Rette sich, wer kann - getreu diesem Motto fliehen Investoren aus den lange so beliebten Schwellenländern. Die Sorgen um das angeschlagene Argentinien werden immer größer, die türkische Lira fällt von einem Rekordtief zum nächsten.
Die Währungen vieler Schwellenländer kennen derzeit nur eine Richtung: nach unten. Ob türkische Lira, brasilianischer Real, südafrikanischer Rand oder indische Rupie - sie alle werden in großem Stil auf den Markt geworfen. Der russische Rubel fällt zum Euro auf seinen bislang tiefsten Wert. In der Türkei ruft die Notenbank eine Dringlichkeitssitzung ein, um die Währung zu stützen. Derweil kapituliert Argentinien vor dem Devisenmarkt und lockert die Bindung des Peso an den US-Dollar. "Wir sehen den perfekten Sturm - die denkbar ungünstigste Verkettung schlechter Nachrichten", sagt Edwin Gutierrez, Anlagestratege der Fondsgesellschaft Aberdeen.
Die Währungen der ehemaligen Boom-Länder stehen vor allem unter Druck, weil die US-Notenbank Fed ihre lockere Geldpolitik drosselt. Das führt zu einer Aufwertung des Dollar und höheren Renditen auf amerikanische Staatsanleihen. Diese zwei Faktoren machen Schwellenländer für Investoren weniger attraktiv. Sie ziehen massiv Mittel aus den Regionen ab, die in den vergangenen Jahren von der Liquiditätsschwemme profitiert hatten. Lange Zeit waren die aufstrebenden Volkswirtschaften sehr begehrt, da sie in Zeiten niedriger Zinsen attraktivere Renditen versprachen. Doch nun wird es für Investoren wieder attraktiver, ihr Geld in sichereren Standorten anzulegen. Hinzu kommen politische Krisen, die etwa in der Türkei und Argentinien den Ausverkauf beschleunigen.
Angst von Ansteckungseffekten
"Marktteilnehmer befürchten, dass die Schwäche einiger Währungen sich zu einer breiteren Schwellenländerkrise auswachsen könnte", sagt Commerzbank-Analyst Rainer Guntermann. Die Nervosität an den Märkten bleibe hoch. Währungskrisen in Schwellenländern können teuflisch sein, warnt Chefökonom Holger Schmieding von der Berenberg Bank. 1997 beispielsweise wurde ausgehend von Thailand davon ganz Asien erfasst. Diesmal fürchtet Schmieding aber keinen Flächenbrand. China steht seiner Ansicht nach solide da. Auch Südkorea oder Malaysia seien robuster als vor 17 Jahren. Schmieding sagt aber auch: "Länder mit großen Leistungsbilanzdefiziten, politischen Turbulenzen und hoher Abhängigkeit von Rohstoffpreisen sind verwundbar."
Der Absturz der Lira löste Verluste bei vielen anderen Währungen aus. Erst im vergangenen Sommer war es zu einer ähnlichen Kettenreaktion gekommen. Die Lage in der Türkei habe gezeigt, dass die Notenbanken der Schwellenländer in einer ziemlich komplizierten Lage sind, sagt Peter Kinsella, Devisenstratege für Schwellenländer bei der Commerzbank. "Wenn sie ihre Probleme nicht bald in den Griff bekommen, dann könnte sich die Korrektur auf dem Devisenmarkt zu einer Währungskrise ausweiten."
Am vergangenen Freitag lösten Sorgen um Argentinien neue Turbulenzen aus. Dort hatte die Notenbank zunächst die Kopplung des Peso an den Dollar gelockert und dann einen Teil der Devisenkontrollen aufgehoben. Denn der Bank drohten die Devisenreserven für Stützungskäufe auszugehen. Der Peso verlor gegenüber dem Dollar bis zu zwölf Prozent an Wert, das sind die höchsten Verluste seit der Staatspleite Ende 2001. Dieser war ebenfalls eine deutliche Peso-Abwertung vorausgegangen.
Regierung und Zentralbank haben vor den Finanzmärkten kapituliert, meinen Analysten. Schließlich hatte Staatspräsidentin Cristina Fernández de Kirchner zuvor einen solchen Schritt noch kategorisch ausgeschlossen. "Der Markt explodiert", sagt Francisco Diaz Mayer, Devisenhändler bei ABC Mercado de Cambios.
Auch wenn in den Augen vieler Anleger Argentinien wegen seiner strengen Kontrolle bei Devisen, Handel und anderen Wirtschaftsbereichen ein Extrembeispiel ist, so sehen Marktexperten das Land doch stellvertretend für viele Schwellenländer, in denen sich Probleme häufen. Argentiniens Wirtschaft steckt in tiefer Krise. Die Inflation ist hoch, zudem ist die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas stark verschuldet und von internationalen Kreditmärkten faktisch ausgeschlossen.
"Fragile Fünf"
Das ist bei anderen Schwellenländern zwar nicht der Fall. Doch unter besonderem Druck stehen Volkswirtschaften, die abhängig von ausländischem Kapital sind, weil sie weniger exportieren als sie an Waren einführen. Unter Investoren haben sich Indien, Indonesien, die Türkei, Brasilien und Südafrika als besondere Wackelkandidaten herauskristallisiert – sie werden als "Fragile Fünf" bezeichnet.
In diese Länder flossen in vergangenen Jahren Milliarden. Denn im Kampf gegen die globale Finanz- und Wirtschaftskrise antworteten die großen Zentralbanken, allen voran die US-Fed, mit einer Geldflut. Ein großer Teil dieser Liquiditätsschwemme schwappte um den Erdball und blieb in den Schwellenländern hängen. Solange der Kreditfluss sprudelte, hatten viele Regierungen es mit den notwendigen Strukturreformen oftmals nicht eilig.
Das rächt sich nun. Investoren werden angesichts der nachlassenden Flut billigen Notenbankgeldes wählerischer bei der Auswahl ihrer Anlagen. Sie ziehen ihr Geld vor allem aus Ländern ab, deren Wachstum auf Pump finanziert ist und auf wackligen Beinen steht. "Das Ergebnis von alldem ist die Korrektur einer langen und herrlichen Rally", lautet das nüchterne Fazit von Unicredit-Chefvolkswirt Erik Nielsen.
Quelle: n-tv.de
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