, bis die Inquisition ihren Arm auch nach Portugals südamerikanischer Kolonie ausstreckte. Um die Verfolgung dieser einst von Europa nach Südamerika ausgewanderten Juden geht es in "Das Komplott zu Lima", dem neuen Roman des Deutsch-Argentiniers Roberto Schopflocher. Vorausgeschickt sei, dass der Autor nicht nur ein akribisch recherchiertes Buch über das Leben im Südamerika des 17. Jahrhunderts vorgelegt hat, sondern auch die unheilvolle Rolle der Inquisition bedrückend anschaulich schildert, am Beispiel der Familie Acosta.

Im Mittelpunkt des Romans steht deren Tochter Elvira. Sie ist noch ein Kind, als sie mit ihren Eltern und dem älteren Bruder per Schiff Buenos Aires erreicht, weil die Familie in Brasilien nun auch nicht mehr sicher war. Überstürzt musste sie die eigene Kaffeefarm aufgeben, und damit ihr gesamtes Vermögen. Wir schreiben das Jahr 1609.

Die Mutter leidet darunter, ihren Glauben verleugnen zu müssen

"Den Andeutungen der Erwachsenen hatte sie entnommen, dass viele der Onkel und Tanten, Cousinen und Vettern in sämtliche Himmelsrichtungen geflohen waren, die meisten von ihnen nach der rettenden Karibik. In Orte, deren fremdartige Namen sie sich nicht gemerkt hatte. Dennoch war mehr als einer den Inquisitoren aus Lissabon in die Hände gefallen; wer weiß, was aus ihnen geworden war. Warum nur, warum? Und was ist eigentlich ein Inquisitor?",

fragt sich die halbwüchsige Elvira. Schopflocher schreibt chronologisch, im Rückblick und in der dritten Person. Ein allwissender Erzähler begleitet Elvira Acosta und schaut in ihre Gedanken. Formal hat die Familie dem Judentum abgeschworen. Vor allem der Vater bemüht sich sehr darum, als guter Christ zu gelten, denn er soll in Buenos Aires die Handelsvertretung für einen reichen Cousin aus Lima aufbauen, und da braucht er gute Kontakte zu den örtlichen Honoratioren, die fast ausnahmslos seit Generationen katholisch sind. Doch immer wieder schlägt der Familie Misstrauen entgegen, wie allen getauften Juden, die man damals Neuchristen nannte. Auch Elvira bekommt dies zu spüren, wenn der Vater ihrer Jugendliebe Cristóbal sie aushorcht:

"'Schweinefleisch bekommt Euch also nicht?', forschte der Vater Cristóbals. Eine Drohung schwang in der Frage mit; erneut ballte er seine Hände. Nun wurde die völlig Eingeschüchterte einem scharfen Verhör unterzogen. Der Alte wollte wissen, ob ihre Mutter freitagabends Kerzen anzündete, ob sie sich an diesem Tag bade und die Kleidung wechselte, um den Sabbat zu ehren. Streng erkundigte er sich, welche Fasttage man in ihrem Hause einhalte, welche Gebete man verrichtete und ob der Vater etwa die Bibel auf Spanisch lese."

Elviras Mutter Felipa pflegt im verborgenen noch jüdische Traditionen, die Schopflocher in seinem Roman beschreibt und im angefügten Glossar am Ende erläutert. Mehr als die übrige Familie leidet Felipa darunter, ihren Glauben verleugnen zu müssen. Sie fürchtet Gottes Strafe, als ihr Mann sie zwingt, Elviras neugeborene Schwester Beatriz taufen zu lassen, um der Inquisition keine Angriffsfläche zu bieten:

Schopflocher versteht es besonders gut, Nöte und Stimmungen zu schildern

"Als sie von ihrem Mann auf die Konflikte hingewiesen wurde, die eine Verzögerung der Taufe unweigerlich nach sich ziehen würde, zitierte sie die Heilige Schrift im altertümlichen Ladino ihrer Vorfahren aus Hispanien: 'Vor fremden Göttern sollst du dich nicht niederwerfen und ihnen nicht dienen. Denn ich bin ein eifervoller Gott, der die Schuld der Väter an den Kindern am dritten und vierten Grad ahndet.' Beatriz wurde selbstverständlich getauft. Dass Felipa das Weihwasser verstohlen abwischte, bemerkten zu ihrem Glück die wenigsten."

