Das Südamerika-Radrennen dauerte Monate – und wurde durch einen kleinen Fauxpas entschieden. Nun sind alle im Ziel, auch unser Autor. Doch die größte Aufgabe kommt noch.
Ein Radrennen über 11.000 Kilometer durch Südamerika – unser Autor fuhr mit und berichtet hier in Etappen: Etappe 1. Etappe 2. Etappe 3. Etappe 4. Nun der letzte Teil.
Nach viereinhalb Monaten und nahezu 11.000 Kilometern lag es plötzlich zu unseren Füßen: das große Ziel, das Ende des Abenteuers, das Ende der Welt. Ushuaia in Argentinien, die südlichste Stadt der Erdkugel. Das Ziel unserer Extremradexpedition The Andes Trail, die seit 2008 zweijährlich stattfindet.
Von Quito aus waren wir auf den Spuren Alexander von Humboldts zunächst auf der Straße der Vulkane südwärts nach Peru und Bolivien gefahren, vorbei an Touristendestinationen wie Machu Picchu, Titicacasee und der Salzwüste Salar de Uyuni in Bolivien. Und hatten schließlich Patagonien erreicht.
Patagonien. Kaum hatten wir die Grenze nach Patagonien überschritten, nahm unsere Radexpedition noch einmal an Schärfe zu. Denn es gab nur eine Kontinuität im stetigen Wechsel zwischen Regen und Sonne, milden und kalten Tagen: den scharfen Westwind. Vor allem in der flachen Pampa war er unerbittlich und stellte sich uns auf den Fahrrädern entweder frontal in den Weg oder blies uns als Seitenwind von der Piste, was wörtlich zu verstehen ist. So wurden selbst aus vermeintlich leichten und kurzen Tagen mit weniger als 100 Kilometern mitunter schwierige Etappen. Mehr als einmal kämpften wir uns im Schneckentempo zu einem Ziel, das sich mitten in der Einsamkeit der Pampa befand und weder Dusche noch Toilette und schon gar kein kaltes Bier bereit hielt. Patagonien, nichts für Duscher.
Neben all den Wetter- und Windunbillen schenkte uns Patagonien aber auch bewegende Momente in erstaunlichen Landschaften. Im Lake Distrikt versüßten wundersam klare Seen die Etappen auf schwierigen Schotterpisten. Im chilenischen Teil fuhren wir an mächtigen Gletschern vorbei und durchquerten aufregende Regenwaldgebiete. Auf Feuerland flogen wir im starken Westwind regelrecht von Pazifik zu Atlantik. Zugleich war es eine Spazierfahrt durch die wechselvolle Vergangenheit einer Region, die einst als das letzte unentdeckte Fleckchen Erde galt.
Im argentinischen Trevelin wurden wir von einem walisischsprachigen Ortsschild begrüßt, das chilenische Örtchen Puyuhuapi entpuppte sich als ursprünglich von Sudetendeutschen gegründete Gemeinde, in der es das nach deutschem Reinheitsgebot gebraute Hopperdietzel zu kaufen gab, und in Punta Arenas genossen wir eine kroatisch geprägte Küche.
So kamen wir auf Passagen von bis zu neun aufeinanderfolgenden Radtagen, in denen wir bestenfalls Örtchen mit einer Handvoll Einwohner oder einsam gelegene Estancias zu sehen bekamen. Im gesamten November verbrachten wir lediglich drei Tage nicht auf den Rädern.
Nebenbei: Um den Gesamtsieg auf The Andes Trail gab es einen spannenden Schlussspurt zwischen dem US-Amerikaner James Hodges und dem Oberschwaben Alfred Mähr. Nachdem Straßenspezialist Hodges monatelang wie der sichere Sieger ausgesehen hatte, machte der Mountainbiker Mähr auf seinem geländetauglichen Fully ab Mendoza insgesamt 18 Stunden gut und kam dem Gesamtführenden zunehmend näher. Doch The Andes Trail ist kein gewöhnliches Radrennen. Als alles nach einem Führungswechsel aussah, verfuhr sich Mähr und büßte dadurch fast zehn Stunden ein. Zwar nahm er danach erneut die Verfolgung auf, vermochte den Rückstand jedoch nicht mehr aufzuholen. Am Ende trennten die beiden Kontrahenten zweieinhalb Stunden – nach viereinhalb Monaten und 10.934 Kilometern mutet das an wie ein Wimpernschlag.
"Das war eine wirkliche Extremtour", kommentierte Hodges im Ziel, während bei Mähr neben Stolz auch Wehmut mitschwang, weil sich "alles in jenem Moment entschied, als ich falsch abbog". Zuvor hatten Mähr und ich beim Doppelzeitfahren noch einen großen Erfolg gefeiert, als wir die 48,5 Kilometer in 1:04:14 absolvierten und mit einem Schnitt von 46,1 km/h Platz drei belegten – nie zuvor war ich auf einer ebenen Straße derart schnell unterwegs gewesen.
Und dann war es vorbei, dieses gewaltige Abenteuer, das uns alle für einen so langen Zeitraum in Atem gehalten und gefordert hatte. Im Ziel überwog die Erleichterung, es geschafft zu haben, zumal Patagoniens Herausforderungen am Ende auch noch die allerletzten Reserven gefordert hatten. Und doch steht eine der schwierigsten Aufgaben noch bevor: die Rückkehr in einen Alltag, der nicht von dem überschaubaren Tagwerk Radfahren – Essen/Trinken – Schlafen geprägt ist. Bei dieser Herausforderung ist jeder mit sich allein.
Strecke
Die Extremradexpedition The Andes Trail findet seit 2008 zweijährlich statt, das jetzt beendete Radrennen war das vierte. Von Quito ging es auf den Spuren Alexander von Humboldts zunächst auf der "Straße der Vulkane" südwärts nach Peru und Bolivien und schließlich nach Patagonien. Das Ziel: Ushuaia, ganz im Süden des Kontinents.
Teilnehmer
Laut Veranstalter waren 49 Fahrerinnen und Fahrer angemeldet, die aber nicht alle die komplette Strecke fahren. Begleitet wurden sie von zwei Versorgungsfahrzeugen, die Gepäck, Essen und Trinken transportierten und in denen notfalls ein Teilnehmer mitfahren konnte.
Etappen
Die 108 Etappen hatten eine durchschnittliche Länge von 100 Kilometern. Dazwischen gab es 28 Ruhetage.
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