Staatsinsolvenzen – In der Schublade verschwunden

Vergangene Woche im UN-Hauptquartier am East River in New York: Ein älterer Herr mit Glatze und Brille ergreift das Wort – in Feierlaune, wie Beobachter notieren. „Historisch“ sei das, was die Generalversammlung der Vereinten Nationen da gerade beschlossen habe, jubelt Hector Timerman. Er ist Außenminister Argentiniens. Also jenes Landes, das nach Ansicht der Finanzmärkte seit Ende Juli pleite ist. „Diese Abstimmung ist ein deutliches Zeichen für die Notwendigkeit, sich der zügellosen Spekulation entgegenzustellen“, sagt Timerman.

Die Freude des 60-Jährigen an diesem Tag ist nachvollziehbar. Denn sein Land hat tatsächlich einen kleinen Sieg errungen, wenn auch nur einen symbolischen: Geht es nach der Uno-Generalversammlung, dann soll die internationale Gemeinschaft so schnell wie möglich weltweit gültige Regeln für die geordnete Abwicklung von Staatspleiten aufstellen.

Neustart ermöglichen

Ist ein Unternehmen insolvent, kann es Schutz vor Gläubigern beantragen und seine Schulden neu ordnen. Das Gleiche gilt für Privatpersonen. Doch ist ein Staat bankrott, wird er wie Argentinien schnell zum Spielball von Investmentfonds, Banken und Zivilgerichten – mit enormen Risiken für das Land selbst und das weltweite Finanzsystem. Seit Jahren bereits fordern deshalb Experten rund um den Globus eine verbindliche Insolvenzordnung, um Pleite-Staaten einen Neustart zu ermöglichen. Sie sollen direkt und nach klaren Regeln mit ihren Gläubigern Zahlungserleichterungen, Umschuldungen oder einen teilweisen Forderungsverzicht aushandeln können.

Argentinien war im Juli von den Ratingagenturen für zahlungsunfähig erklärt worden, weil es mit zwei Fonds um Forderungen aus der Zeit seiner Pleite Anfang des Jahrtausends rang. Es war Argentinien selbst, das die jüngste für eine internationale Staats-Insolvenzordnung bei den Vereinten Nationen vorantrieb.

Eingebracht wurde der Resolutionsentwurf schließlich von der sogenannten Gruppe der 77, einem Zusammenschluss der Entwicklungsländer, sowie von China. Eine überwältigende Mehrheit von 124 Staaten stimmte für den Text, 24 enthielten sich der Stimme, elf waren dagegen. Dennoch ist fraglich, ob das Projekt jemals konkrete Formen annehmen wird. Denn Resolutionen der Generalversammlung sind nicht bindend. Und unter den wenigen Staaten, die mit Nein stimmten, sind einige, gegen deren Willen sich keine wirksamen Finanzmarkt-Regeln auf die Beine stellen lassen: Zu ihnen zählen die USA, Großbritannien – und Deutschland.

Dabei sind Experten wie der Ökonom Henning Vöpel vom Hamburgischen Weltwirtschafts-Institut (HWWI) überzeugt, dass eine Insolvenzordnung das globale Finanzsystem stabilisieren würde. „Wenn Investoren wissen, dass ein solches Instrument existiert, gibt es weniger Anlass zur Panik, wenn Zweifel an der Solvenz eines Staates aufkommen“, sagt Vöpel. „Mittelfristig ist das eine gute Sache.“

Turbulenzen an den Märkten

Die Frage ist aber, ob das auch kurzfristig der Fall wäre. Skeptiker argumentieren, dass die Einführung eines derartigen Mechanismus neue Turbulenzen an den Finanzmärkten auslösen und einige Länder vom Geldfluss abschneiden könnte. Wie solche Turbulenzen aussehen können, hatte im Jahr 2010 die Europäische Union erlebt, als die Euro-Staaten um die Rettung Griechenlands rangen. Deutschland forderte ein Regelwerk für Staatspleiten und kündigte an, dass private Gläubiger an Rettungsprogrammen für Euro-Staaten beteiligt würden. Die Folgen waren verheerend: Die Finanzmärkte gerieten vollends in Panik, so dass auch Irland und Portugal schließlich Hilfe beantragen mussten.

Seitdem sind in Europa die Pläne für eine Staats-Insolvenzordnung in der Schublade verschwunden. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) räumte kürzlich ein: „Dazu braucht man einen langen Vorlauf, denn bei den jetzigen Verschuldungsraten würde das zu viel Verunsicherung in die Märkte bringen.“ Bis dahin müssen sich die Staaten mit Hilfskonstruktionen begnügen.

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