The Andes Trail: Radmarathon ändert in Argentinien seinen Charakter

Patagonien. 46 Grad! Dabei ist es noch nicht mal zwölf Uhr. Knapp 60 Kilometer liegen bereits hinter mir, weitere 35 sind noch zu bewältigen. Auf einer knüppelharten Schotterpiste, die sich schier endlos am Horizont verliert und unerbittlich alles abfordert.

Mal ist sie so steinig, dass ich nur schwer Fahrt aufnehmen kann, um später bei Tempo acht aufpassen zu müssen, nicht mitsamt Fahrrad umzufallen. Mal ist sie so sandig, dass mir nur noch schieben bleibt. 35 Kilometer bedeuten bei meinem gegenwärtigen Tempo vier weitere Stunden unter einer Sonne, die wie ein Heißluftstrahler wirkt. Sie saugt mir die Energie förmlich aus dem Körper und lässt sehnsüchtige Erinnerungen an kühlere Tage im Andenhochland aufkommen.

Kaum hatten wir das bolivianische Hochplateau verlassen und Argentinien betreten, nahm der 11 000-Kilometer-Radmarathon „The Andes Trail“ einen völlig anderen Charakter an. Nicht nur bezüglich des Wetters, das schlagartig von feucht und kalt zu heiß und trocken wechselte und damit radikal veränderte Herausforderungen an die kälte- und regengeplagten Teilnehmer stellte.

Vorbei waren auch die spannenden Begegnungen mit der andinen Einwohnerschaft. Sie wurden ersetzt durch eine westlich geprägte Lebenskultur in Großstädten wie Mendoza sowie Einsamkeit im Hinterland. Plötzlich konnte man tagelang radeln, ohne auch nur einem einzigen Auto zu begegnen, beschränkten sich die Kontakte auf Begegnungen mit wilden Pferden, scheuen Guanacos und neugierigen Schafen.

Spannung im Rennen

Ebenfalls beendet waren die Tage des ewigen Bergkletterns. Stattdessen standen wir nun vor schier endlos wirkenden schnurgeraden und weitestgehend flachen Straßen die sich geradezu am Horizont verlieren und auf denen gerne mal Gegenwind steht.

Und die keineswegs immer mit einer schnurrigen Asphaltdecke versehen sind. Selbst die berühmte Ruta 40, die uns in den kommenden Wochen weit nach Patagonien transportieren wird, ist auf vielen Abschnitten nur mit einer rudimentären und groben Kies-Sandmischung bedeckt.

Ein Abenteuer, das das Feld in zwei Lager spaltet. Während Asphalt verwöhnte Rennradler über unerträgliche Leiden klagen, sind passionierte Mountainbiker in ihrem Element. Dem von der Schwäbischen Alb stammenden Off-Road-Spezialisten Alfred Mähr gelang es sogar, zum eigentlich als uneinholbar geltenden Spitzenreiter und Straßenspezialisten James Hodges aufzuschließen und somit Spannung in ein Rennen zu bringen, das bereits entschieden schien.

Ich hingegen benötigte mit meinem Cross-Rennrad glatten Asphalt, um den möglicherweise größten persönlichen Triumph zu feiern, als ich auf einer der mit 160 Tageskilometern längsten Einzeletappen als Zweiter das Ziel erreichte – hinter dem ewigen Tagessieger Hodges.

Deshalb bin ich hier

Weniger an Etappensiege als vielmehr ans „Ankommen“ denkt Brigit Verlaan, eine von nur acht Teilnehmerinnen des männlich dominierten Wettstreits. Die fröhliche Niederländerin aus Utrecht ist eine erfahrene Fernradlerin und hat bereits die Alpen, die Pyrenäen und Teile des Himalayas befahren.

Die Andentour stellt alle bisherigen Erfahrungen jedoch deutlich in den Schatten. „Vor allem die langen Tagesetappen sind für mich ein Problem“, sagt die 54-jährige. „Weil ich langsamer als die meisten anderen bin, komme ich oft sehr spät im Ziel an und habe keine Zeit, zu regenerieren. So kann ich zusehen, wie ich immer schwächer werde. Körperlich und mental.“ Sie kompensiert dies mit ansteckendem Optimismus und dem Wissen, „dass es gut ist, jetzt zu fahren, denn ich werde ja nicht jünger“.

Immer stärker wird hingegen die Australierin Michelle Gane, die vor wenigen Tagen als erste Etappensiegerin in die Geschichte einging. „Das war auf einer Off-Road-Piste, und das ist einfach mein Revier”, jubelt die 36-jährige Mountainbikerin aus Brisbane.

Für sie ist die Teilnahme eine Belohnung der besonderen Art. „2013 wurde bei mir Hautkrebs festgestellt. Da habe ich mir geschworen, wenn ich das überstanden habe, will ich mir etwas ganz Besonderes gönnen. Deshalb bin ich hier.”

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