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Schauspieler Nile Koetting in einer Szene aus dem Theaterstück "The Past" von Choreographin Constanza Macras (picture alliance / dpa / Friedrich Bungert)
Buenos Aires hat eine der größten Off-Theaterszenen der Welt. Beim Theaterfestival FIBA kommen internationale Kompanien in die Stadt. Die Berliner Tanzkompanie Dorky Park der Argentinierin Constanza Macras erzählt anhand deutscher Geschichte universelle Erinnerungsprozesse.
Das Publikum von Buenos Aires ist ein enthusiastisches. "À Fleur de Peau", die spektakuläre Feuerwerk-Performance der französischen Pyrotechnik-Theatertruppe Groupe F, wurde zum Auftakt des Theaterfestivals frenetisch beklatscht. Ähnlich euphorisch applaudieren die argentinischen Zuschauer aber auch gutem Wort-Theater oder gelungenen Tanz-Inszenierungen.
Eine Produktion, die Theater, Tanz und Musik vereint, wie "The Past" der Berliner Kompanie Dorky Park, ist im argentinischen Theaterbetrieb eher ungewöhnlich. In "The Past" geht es um Erinnerung. Als Beispiel für Erinnerungsprozesse erzählen Menschen von der Bombardierung Dresdens und vom Mauerfall. Dorky Park-Choreographin Constanza Macras, selber Argentinierin, brachte damit in Buenos Aires ein Thema auf die Bühne, das auch in ihrer Heimat virulent ist. Der Begriff der Erinnerung ist in Argentinien vor allem mit der Diktatur in den siebziger und achtziger Jahren verknüpft, während der Militärs Tausende von Menschen folterten und ermordeten. Eine Zuschauerin:
"Eine schreckensreiche Geschichte haben beide Länder. Sicher hat es auch mit ihrer argentinischen Herkunft zu tun, dass Macras die Erinnerung zum Thema genommen hat. Weil sie in Deutschland lebt, bezieht sie sich auf Ereignisse der deutschen Geschichte. Ich denke aber, sie benutzt diese, um etwas Allgemeingültiges zu erzählen. Erinnerung ist etwas Universelles."
Die Themen mögen dem Publikum von Buenos Aires vertraut sein – was die Formate angeht, bemühen sich die Macher des Internationalen Theaterfestivals, Ungewohntes zu präsentieren. Der künstlerische Leiter, Dario Loperfido:
"Es ist ein Riesenunterschied, ob man ein Festival in einer Stadt mit wenig Theater macht, oder in einer Stadt mit viel Theater. Buenos Aires hat viel Theater. Unser Anspruch war also, Formate auszuwählen, die das Publikum sonst nicht sieht: etwa aufwendige Inszenierungen, die verschiedene Genres mischen. Das Theaterleben spielt sich hier sonst vor allem in der unabhängigen Szene ab: Gutes Theater in kleinen Sälen ist besonders erfolgreich in Buenos Aires."
Zeitgenössische argentinische Autoren dominieren die Off-Theater
Der öffentliche Schauspielsektor ist in Argentinien eher klein. Und im kommerziellen Theaterbetrieb laufen vor allem Stücke ausländischer Autoren, die bereits in New York, London oder Paris Erfolge feierten. Dagegen dominieren in der großen Off-Szene zeitgenössische Werke argentinischer Autoren.
Ein Theatersaal im Kulturzentrum San Martínin Buenos Aires. Auf der Bühne eine Wildwest-Szenerie, es wird Brecht gespielt. Aber eigentlich spielen die Schauspieler gar nicht Brecht, sondern sie spielen mitBrecht. Das Stück der Argentinier Walter Jakob und Agustín Mendilaharzu läuft im nationalen Programm des Festivals. Es handelt von einer Theatertruppe, die den "Kaukasischen Kreidekreis" aufführen will und plötzlich Besuch von einem Inspektor erhält, der über die Rechte an Brechts Werk wacht. Dramaturg Walter Jakob:
"Die Schauspieler beschließen, den Inspektor hinters Licht zu führen, und bringen kurzerhand eine Sondervorführung auf die Bühne, in der sie Brecht unsichtbar machen. Unser Stück handelt vom Recht an Werken. Im Prolog zum Kreidekreis stellt Brecht die Frage, wem das Land gehört: dem, der es bearbeitet, oder dem, der es geerbt hat? Wir fragen: wem gehört ein Werk? Jenen, die damit arbeiten – oder den Erben? Muss man um Erlaubnis bitten und zahlen, um Brecht in Argentinien aufzuführen?"
In Jakobs und Mendilaharzus Stück erfährt der Zuschauer auch viel über die Arbeitsbedingungen im Off-Theater von Buenos Aires. Die imaginäre Truppe könnte kein Brecht-Copyright bezahlen, sie spielt für wenig Geld, aber mit viel Einsatz und künstlerischer Freiheit. Agustín Mendilaharzu:
"In der Theaterszene von Buenos Aires gibt es eine nahezu unverständliche Antriebskraft, alle wollen unbedingt spielen. Du planst ein Stück, rufst Schauspieler an und sagst ihnen: fünf Proben pro Woche, jede Menge Text zu lernen, und das für kaum Geld. Gezahlt wird erst im nächsten Jahr. Und sie sagen trotzdem Ja! Wir Regisseure und Schauspieler sind ziemlich auf uns allein gestellt, aber wir stehen zu dieser Art, Theater zu machen – sie ist vital und stark."
Homepage des internationalen Theaterfestivals FIBA in Buenos Aires