Vorgetäuschte Entführungen Bleib ruhig, wir wollen nur dein Geld! – FAZ

© dpa

Angebliches Opfer am Telefon? In Argentinien nimmt die Zahl vorgetäuschter Entführungen zu

Telefon

© dpa



Angebliches Opfer am Telefon? In Argentinien nimmt die Zahl vorgetäuschter Entführungen zu

Buenos Aires, im Mai. Am Telefon klang es, als würde wieder einmal ein Gewinn in einem Preisausschreiben angekündigt, an dem man nie teilgenommen hat. Oder als wollten Meinungsforscher eine kurze Umfrage machen. Aber dann sagte der Mann am Telefon: „Bleiben Sie ruhig! Ihre Frau hatte gerade einen Unfall und ist entführt worden. Ich war Zeuge.“

Josef Oehrlein



Folgen:
 
 


Dann erkundigte sich der Mann nach dem Namen meiner Frau, als wolle er sicherstellen, dass er die richtige Person am Telefon hatte. Ich nannte einen falschen Namen. „Ja, ja, so hieß die Frau, die sie entführt haben“, sagte der Mann. Meine Frau war tatsächlich in der Stadt unterwegs. Ich fragte, wo sie denn den Unfall gehabt habe. Der Mann nannte eine Straßenkreuzung in Buenos Aires, die ich kannte, an der sich meine Frau aber auf keinen Fall aufgehalten haben konnte.

Zur Bekräftigung seiner Aussagen holte der Anrufer einen anderen Mann ans Telefon, der sich als Polizist ausgab. „Nur die Ruhe bewahren“, sagte der angebliche Polizist. „Wir werden das schon hinkriegen, wenn du tust, was wir dir sagen.“ Er habe den Unfall aufgenommen, bekundete er, und habe die Entführung beobachtet. Man wisse, wer die Täter seien. Ich fragte, woher er meine Telefonnummer habe. Er sagte, in den Unterlagen meiner Frau habe man die Adresse gefunden und von der Hausverwaltung die Nummer erhalten. Meine Frau habe am Steuer des Autos gesessen, das bei dem Unfall stark beschädigt worden sei.

Schlaftrunkene Angehörige sollen getäuscht werden

Ich legte den Hörer auf und hörte nie wieder etwas von der „Entführung“. Meine Frau erreichte ich kurz darauf am Handy. Sie war wohlauf und wusste natürlich nichts von Unfall oder Entführung. Und ein Auto benutzen wir in Buenos Aires gar nicht. Doch wie hatten die Täter die Telefonnummer herausgefunden? Verräterisch war, dass sie den Namen der Hausverwaltung nannten, eines Unternehmens, das schon seit Jahren nicht mehr für das Wohnhaus tätig ist. Waren die Täter an alte Akten des Unternehmens gekommen und hatten dort die Telefonnummern der Bewohner gefunden?

Mehr zum Thema

  •  Neuer Chef des Golf-Kartells in Mexiko festgenommen 
  •  Fall Kalinka: Er wollte Genugtuung 
  •  Mexiko: Anführer von „Zetas“-Kartell getötet 

Später erfuhren wir, dass es im Haus mehrfach ähnliche Anrufe gegeben hatte. In jüngster Zeit ist die Zahl dieser vorgetäuschten Entführungen in Argentinien wieder gestiegen. Über die Zahl der Erpressungsversuche gibt es keine verlässlichen Angaben. In den meisten Fällen wird nicht Anzeige erstattet. Auch ist der Verdacht nicht unbegründet, dass Polizisten oder frühere Polizisten zum Kreis der Täter gehören, ebenso wie Banden, die aus dem Gefängnis heraus operieren.

Meist wird eine beliebige Telefonnummer aus dem Telefonbuch gewählt, wobei wohlhabendere Viertel bevorzugt werden. Die Verbrecher geben vor, einen Angehörigen in ihrer Gewalt zu haben und fordern Lösegeld oder Wertgegenstände als „Gegenleistung“ für die Freilassung. Oder sie täuschen vor, als Helfer und Mittelsmänner tätig zu sein. Die Erpressungsversuche häufen sich Freitag Nacht, wenn die Kinder in Diskotheken tanzen und die besorgten Eltern, noch schlaftrunken, auf die Erpressungsversuche hereinfallen.

Angebliche Opfer schluchzen am Telefon

In jüngsten Fällen gaben sich die Erpresser als Polizisten oder Ärzte aus und ließen das angebliche Opfer am Telefon schluchzen. Fallen die Angehörigen auf den Betrug herein, stellen die „Entführer“ ihre Forderungen: Geldübergabe, meist an einer Straßenecke nahe der Wohnung der Eltern.

In den Medien werden regelmäßig Fachleute mit Ratschlägen zur Abwehr zitiert. Sie raten etwa, das Telefongespräch abzubrechen, bevor eine Drohung ausgesprochen werden kann. „Wer uns heute eine wirklich dringende Nachricht überbringen will, ruft auf dem Handy an. Die Festnetznummern stehen in den Telefonbüchern, deshalb benutzen die Kriminellen sie“, sagt ein Fachmann.

Ein Staatsanwalt, der mit Fällen virtueller Entführungen befasst ist, rät gar, Anrufe in den frühen Morgenstunden gar nicht erst entgegenzunehmen. Man solle klaren Kopf bewahren, nicht auf Fragen antworten und auf keinen Fall weitere Informationen liefern. Wer geistesgegenwärtig genug sei, könne die Täter mit der Nennung eines falschen Namens „enttarnen“. Die Anrufe basierten allein auf dem Zufallsprinzip.

Dennoch fallen immer wieder Leute auf die Tricks der Erpresser herein. Der Rektor einer argentinischen Universität bekannte kürzlich, dass er eine „beträchtliche Summe“ gezahlt habe, um seine angeblich entführte Tochter freizukaufen. Die Täter hatten ihn in den frühen Morgenstunden angerufen und eine Frauenstimme am Telefon ihn eindringlich bitten lassen, sie freizukaufen. „Die Stimme klang wie die meiner Tochter. Ich war unfähig, rational zu handeln, hörte die Geldforderung und habe bezahlt.“ Kurz darauf fand er die Tochter schlafend in ihrem Zimmer.

Schließen

Bitte melden Sie sich zunächst hier an.

Sie folgen Josef Oehrlein bereits.

Sie folgen jetzt Josef Oehrlein.

Eine Übersicht aller Autoren und Leser, denen Sie folgen, finden Sie unter dem Menüpunkt "Meine Autoren" bei Mein FAZ.NET.

Die Aktion konnte nicht durchgeführt werden. Es trat ein Fehler auf.

Quelle: F.A.Z.


Hier können Sie die Rechte an diesem Artikel erwerben

Open all references in tabs: [1 - 5]

Leave a Reply