Wo die Uhren anders ticken – Nordwest

Abbehausen/Córdoba
Eines hat Miles Schöckel gelernt: „Zeit ist relativ.“ Dreieinhalb Monate war der 25-Jährige in Argentinien, arbeitete, reiste und lernte die Sprache. „Da geht keine Uhr richtig, auch die am Kirchturm nicht.“


Gedacht war die Tour ins sommerliche Südamerika als Lückenfüller, erzählt Miles Schöckel, der aus seiner Heimat in Abbehausen bereits zahlreiche Touren abseits des Pauschaltourismus unternommen hat (die NWZ  berichtete). Nachdem er im August vergangenen Jahres sein Bachelor-Studium in Osnabrück abgeschlossen hatte, wollte er gleich den Master in Maschinenbau hinterherschieben.

Von der Stadt aufs Land

Doch er bekam keinen Studienplatz. „Die Absage der Hochschule kam ziemlich kurzfristig, ich hatte wenig Zeit, um irgendetwas zu organisieren“, sagt der 25-Jährige. Fünf Wochen später, am 4. Oktober, landete er bereits in der Millionen-Metropole Córdoba, der zweitgrößten Stadt Argentiniens. Ohne Sprachkenntnisse, aber mit Armbanduhr. „,Die brauchst du hier nicht‘, wurde mir gesagt“, erinnert sich Miles Schöckel. Warum, wurde ihm schnell klar. „In Argentinien sind alle viel entspannter, die haben Zeit ohne Ende“, sagt der 25-Jährige. „Wenn ich mich mit einem Argentinier verabredet hatte, musste ich immer warten“, meint er. Das habe ihn anfangs gestört. „Aber nach zwei Monaten kommt man selbst zu spät.“

Nach diesen zwei Monaten hatte Miles Schöckel bereits einen fünfwöchigen Sprachkurs in Córdoba hinter sich – schließlich wollte er Spanisch lernen – sowie fünf Wochen Arbeit auf einer Farm in der Region. „Mitten in der Pampa“, sagt er.

Zwischen Bergen, 13 Kilometer bergab zum nächsten Dorf, fütterte der 25-Jährige auf der Farm, deren Haupteinnahmequelle das Vermieten von kleinen Appartements an Stadtbewohner ist, Tiere, beseitigte Unkraut mit einer Machete, baute Möbel oder bewässerte Gemüse – ganz ohne Gehalt. „Ich habe sogar dafür bezahlt, dass ich arbeiten durfte“, sagt Miles Schöckel.

Wenn er ins Dorf wollte, blieb ihm manchmal nur ein Pferd als Transportmittel, und das war gar nicht so einfach zu beschaffen. „Ich bin mit einem Eimer voll Mais in die Berge, und habe eines der Tiere gesucht“, erzählt er.

Wüste und Wasserfälle

Der Trip nach Argentinien war nicht die erste Reise von Miles Schöckel: 2012 wanderte er auf dem Jacobsweg, ein Jahr zuvor fuhr er mit seiner Schwester Tomke auf einem Roller 3200 Kilometer nach Spanien. In Serbien, Ungarn und Kroatien war der 25-Jährige auch schon abseits der üblichen Touristen-Ziele.

Vielleicht traf ihn der Kulturschock, von dem ihn andere Südamerika-Reisende berichtet hatten, nicht so heftig. „In Argentinien ist alles viel familiärer. In Deutschland wartet man auf den Bus und neben dir steht einer und starrt auf sein Handy, der nächste hat Kopfhörer auf“, sagt er. „In Argentinien spricht dich gleich der erste ganz unverbindlich an. Man ist nie alleine.“

Das habe er auch auf seinen Reisen erlebt, die er in den Wochen nach der Arbeit unternahm. „Ich war im ganzen Norden unterwegs“, erzählt Miles Schöckel, meist in Bussen bei tropischen Temperaturen. „Die waren aber sehr gut ausgestattet. Wenn es geregnet hat, stand nur ab und an das Wasser im Gang“, sagt er.

Der 25-Jährige hat die Iguazú-Wasserfälle gesehen, war in der Salzwüste in Salta, in Buenos Aires, Rosario und auf einem Oktoberfest. „Das sieht ganz anders aus als in Deutschland“, sagt er. Das Bild, das die Nachkommen der deutschen Auswanderer von ihrem Ursprungsland haben, habe ihn eher an die Schweiz erinnert. „Die haben in ihren Dörfern sogar kleine Berghütten.“

In der kommenden Woche startet Miles Schöckels Masterstudium, doch der 25-Jährige hat schon wieder neue Reisepläne. „Eine Kajak-Tour in Skandinavien, Bergsteigen in Island oder auf Korsika, nächstes Jahr vielleicht eine Rallye durch Afrika.“ Auch Auswandern komme irgendwann einmal infrage, sagt er. „Irgendwohin, wo die Sonne scheint.“

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