© Josef Oehrlein
Ziemlich geduldige Fluggäste: Argentinische Polopferde vor dem Start in die Alte Welt
Drei Stunden vor Abflug treffen die Fluggäste ein. Zwei Lastwagen fahren in eine Halle, einer dockt an einem Laufgatter an. Neugierig schauen die Ankömmlinge aus der Luke. Dann betritt der erste das Laufgatter. Tinto Noche heißt er oder besser: sie, denn sie ist eine acht Jahre alte Stute mit der Brandmarke „6“ auf der Kruppe. Eine Veterinärin prüft die Papiere. Noch ein paar Schritte, und die Stute ist in dem Gehäuse, in dem sie die Reise hinter sich bringen wird. Insgesamt werden an diesem Samstagnachmittag 20 Pferde in fünf solcher Boxen verladen. Sie werden in einem Frachtflugzeug von Buenos Aires nach Europa gebracht. Für fünf Tiere endet der Flug in Frankfurt. Sie werden auf dem Landweg nach Spanien weiterfahren. Die weiteren 15 Tiere haben noch einmal viereinhalb Stunden Flug vor sich. Nach einer nächtlichen Ruhepause geht es für sie weiter nach Aserbaidschan.
Es sind Polopferde, die in der Frachthalle des internationalen Flughafens Ezeiza vor den Toren von Buenos Aires an diesem kühlen und trüben Wintertag auf der Südhalbkugel verladen werden. Argentinien ist Pololand. Hier werden die meisten Polopferde gezüchtet, und von hier werden sie in alle Welt exportiert. Polopferde sind sanft, fügsam und pflegeleicht und deshalb für den Lufttransport besonders geeignet. Zügig kommt die Beladung der Containerställe voran. In jeder Box werden Wasserbehälter und Futterballen bereitgelegt. Gelegentlich ist Rumpeln zu hören. „Da hat sich ein Pferd noch nicht ganz eingerichtet“, sagt ein Betreuer, geht zu der Box, redet sanft auf das Tier ein, bis wieder Ruhe herrscht.
Drei Pferde pro Box
Die fliegenden Ställe werden über die Waage gefahren, dann geht es hinaus auf das Vorfeld. Das Flugzeug ist rechtzeitig eingetroffen. Für die MD-11 der Lufthansa Cargo ist es fast normal, in Buenos Aires Polopferde an Bord zu nehmen. Nur sind es nicht immer so viele; 20 wie an diesem Samstag sind auf diesem Flugzeugtyp die Obergrenze. Der deutsche Cargo-Transporter ist fast der einzige, der Pferde von Argentinien direkt nach Europa fliegt, nur kurz unterbrochen von einer technisch nötigen Zwischenlandung in der senegalesischen Hauptstadt Dakar.
Gewöhnlich werden drei Polopferde in einer Box untergebracht. In der Lufthansa-MD-11 dürfen mit einer Sondergenehmigung vier Tiere in einem Container zusammen reisen. Das verbilligt den Tarif, der pro Box berechnet wird, gleichgültig, wie viele Pferde sich darin befinden. Für die Strecke von Buenos Aires oder Montevideo nach Frankfurt beträgt der Flugpreis 23.000 Dollar pro Container. Polopferde sind an Körperkontakt gewöhnt. „Sie brauchen ihn sogar“, sagt Juan Mac Donough, der Präsident der argentinischen Pferde-Exportfirma „Unicorn“, der die 20 Tiere auf die lange Reise geschickt hat - wie schon 45.000 vor ihnen.
© Josef Oehrlein
Betreuer: Polospieler Simón Crotto (links) und Veterinär Ignacio Campos
Der Abflugtermin ist seit geraumer Zeit verstrichen, weil die Verladung der übrigen Frachtgüter - vor allem sind es Autoteile und sogar ein kompletter Geländewagen - nicht vorankommt. Die Fluggesellschaften hängen in Ezeiza vom argentinischen Monopolisten „Intercargo“ und dessen Launen ab. Infrastruktur und Equipment des Unternehmens stammen zum großen Teil noch aus den Siebzigern. Schließlich fährt ein Schlepper aber einen Pferdecontainer nach dem anderen an die Ladeluke. Die Boxen werden hochgehievt und verschwinden im Bauch des Flugzeugs.
Mit knapp einer Stunde Verspätung lässt Flugkapitän Marc Rustein das Flugzeug so sanft wie möglich zur Startbahn rollen und fast unmerklich abheben. Nach Erreichen der Reiseflughöhe kümmern sich die beiden Pferdebetreuer, die sich auf den Passagiersitzen eingerichtet haben, um ihre Schützlinge. Simón Crotto ist professioneller Polospieler und schon öfter mit Polopferden nach Frankfurt und nach Frankreich geflogen. Er kennt die meisten Tiere, und die Tiere kennen ihn. Der zweite Betreuer, Ignacio Campos, ist Tierarzt. Er hat bislang vor allem Rennpferde begleitet. „Rennpferde zu transportieren ist viel heikler“, sagt er.