Felipas Geist schweift oft verwirrt in die Welt ihrer europäischen Ahnen ab, und Tochter Elvira leidet unter dem düsteren Schweigen der Mutter. Kaum hat sich die Familie in Buenos Aires etabliert, kommt die Inquisition auch hier bedrohlich nahe, und wieder heißt es für das Mädchen, sich von den Freundinnen und von Cristóbal zu verabschieden und überstürzt aufzubrechen, zunächst nach Córdoba, dann nach Tucumán und schließlich nach Lima, immer aus Angst um das eigene Leben, weil viele Altchristen ihnen nicht abnehmen, dass sie ebenfalls gläubige Christen sind. Oder weil sie es ihnen aus Missgunst oder Antipathie nicht abnehmen wollen.

Sehr einfühlsam arbeitet Autor Roberto Schopflocher heraus, was es heißt, in ständiger Angst zu leben, schon als Kind immer auf der Hut sein und Glauben und Traditionen verstecken zu müssen. Und er stellt dar, wie sehr es schmerzt, nie Wurzeln schlagen und dauerhaft Freundschaften schließen zu können.

Die Geschichte der Vertreibung und Ermordung der Juden hat sich im zwanzigsten Jahrhundert im Nazi-Deutschland in potenzierter Form wiederholt, und Roberto Schopflocher hat dies selbst erlebt. Wohl deshalb versteht er es besonders gut, die Nöte und Stimmungen seiner Protagonistin Elvira zu schildern, ohne in Larmoyanz oder Kitsch zu verfallen. Seine Sprache bleibt kühl und distanziert, es ist vielmehr die exakte und detailgenaue Beschreibung, mit der er beim Leser Mitgefühl weckt.

Das Leben in Lima lässt sich gut an. Elvira steht dort unter dem Schutz des Vetters ihres Vaters, des mächtigen Kaufmanns Manuel Bautista - auch er Neuchrist wie die Acostas. Cristóbal, die Liebe ihrer Mädchenjahre, hatte Elvira in Buenos Aires zurücklassen müssen, und er war katholischer Priester geworden, doch sie verliebt sich neu, in einen Vertrauten Bautistas, heiratet schließlich und bekommt einen Sohn. Es scheint, als sollte sie endlich Ruhe finden.

Elvira muss wieder fliehen

Doch Bautistas Feinden ist nicht nur sein politischer Einfluss ein Dorn im Auge, sie trachten auch nach seinem Vermögen. Wieder ruft man mit vermeintlichen Beweisen über angebliche Glaubensverfehlungen des Kaufmanns die Inquisition auf den Plan. Sie verfährt nach dem gleichen Muster wie rund vier Jahrhunderte später die Nazis: Sie schürt Hass gegen den Kaufmann, seine Familie und seine Freunde. Sie schmiedet das Komplott zu Lima, an dessen Ende die Vernichtung oder Vertreibung der meisten Juden Limas steht.

"In Zehnergruppen, angeführt vom Oberhenker, ... wurden Männer und Frauen gleichermaßen mit bloßem Oberkörper durch die Straßen getrieben. Elvira konnte den Blick nicht von den schmerz- und schamverzerrten Gesichtern ihrer Bekannten wenden, deren Fleisch von Peitschenhieben zerfetzt wurde."

Elvira wird eingekerkert, verliert den Mann, und der Sohn verschwindet. Aus dem Gefängnis entlassen, ist es die Suche nach dem Sohn, die sie am Leben hält und die sie unter meist abenteuerlichen Umständen erst nach Santiago und wieder nach Buenos Aires führt. Will man dem Buch eine Botschaft zuschreiben, dann die, dass es immer einen Grund gibt, nicht aufzugeben und weiterzuleben. Und dass man überall Menschen trifft, die sich nicht von Hass und Habgier leiten lassen.

Der Autor lässt die beginnende Kolonialzeit sehr lebendig vor dem geistigen Auge entstehen, als die heutigen Millionenstädte Buenos Aires und Santiago noch hinterwäldlerische Kleinstädte fernab des pulsierenden Lebens waren, das zu jener Zeit in Lima stattfand. Doch darüber hinaus hat Roberto Schopflocher mit "Das Komplott zu Lima" eine Familiensaga um eine glaubhaft skizzierte Heldin geschrieben, mit der der Leser lebt und leidet.

Roberto Schopflocher: "Das Komplott zu Lima".
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2015, 447 Seiten, 24,90 Euro.

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