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In Venezuela haben die Wähler dem Chávez-Nachfolger Nicolás Maduro eine Zweidrittelmehrheit der rechten Opposition vor die Nase gesetzt. Das ist nach Argentinien bereits die zweite Klatsche für eine linke Regierung in Lateinamerika. Ist das der Anfang vom Ende aller linken Hoffnungen auf dem Kontinent? Lula in Brasilien, Kirchner in Argentinien, Chávez in Venezuela, Morales in Bolivien, Correa in Ecuador: Lateinamerika schien sich in den Nuller Jahren vom Heilsversprechen einer marktliberalen Entwicklungsideologie unter dem Protektorat der USA endgültig abgewendet zu haben.

Die Linksregierungen über einen Kamm zu scheren, wäre fahrlässig. Dass beispielsweise Brasilien unter Lula ein Bollwerk gegen den Neoliberalismus gewesen sei, lässt sich genauso wenig behaupten wie etwa die These, dass Kirchner die Rohstoffausbeutung durch multinationale Konzerne gestoppt hätte. Am meisten Aufmerksamkeit bei der internationalen Linken hatte daher Hugo Chávez: weil er mit seiner bolivarischen Revolution den Anspruch eines „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ in die Welt setzte. Und weil er dabei nicht nur ein Maulheld war, sondern den Armen ein Stück politische und ökonomische Teilhabe herbeiregiert hat.

Was er und sein Nachfolger in den vergangenen 16 Jahren nicht geschafft haben, ist, dem Land eine ökonomische Perspektive jenseits des Ölexports zu geben. Ökonomisch gesehen hat der Chavismus im wesentlichen Petrodollars umverteilt – und daher zunehmend unter all den Krankheiten gelitten, die die meisten ölexportierenden Staaten mit sich herumschleppen: Korruption, Klientelismus und Abhängigkeit von Importen. In den letzten Jahren kam eine grassierende Schattenwirtschaft – der sogenannte bachaqueo – hinzu: der Handel mit staatlich subventionierter Ware, die deshalb in den Supermarktregalen fehlte. Nahrungsmittelknappheit, 150-prozentige Inflation, dazu die Korruptionsfälle, in die immer öfter auch hohe Mitglieder der chavistischen Nomenklatura verwickelt waren.

Vernichtend für die Handlungsfähigkeit der Regierung Maduro war schließlich der Absturz des Ölpreises. Seit 2014 ist er um 40 Dollar pro Barrel gefallen. Er liegt heute wieder auf dem Niveau von Mitte der Nuller Jahre. Andererseits: Selbst bei einem solchen Preis hätte Maduro eigentlich noch in der Lage sein müssen, wenigstens ein bisschen Volkswohlstand zu finanzieren. Das hat die große Mehrheit der venezolanischen Wähler wohl auch so gesehen. Unter ihnen viele ehemalige Chávez-Anhänger. Auch sie haben sich der Auffassung angeschlossen, dass die Regierung dominiert ist von einer „korrupten Kaste, die längst eine neue Bourgeoisie darstellt“. So drückt es Roland Denis aus, unter Chávez Vizeminister und heute Aktivist.

Venezuela ist eine Präsidialrepublik wie die USA. Maduro kann weiterregieren, muss sich aber mit dem oppositionell dominierten Parlament einigen und gleichzeitig versuchen, die linke Basis zurückzugewinnen. Klingt unlösbar – doch auch die Wahlsieger stehen vor einem Dilemma. Die mehrheitlich aus der Mittel- und Oberschicht stammenden Oppositionellen werden versuchen, Maduro per Volksabstimmung aus dem Amt zu jagen und damit den Chavismus endgültig zu beerdigen. Damit das gelingt, müssten sie beweisen, dass auch sie ein soziales Projekt haben und nicht nur an die Macht wollen. Korruption hin, Ölpreis her: Der Anspruch auf Teilhabe ist nach wie vor in der Welt – und damit der Linksruck in Venezuela keinesfalls bloß Geschichte.

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