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16. Januar 2015
SACHBUCH: Drei lesenswerte Biographien erzählen, wie aus einem argentinischen Jesuiten der Papst Franziskus wurde.
Wie wird ein einstiger Chemielaborant Papst? Welche Wege ist Jorge Mario Bergoglio gegangen vom autoritären Jesuitenprovinzial in Argentinien zum Barmherzigkeit predigenden und Bescheidenheit vorlebenden Pontifex in Rom? Was hat den "Mann vom anderen Ende der Welt" geprägt, als der er sich am Abend des 13. März 2013 auf der Benediktionsloggia vorstellte und die Menschen auf dem Petersplatz liturgisch schlicht und mit einem einfachen "buona sera" gleich für sich einnahm? Wer ist der Mensch an der Spitze der mit 1,2 Milliarden Katholiken größten Religionsgemeinschaft der Erde?
Erst allmählich schärft sich das Bild des mittlerweile 78-Jährigen, outet sein Wirken, sein Selbstverständnis als Papst in der Spur des heiligen Franziskus, präzisieren sich seine Vorstellungen von einer Kirche der Zukunft. So wächst nach den Schnellschüssen gleich nach seiner Wahl nun die Zahl der Bücher, die sich diesem ungewöhnlichen Ordensmann qualifiziert nähern. Gleich drei Neuerscheinungen verdeutlichen, dass sich Bergoglios Vita nicht erschließt ohne parallelen Blick auf die jüngste Kirchen- und Profangeschichte seiner Heimat.
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Dieser biographischen Direktive folgt faktenreich Daniel Deckers. Der FAZ-Kirchenkenner vermittelt in seinem Buch "Papst Franziskus – Wider die Trägheit des Herzens" ebenso fundiert wie kompetent, wie schwer sich Bergoglio unter der Militärdiktatur tat, gerade weil er ihr nicht nahestand. Und wie wenig mitbrüderlich er als (zu) junger Chef umging mit den damals in Argentinien wirkenden Jesuiten. Weshalb er 40 Jahre später im Konklave den Kardinälen nicht einfach sagte, er nehme die Wahl an. Sondern seinem "accepto" vorausschickte, er sei "ein großer Sünder". Wohl auch deshalb ver-meidet der Autor jeden Touch einer antizipierenden Heiligschreibung.
Doch Deckers belegt, was den Erzbischof von Buenos Aires stets auf Distanz zu den Establishments bleiben ließ. Aber auch zur "Theologie der Befreiung", bis er nach 1989 die Gefahr beseitigt sah, dass diese marxistisch unterwandert werden könnte. Und auf Distanz zu den Seilschaften und Intrigen im Vatikan und dessen als geldwäsche- und mafiaverdächtigter Bank. Das gibt ihm als Papst nun die Freiheit, gerade dort entschlossen aufzuräumen. Treppen, so zitiert der Autor den Pontifex, "müssen von oben gefegt werden." Ein lesenswertes, ja ein wichtiges Buch über Jorge Mario Bergoglio, der sich mehr als sein Vorgänger in seiner Pastoral auch als Politiker versteht – offenkundig mit Erfolg.
Als Argentinier rückt Miguel Hirsch dem Menschen Jorge Mario Bergoglio näher. Der 57-jährige Autor war in Buenos Aires Korrespondent der Deutschen Welle und schrieb von Bonn und von Ostberlin aus für lateinamerikanische Medien. Er skizziert den Jesuiten, der nie habe Papst werden wollen, als ebenso behutsamen wie entschlossenen Macher, der im Vatikan verkrustete Strukturen aufbreche und Seilschaften beseitige. Davon sind, so Hirsch, all jene Landsleute überzeugt, die er zitiert, weil sie Bergoglio persönlich kennen. Das liefert ein stimmig wirkendes Psychogramm des Pontifex.
Hirsch sieht den neuen Papst tief verwurzelt im Volk und im Glauben des Volkes Gottes, das er in den Elendsvierteln viel eher findet als in den Palästen. Mit der Konsequenz, gerade an den Armen nicht vorbeizugehen – den "Verlierern der Konsumgesellschaft" und Opfern des "Imperiums des Geldes". Hirsch ist überzeugt davon, dass Franziskus Kirche in exakt jenem Entwurf denkt wie Papst Benedikt XVI. im September 2011 im Freiburger Konzerthaus: mit seiner Forderung, sie solle sich "entweltlichen". Zumal er ihn in seinem – insgesamt etwas zu patriotischen – Buch als Theologen ohne ökumenische und interreligiöse Scheuklappen schätzt: Abraham Skorka, der Rektor des lateinamerikanischen Rabbiner-Seminars, sei Bergoglios bester Freund.
Der Brite Paul Vallely platziert seine Papstbiographie zwischen zwei weit gespannte Pole: "Vom Reaktionär zum Revolutionär". Plakativ, aber etwas zu pauschal, weil der Argentinier ideologisch wohl kaum ein Reaktionär war und nun als Papst auch theologisch nicht zum Revolutionär wird. Aber ein Nonkonformist nach seinen Erfahrungen mit Politik und Kirche. Und eine ambivalente Persönlichkeit: barmherzig und durchsetzungsstark, autoritär und dennoch sehr sensibel. Nur so habe aus dem streitbar autoritären, schließlich nach Cordoba verbannten Jesuitenprovinzial nach viel Gebet und langer Selbstbesinnung ein von Grund auf veränderter Mann 1992 Weihbischof werden können, 1998 Erzbischof, 2001 Kardinal und schon 2005 beinahe Papst.
Vallely lässt den brasilianischen Befreiungstheologen und Franziskaner Leonardo Boff sagen, mit Papst Franziskus erlebe die Welt "die Einsetzung einer Kirche für das dritte Jahrtausend weitab von den Palästen". Jorge Mario Bergoglio erschüttere "den Vatikan in seinen Selbstgefälligkeiten und Selbstgewissheiten", ja er erkläre die monarchische Ausprägung des Papstamtes zum Auslaufmodell. Das hätte als nachvollziehbare Kritik an Selbstverständnis und Wirken von Franziskus’ Vorgängern eigentlich genügt. Und deshalb hätte es den Fußtritt des Engländers für den emeritierten deutschen Papst nicht auch noch gebraucht, Benedikt XVI. habe bei all seinen Stärken als Hirte und Lehrer "als Oberhaupt eine beklagenswert schlechte Figur abgegeben".
– Daniel Deckers: Papst Franziskus – Wider die Trägheit des Herzens. C.H. Beck, München 2014. 352 Seiten mit 15 Abbildungen, 15,99 Euro.
– Miguel Hirsch: Jorge – Begegnungen mit einem, der nicht Papst werden wollte, Herder Verlag, Freiburg 2014. 160 Seiten, 18,99 Euro.
– Paul Vallely: Papst Franziskus – vom Reaktionär zum Revolutionär. Konrad-Theiss-Verlag, Darmstadt 2014. 240 Seiten mit großer Zeittafel, 24,95 Euro.
Autor: Gerhard Kiefer