Sie hatte das Pech, zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort zu sein – 1977, in Argentinien. Elisabeth Käsemann ist der Name jener Frau, die heute kaum noch jemand kennt. Elisabeth Käsemann starb, weil Politiker wie der frühere Außenminister Genscher sie als Terroristin eingeordnet hatten. Sie starb, weil der Deutsche Fußballbund nichts anderes im Sinne hatte als unbelastet Fußball zu spielen. Die Doku „Das Mädchen – Was geschah mit Elisabeth K.?“ (ARD, Donnerstag, 22.45 Uhr) begibt sich auf die Spur der deutschen Studentin. Bis in das Konzentrationslager, in dem sie gefoltert wurde.
30.000 sterben in den Folterlagern
Diese Geschichte ist eine der Konjunktive. Man hätte! Man hätte sich mehr kümmern müssen, ... Druck machen müssen, ... intervenieren müssen! All das geschah nicht. Erst jetzt, 37 Jahre später, beleuchtet der Film des mehrfach mit Grimme-Preisen ausgezeichneten Journalisten Eric Friedler die Hintergründe ihres Todes.
In Argentinien sind Geheimakten der Militärdiktatur gefunden worden. Bei den in einem Luftwaffen-Gebäude entdeckten Dokumenten handelt es sich um Regierungspläne sowie mehrere "schwarze Listen" von Intellektuellen und Künstlern. In sechs Mappen wurden insgesamt 280 Originalakten entdeckt.
Es sind beklemmende Dokumente der Ignoranz. Erstmals äußern sich Politiker wie die damalige Staatsministerin Hildegard Hamm-Brücher und Klaus von Dohnany, aber auch Sportler wie Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge zu dem Fall, mit dem sie alle zu tun hatten. Direkt oder indirekt.
Elisabeth Käsemann war tatsächlich keine Terroristin. Sie war eine junge Frau, die gerade einmal 30 Jahre alt wurde. Beseelt von der 68er-Bewegung, von dem Wunsch, sich in der Dritten Welt zu engagieren, geht sie Ende der 60er-Jahre nach Argentinien, nach Buenos Aires, wo sie Sozialarbeit weiterstudiert und in den Slums hilft.
Auch Diana Austin wird geschlagen und vergewaltigt
Nachdem 1976 die Militärs putschen, verschwinden Zigtausende von Menschen in den Folterlagern des Regimes. 30.000 Menschen werden ermordet. Käsemann und ihre Freundin Diana Austin, eine Theologiestudentin, schließen sich einem Netzwerk an, das Verfolgte mit gefälschten Dokumenten außer Landes bringt.
Diana wird ihre Freundin ein letztes Mal am Abend des 8. März 1977 sehen. Zum Frühstück am nächsten Morgen kommt sie nicht mehr. Austin: „Wenn damals jemand nicht zu einer Verabredung kam, rechnete man mit dem Allerschlimmsten!“,
Noch einmal wird sie in die Nähe von Elisabeth gelangen. Zwei Tage später, als auch sie in das Folterzentrum des Regimes gebracht wird, hört sie ihre Schreie aus dem Zimmer nebenan, hört sie, wie Elisabeth mit Elektroschocks traktiert wird. Diana Austin selbst, die Britin, wird geschlagen, vergewaltigt und wieder freigelassen. Austin flieht nach New York, informiert die Eltern ihrer Freundin, informiert auch Amnesty International.
Freundschaftsspiel in Buenos Aires findet statt
Eric Friedlers Reportage lässt all jene Menschen zu Wort kommen, die mit dem Fall zu tun hatten. Die Politiker des Außenministeriums, die nicht handelten, nicht diplomatisch aktiv wurden. Die Fußballer der deutschen Nationalmannschaft, die zur selben Zeit ein Freundschaftsspiel in Buenos Aires austrugen, die erst später erfuhren, dass DFB-Chef Hermann Neuberger durchaus vom Fall Käsemann wusste. Nationalspieler Paul Breitner: „Sie hatten nicht einmal ausgelotet, ob es Möglichkeiten gegeben hätte, sie zu befreien“.
Und während Briten und Österreicher ihre Landsleute aus dem KZ befreien, verteidigte der deutsche Botschafter in Buenos Aires bis zu seinem Tod sein Nichtstun. Hans-Dietrich Genscher selbst hatte dem Journalisten Friedler ein Interview zugesagt. Doch am Ende bleibt sein Stuhl im Studio leer.