Als der Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Mario Bergoglio, am 13. März zum Papst gewählt wurde, gab es auf dem deutschen Buchmarkt kein einziges Buch von oder über den argentinischen Kardinal - weder ein Werk aus seiner Feder noch eine Biografie über ihn, die ein näheres Kennenlernen des neuen Papstes ermöglicht hätten.
Inzwischen haben deutsche Verlage sehr schnell reagiert, und nur wenige Wochen nach der Papstwahl erscheinen nun bereits mehrere Bücher über beziehungsweise von Jorge Mario Bergoglio. Eines der interessantesten darunter ist wohl die 2010 in Argentinien unter dem Titel "El Jesuita" erschienene Autobiografie Bergoglios, die in Interviewform geschrieben und somit sehr angenehm zu lesen ist. Außerdem erinnert sie an die sehr erfolgreichen Gesprächsbände von Peter Seewald mit Kardinal Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI..
Zwei argentinische Journalisten - Sergio Rubin und Francesca Ambrogetti - hatten sich für dieses Buch zwei Jahre lang immer wieder zu Gesprächen mit dem Erzbischof von Buenos Aires getroffen, um Näheres zu erfahren über die Ansichten und Haltungen des Jesuiten, der längst schon zu einem der anerkanntesten Hirten der Weltkirche geworden war.
Vom Aufbau her folgt das Buch chronologisch dem Lebensweg von Jorge Mario Bergoglio, doch lassen die aufgezeichneten Gespräche von den ersten Seiten an immer schon auch seine späteren Einschätzungen der beschriebenen Lebensumstände und die weite spirituelle Dimension des neuen Papstes erkennen. Als Kind italienischer Einwanderer wurde Bergoglio schon früh dazu veranlasst, sich Gedanken über Heimat, Identität und Sprache zu machen; schon während seiner Schulzeit hat er in den Ferien regelmäßig gearbeitet und so durch eigene Erfahrungen die Bedeutung und die Gegebenheiten von Erwerbsarbeit kennengelernt.
Als junger Mann musste er in der Folge einer schweren Lungenentzündung eine Zeit sehr schmerzhafter Behandlungen durchstehen, die ihm Anlass wurde, über die Rolle des Leidens und des Kreuzes in der Christusnachfolge nachzudenken. Wichtig ist ihm dabei, das Leid zwar anzunehmen, es aber nicht als Selbstzweck misszuverstehen: "Das Leid stellt keine Tugend in sich dar, aber die Art und Weise, wie man es annimmt, kann durchaus tugendhaft sein. Unsere Berufung ist die Fülle und das Glück. Und auf der Suche danach stellt das Leid eine Grenze dar. Deswegen versteht man den Sinn des Leidens erst ganz durch das Leiden Gottes in Christus." (S. 43)
Ein weiterer wichtiger Wendepunkt in seinem Leben war dann natürlich das Berufungserlebnis, das er ebenso eindringlich wie scheu beschreibt als "das Erstaunen darüber, jemandem zu begegnen, der dich erwartet" (S. 50). Seine Familie nimmt den Entschluss, Priester zu werden, unterschiedlich auf, freudig der Vater und die Großmutter, mit Unverständnis und anfänglicher Ablehnung die Mutter. Für Jorge Mario Bergoglio ist diese Erfahrung, von Gott "durch Erbarmen erwählt" zu werden, jedoch so stark, dass er unbeirrt seinen Weg geht. Er macht es zum alleinigen Ziel seines Lebens, dieses Erbarmen Gottes auch anderen Menschen zu vermitteln; als Priester und Ordensmann, später als Bischof - und jetzt als Papst.
Es ist erstaunlich, wie Bergoglio aus jener unvergesslichen Erfahrung heraus die Kraft findet, sein ganzes Leben unter die Perspektive von Gottes Erbarmen zu stellen und so in seiner Lebensbeschreibung eigene Schwächen und Fehler mit großer Ehrlichkeit und Demut anzusprechen und einzuräumen. Dass sich der heutige Papst Franziskus bei aller Demut und Selbstkritik jedoch - jedenfalls vor den Augen eines unbefangenen Betrachters - nicht wirklich etwas vorzuwerfen hat, was seine Rolle während der argentinischen Militärdiktatur betrifft, ist in diesem Zusammenhang eine zwar eher äußerliche, aber doch für die Leser sehr wichtige Schlussfolgerung, die man aus den Passagen über diese Epoche seines Lebens ziehen kann.
Davon abgesehen scheinen jene Abschnitte, die sich mit der konkreten politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Situation in Argentinien beschäftigen, auf den ersten Blick für die deutschen Leser nicht so von Interesse zu sein. Doch kann man bei näherem Hinschauen auch hier sehr viel darüber herauslesen, warum Papst Franziskus das Eintreten für die Armen und Benachteiligten so wichtig ist und welche "Kultur der Begegnung" er sich letztlich für alle Menschen wünschen würde. Jede Begegnung in dieser Welt sieht Jorge Mario Bergoglio aber im Hinblick auf "jene endgültige Begegnung mit (dem) wunderbaren Antlitz" Gottes, von der er in einem sehr berührenden und aufschlussreichen persönlichen Credo kurz vor seiner Priesterweihe geschrieben hat und dessen Abdruck (S. 140f.) alleine schon dieses Buch ungeheuer wertvoll macht. Umso mehr kommt man selbstverständlich durch die Lektüre des ganzen Buches dem Menschen, dem Priester, dem Bischof Jorge Mario Bergoglio, Papst Franziskus, wirklich näher, lernt ihn kennen und ganz besonders auch schätzen. (Sankt Michaelsbund)
Buchhinweis
"Papst Franziskus: Mein Leben, mein Weg. (El Jesuita.)" Herder Verlag, Freiburg i.Br. 2013, 223 Seiten, 19,99 Euro