Zeit, sich zu erinnern

Die Verbrechen der Franco-Diktatur sind bis heute straflos geblieben. Jetzt fordert eine argentinische Richterin von Spanien die Auslieferung mutmalicher Folterer. Drei Opfer erinnern sich an die Franco-Zeit.

MARTIN DAHMS | 09.10.2013

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Spanier protestierten Ende September in Madrid mit Bildern von Opfern der Franco-Diktator. Die Demonstranten fordern, jene endlich zur Verantwortung zu ziehen, die damals Regimegegner verfolgt, gefoltert und ermordet haben. Foto: afp

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Mara Rumn, Jess Rodrguez Barrios und Felisa Echegoyen (von links nach rechts): Alle drei haben unter der Franco-Diktatur in Spanien gelitten. Foto: Martin Dahms

Am 13. Oktober 1974, als bis zum Ende der Franco-Diktatur in Spanien nur noch ein gutes Jahr vergehen sollte, vermeldete die regimetreue Tageszeitung "ABC" unter der nchternen berschrift "Wichtiger Einsatz der Polizei" die Festnahme von zehn mutmalichen Mitgliedern der Liga Comunista Revolucionaria. Eine der Festgenommenen war die 26-jhrige Felisa Echegoyen. Beamte hatten beim Betreten der Wohnung im Madrider Stadtteil Lavapis einen Geruch nach verbranntem Papier bemerkt. "Sie retteten einige Papiere und stellten fest, dass es sich um heimliche Propaganda handelte", informierte "ABC".

Felisa Echegoyen ist heute 65 Jahre alt und hat nichts vergessen. "Als sie zu mir in die Wohnung kamen, hatten sie schon einige Mitglieder der Liga Comunista Revolucionaria festgenommen", erzhlt sie mit leiser Stimme. "Sie beobachteten mein Haus den ganzen Tag." Dass sie verdchtige Unterlagen verbrannte, ntzte ihr nichts. Die fnf Polizisten waren schneller. "Sie brachen die Tr auf, und da fingen sie schon an, Schlge auszuteilen."

Die junge Frau wurde von den Polizisten in die Direccin General de Seguridad (DGS) gebracht, die berchtigte "Sicherheitsgeneraldirektion" an der Madrider Puerta del Sol, keinen Kilometer von ihrer Wohnung entfernt. "Die DGS war die Folterkammer", sagt Echegoyen. "Sie prgeln dich, sie treten dich. Das war das mindeste, was sie mit dir taten. Und dabei kann ich mich noch glcklich schtzen. Die Folter, mit der Billy el Ni·o andere Kameraden traktierte, die ich spter sah, war weit furchtbarer."

Billy el Ni·o - spanisch fr Billy the Kid - war der Name, den Spaniens Oppositionelle dem Polizisten Juan Antonio Gonzlez Pacheco gaben, dem am meisten gefrchteten Mitglied der Brigada Poltico-Social, der franquistischen Geheimpolizei. "Er war klein, hsslich, mit hervorspringenden Augen. 28 Jahre alt, nur zwei Jahre lter als ich. Und er genoss es zu foltern. Man merkte es ihm an, weil er inmitten des Wtens, wenn er dir Ohrfeigen und Tritte gab, einen Ausdruck der Freude, der Zufriedenheit zeigte", erinnert sich Echegoyen. Seinen Beinamen erhielt er wegen seines Alters und wegen der Angewohnheit, seine Pistole wie ein Cowboy um den Finger kreiseln zu lassen.

Der heute 66-jhrige Gonzlez Pacheco alias Billy el Ni·o ist einer von drei spanischen Ex-Polizisten, deren Festnahme die argentinische Richterin Mara Servini beantragt hat - ein vierter Mann, der auf ihrer Liste steht, ist mittlerweile tot. Die Juristin vom Bundesstrafgericht Nummer 1 in Buenos Aires untersucht seit 2010 die systematischen Menschenrechtsverletzungen unter der Diktatur des Generals Francisco Franco. Die internationalen Haftbefehle gegen die drei mutmalichen Folterer und die dazugehrigen Auslieferunsbegehren an Spanien sind eine erste, spektakulre Folge ihrer Ermittlungen.