Polo als Therapie
„Sie brauchen Trennwände in den Boxen, sonst gehen sie aufeinander los. Das sind die Hormone.“ Crotto und Campos servieren das Abendessen, eine üppige Ration Mischfutter, dazu Wasser in Eimern. „Für die Pferde bedeutet die Reise einen großen Stress“, sagt Ignacio, der Veterinär. Wenn die Tiere danach auf die Waage kämen, könnten sie viele Kilos abgenommen haben, vor allem durch Flüssigkeitsverlust. „Die Pferde empfinden sehr stark vor allem den Wechsel von der südlichen auf die nördliche Halbkugel, vom Winter in den Sommer“, sagt Ignacio. Nach der Fütterung kehrt langsam Ruhe ein. Nur eines der 20 Pferde ist rebellisch und muss mit einem Medikament ruhiggestellt werden.
Den Polopferden, die um die halbe Welt geflogen werden, lässt man gewöhnlich sechs oder sieben Monate Zeit, so dass sie sich an die neue Umwelt gewöhnen. Einsatzbereit sind sie trotzdem schon recht bald. Bei manchen wirkt das Spiel sogar als Therapie. Die 15 Pferde, die nach Aserbaidschan weiterreisen, und zehn weitere, die ihnen eine Woche später folgen, müssen Anfang September antreten. Dann sollen sie in Baku vorführen, wie Polo gespielt wird, beim ersten „Arena Polo World Cup“ in der Hauptstadt des vorderasiatischen Landes.
Aserbaidschan will zeigen, dass es ein Pololand ist, obwohl dieser Sport über Jahrhunderte dort nicht ausgeübt wurde. Vor mehr als 2000 Jahren gab es in dem Land aber das Reiterspiel „Chovgan“, einen Vorfahren des Polos. Die argentinischen Pferde sollen für den Rest ihres Lebens in Aserbaidschan bleiben und den Sport dort wieder heimisch machen. Simón Crotta wird für einige Monate in Baku Spieler und Pferde trainieren. Die Zwischenlandung in Dakar am frühen Morgen, auf dem noch dunklen Flughafen, bringt eine neue Geduldsprobe für die Pferde. Der Frachtraum wird auf Anordnung der Behörden hermetisch abgeschlossen.
Eine Nacht ohne Düsenlärm
Niemand darf während der Zeit des Aufenthalts hinein. Es soll verhindert werden, dass Insekten oder andere Krankheitsüberträger, die auf dem afrikanischen Kontinent heimisch sind, die Tiere infizieren. Die Besatzung wechselt. Nach dem Auftanken versucht Kapitän Sven Gartz, die Verspätung aufzuholen. Zügig rollt die Maschine zur Piste. Bis Frankfurt sind es fünf Stunden und 40 Minuten, zunächst entlang der marokkanischen Küste, später östlich an der spanischen Hauptstadt Madrid vorbei und über Toulouse und Genf zum Rhein-Main-Flughafen. In der prallen Hitze eines Sommersonnen-Sonntags landet das Flugzeug.
Für die Pferde bringt der Zwischenaufenthalt ein paar ruhige Stunden und eine Nacht ohne Düsenlärm in einem klinisch sauberen hellen Stall. „Pro Jahr fliegt Lufthansa Cargo 2000 Pferde durch alle Welt, davon 500 allein aus Argentinien, außerdem 15.000 Hunde und Katzen, Zootiere bis hin zu Nashorn, Elefant, Tiger oder Jaguar“, sagt Marco Klapper, der Product Manager der „Lufthansa Animal Lounge“ auf dem Frankfurter Flughafen. Dort sind die Pferde aus der argentinischen Pampa nach dem langen Flug untergekommen, wurden tierärztlich begutachtet und verpflegt. Außerdem sind inzwischen die Transportcontainer gereinigt, desinfiziert und für neuen Gebrauch hergerichtet worden.
Am Montagmorgen geht es in der Animal Lounge noch ruhig zu. Die fünf für Spanien bestimmten Polopferde sind schon auf dem Landweg unterwegs. In der Ecke kläffen Hunde, die nach Nordamerika sollen. Zehn Ziegen aus Italien warten auf den Flug in die Vereinigten Arabischen Emirate. Eine Staffel von Pferdetransportern bringt die 15 für Aserbaidschan bestimmten Polopferde zum 120 Kilometer entfernten Flughafen Hahn im Hunsrück. Von dort werden sie am Abend auf einem aserbaidschanischen Cargo-Flugzeug nach Baku fliegen. Die Pferdebetreuer Simón Crotto und Ignacio Campos sind zufrieden mit dem Zustand ihrer Schutzbefohlenen nach der Nacht, die sie auf deutschem Boden verbracht haben. Das Problempferd musste allerdings noch einmal mit einer Spritze beruhigt werden.