In Spanien sind die Verbrechen des Franco-Regimes nie verfolgt worden; ein Amnestiegesetz aus dem Jahr 1977 garantiert Straflosigkeit fr alle politisch motivierten Delikte aus jener Zeit. Nach weit verbreitetem Rechtsverstndnis, das auch die Richterin Servini teilt, knnen Verbrechen gegen die Menschlichkeit jedoch weder verjhren noch durch eine Amnestie straffrei gestellt werden. Weil sich Spanien weigert, seine eigene Vergangenheit juristisch aufzuarbeiten, ist Argentinien eingesprungen. Vor 15 Jahren war es der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzn, der sich um die Menschenrechtsverletzungen der chilenischen Pinochet-Diktatur und der argentinischen Militrjunta kmmerte. "Nun erwidern wir den Gefallen", sagt Ana Messuti, eine argentinische Anwltin, die die spanischen Klger in Buenos Aires vertritt.

Einer der Klger ist der 59-jhrige Jess Rodrguez Barrios. Drei Mal wurde er in den letzten Jahren des Franquismus wegen Beteiligung an illegalen Demonstrationen - "alle Demonstrationen waren damals illegal" - oder "illegaler Vereinsbildung" festgenommen. Im April 1975 verbrachte er 72 Stunden in den Verliesen der DGS an der Madrider Puerta del Sol. "Das war die Standardfestnahme damals", sagt er. Dass auch er unter Anspannung steht, wenn er von damals berichtet, ist ihm anzusehen. "Um es so zu sagen: Ich wurde nur geschlagen, wie es normal war. Drei Verhre, mit Schlgen an verschiedenen Stellen des Krpers. Ich wurde damit bedroht, auf der Stelle erschossen zu werden, wenn ich nicht alles unterschriebe, was sie wollten. Und dann alle Arten der Beleidigungen, der Erniedrigungen, der Schikanen. Aber sie bekamen nichts aus mir heraus."

Was sich Rodrguez besonders eingebrannt hat, ist das Gefhl der Verlorenheit, whrend er in den Verliesen auf das nchste Verhr wartete. "Wir waren da unten eingesperrt und hrten drauen die Leute vorbeigehen, die keine Ahnung hatten, was mit uns geschah. Wir hrten, wie sie lachten, denn die Leute kamen zur Puerta del Sol, um es sich gut gehen zu lassen." Die Puerta del Sol ist einer der meistfrequentierten Pltze im Herzen der Madrider Altstadt, wo sich die Menschen fr ihr Abendvergngen treffen. Die wenigsten von ihnen kennen die Geschichte der Ex-Sicherheitsgeneraldirektion, in deren Gebude sich heute die Madrider Regionalregierung befindet. "Ich habe einen Sommer in Berlin verbracht", erzhlt Rodrguez. "Dort erinnern in den Straen Stolpersteine an die deportierten Juden. Aber an der ehemaligen DGS erinnert nicht die kleinste Plakette an die Personen, die dort gefoltert worden sind. Es ist unglaublich, ein Symbol fr den Gedchtnisverlust in Spanien."

Dass Spanien seine Erinnerung wiederfindet, das wre fr Jess Rodrguez, fr Felisa Echegoyen und fr die 55-jhrige Mara Rumn, der glcklichste Ausgang des argentinischen Verfahrens gegen ihre Folterer. Rumn, die mit 17 Jahren drei Tage in den Kellern der DGS verbrachte, will, "dass die spanische Gesellschaft ber den Franquismus diskutiert und ihn verurteilt". Das klingt so selbstverstndlich. Ist es aber 38 Jahre nach dem Tod des Diktators immer noch nicht. "Wir haben uns immer als Kmpfer betrachtet", sagt Rodrguez. "Jetzt wissen wir, dass wir beides waren: Kmpfer und Opfer."

Leiden unter dem "Generalsimo"

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