Ein sicheres Geschäft
Einige Tage nach der langen Flugreise bestätigt Juan („John“) Mac Donough in seinem Büro an der Avenida Belgrano in Buenos Aires, dass die Tiere in Baku wohlbehalten angekommen sind. „Der Transport nach Aserbaidschan war etwas Neues für uns“, sagt er. „Unicorn“ liefert sonst Polopferde in mehr als 50 Staaten, vorwiegend in arabische und asiatische Länder. Juan, der Präsident des Pferde-Exportunternehmens, und sein Bruder Santiago, sein Stellvertreter, entstammen einer alteingesessenen irischen Einwandererfamilie, die dem Polosport eng verbunden ist und namhafte Spieler hervorgebracht hat. Geschwister und Neffen der beiden beschäftigen sich mit der Aufzucht von Polopferden auf Gestüten in der Nähe der Städte Lobos und Pilar in der Provinz Buenos Aires.
Der Export von Polopferden ist selbst in dem von zyklischen Krisen heimgesuchten Argentinien ein sicheres Geschäft. Die Pferde werden zu Preisen zwischen 3000 und 15.000 Dollar gehandelt, die besten sogar für sechsstellige Beträge. Sie müssen kleiner, wendiger und gefügiger als Rennpferde sein. Für das Polospiel werden fast nur Stuten, in seltenen Fällen Wallache eingesetzt. Die für die Zucht vorgesehenen weiblichen Tiere müssen nicht aus dem Spielbetrieb genommen werden: Ihnen werden Eizellen entnommen, die mit dem Sperma von Deckhengsten befruchtet werden.
Der Embryo wird einem beliebigen Muttertier eingepflanzt, das den Nachwuchs zur Welt bringt. Bei Rennpferden sei das nicht erlaubt, sagt Juan Mac Donough. Bei den Polopferden sei über mannigfache Kreuzungen eine eigene Rasse entstanden, das „Polo-Argentino“-Pferd. Inzwischen werden auch in Argentinien Pferde geklont. „Doch von ihnen spielt bislang keines - wir wissen also noch nicht, wie sie sich beim Polo verwenden lassen.“ Pro Jahr werden in Argentinien etwa 3000 Fohlen geboren, die für den Polosport trainiert werden. Mindestens zwei Jahre dauert die „Ausbildung“, vom fünften Lebensjahr an werden sie voll eingesetzt.
Seit 30 Jahren verschickt „Unicorn“ Polopferde aus Argentinien mit dem deutschen Frachtflugzeug. Die Hauptsaison geht von März bis Ende Juni. „In diesem Jahr ist aber alles ein wenig anders“, sagt Marcos König, der für Argentinien, aber auch Chile, Uruguay, Bolivien und Paraguay zuständige Lufthansa-Cargo-Manager. In der Saison selbst wurden diesmal weniger Pferde transportiert. Das mag daran gelegen haben, dass bis zum Dezember 2012 für den Pferde-Import in Deutschland ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz galt, der inzwischen auf EU-Niveau gehoben wurde. Damit hat sich der Transport über Frankfurt verteuert.
Auch wenn 20 Pferde in einem Flugzeug eine stattliche Anzahl sind - es gab auch schon Transporte, bei denen auf dem Flug von Buenos Aires nach Frankfurt der komplette Frachtraum mit Pferden ausgebucht war. Das war möglich, als bei der Lufthansa - bis 2004 - noch die Boeing 747-200 benutzt wurde, erinnert sich Marcos König. Rekord war der Transport von 117 Pferden in einem Flugzeug. Die MD-11, die noch für geraume Zeit auf der Strecke eingesetzt werden dürfte, ist schon deshalb nur für 20 Polopferde oder 15 Pferde anderer Art zugelassen, weil es nur Sitze für zwei Begleiter gibt.
Juan Mac Donough hat schon die nächsten Pferdetransporte angemeldet. Er bezeichnet sich selbst als Polopferde-Fanatiker. Mit den Tieren will er auch die Begeisterung für die argentinische Sportart exportieren. „Nur wenige, die mit dem Polospielen angefangen haben, hören wieder auf“, sagt er. Und er macht sich Gedanken darüber, was die Tiere beim Polospiel empfinden. „Ich denke, es macht den Pferden Spaß. Aber es ist nicht leicht, das herauszubekommen.“
Quelle: F.A.Z.
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Tiertransport über den Wolken: Die fliegenden Pferde
Tiertransport über den Wolken
Die fliegenden Pferde
Von Josef Oehrlein, Buenos Aires
Von Buenos Aires nach Aserbaidschan: Argentinien ist trotz der Krisen noch immer der größte Exporteur von Polopferden. Auch über den Wolken werden die Tiere gehegt und gepflegt.
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