Die biologische Uhr tickt. Argentiniens vermeintlich goldene Generation ist mal wieder zusammengekommen, um das zu tun, was ihr seit gut einem Jahrzehnt nicht gelingt: Titel zu gewinnen. Die Namen sind immer die gleichen: Carlos Tevez, Angel di Maria, Javier Mascherano, Lionel Messi, Gonzalo Higuain oder Sergio Agüero. Der Blick auf den augenblicklichen Kader des zweimaligen Weltmeisters, der seit 1993 dem Glück hinterherläuft, scheint von Turnier zu Turnier in Stein gemeißelt.
Lionel Messi hat am Wochenende beim mühsamen 1:0 über Jamaika sein 100. Länderspiel absolviert. Er schmückte seine Fußballschuhe mit der in zwei argentinische Flaggen eingerahmten Jubiläumszahl. Argentinien ist nun zwar als Gruppensieger ins Viertelfinale des ältesten Nationenturniers der Welt eingezogen. Überzeugt hat die Mannschaft bislang aber nur eine Halbzeit lang, beim 2:2 gegen Paraguay.
Immer die gleichen Sprüche
Eine Erfolgsgeschichte ist die Karriere Messis im Nationaltrikot nicht. Kein Titelgewinn, stattdessen Enttäuschungen und frühzeitiges Scheitern. Im Vergleich mit seiner atemraubenden Bilanz beim FC Barcelona wirkt seine und die Ausbeute seines argentinischen Landsmanns Javier Mascherano im Dress des Heimatlandes geradezu erbärmlich: „Wir sind gekommen, um den Titel zu gewinnen“, sagte Messi zu Beginn des Turniers. Auch diese Sprüche sind seit nun einem Jahrzehnt immer die gleichen.
Das Wiedersehen mit den alten Bekannten offenbart das ganze Dilemma des argentinischen Fußballs. Es fehlt an Talenten und an neuen Figuren. Bei der U-20-WM in Neuseeland schied die argentinische Auswahl schon in der Vorrunde aus. Dem Trainer, Humberto Grondona, Sohn des tief in den Korruptionsskandal der Fifa verstrickten und inzwischen verstorbenen Paten des argentinischen Fußballs, Julio Grondona, dürfte das frühe Ausscheiden nicht ungelegen gekommen sein.
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Denn das Familienerbe stand auf dem Spiel, nachdem die argentinische Staatsanwaltschaft wieder einmal angekündigt hatte, sich die Rechtmäßigkeit des familiären Vermögens noch einmal anzuschauen. So konnte Grondona junior auf dem Höhepunkt der Krise schnell wieder nach Hause und nach dem Rechten sehen.
In Chile kämpfen derweil Angel di Maria und Co. gegen die Zeit. Viele Chancen bleiben der Generation Messi nicht mehr, endlich den ersten Titel zu erringen. Bereits nach dem frühen Viertelfinal-Aus bei der Copa 2011 im eigenen Land wurde der Ruf nach einem radikalen Schnitt laut. Die argentinischen Kommentatoren hatten genug von den satten Stars aus Europa, die nur nach Hause zu kommen scheinen, um in den Edelklubs von Buenos Aires Partys zu feiern. „Basta mit all den Chicas, den Fiestas. Versuchen wir es doch mal mit Talenten aus unserer eigenen Liga“, forderte damals der einflussreiche Sender Fox-Sports Argentina aufgebracht, nachdem die „Albiceleste“ wieder einmal frühzeitig gescheitert war.
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Ist im Nationaldress meist allein auf weiter Flur: Superstar Lionel Messi
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Ist im Nationaldress meist allein auf weiter Flur: Superstar Lionel Messi
Ausgetauscht wurde danach – wie immer – der Trainer. Die Liste der erfolglosen Namen ist lang: Jose Pekerman, Alfio Basile, Diego Maradona, Sergio Batista, Alejandro Sabella und nun Gerardo Martino. Ein halbes Dutzend Fußballlehrer, allesamt mit prominenter Vergangenheit, versuchte sich bislang an dieser Generation. Eine Handschrift, einen eigenen Spielstil vermochten sie der Mannschaft nie beizubringen. Stattdessen wiederholt sich das Ritual, wenn wieder einmal ein neuer Trainer kommt:
„Mit Lionel Messi arbeiten zu dürfen ist ein unglaubliches Glück“, sagte Martino im vergangenen Jahr bei seinem Amtsantritt. Sabella schaffte es im vergangenen Jahr immerhin ins WM-Finale, doch wirklich überzeugt waren die argentinischen Fans auch vom „Magier“ auf der Trainerbank nicht. Er lieferte zwar die Ergebnisse, aber nicht den gewünschten Spielstil. Der lautet bislang: Alles ordnet sich Messi unter. Immerhin hat Martino den zuvor in Ungnade gefallenen Carlos Tevez zurückgeholt. Doch der Mann ist bereits 31 Jahre alt. In Argentinien arbeitet der Traditionsklub Boca Juniors an seiner Rückkehr nach Hause. Tevez soll schon in diesem Jahr aus Turin zurück in die Hauptstadt geholt werden. Maradona heißt ihn schon willkommen.
Stagnation statt Strukturwandel
Die Chancen werden immer weniger. Bei der nächsten WM 2018 in Russland wird das prominente Sextett um Messi kollektiv die Grenze von 30 Jahren überschritten haben. Keiner der fünf Stürmer im aktuellen Aufgebot, Higuain, Messi, Agüero, Tevez oder Lavezzi, wird bei Turnierbeginn im Juni 2018 unter 30 sein. Im Mittelfeld sieht es ähnlich aus. Aus der Stammelf ist nur Javier Pastore dann noch keine 30. Junge, aufstrebende Talente, Spieler die in den kommenden zehn Jahren das Gesicht des Teams nachhaltig verändern werden, sind nicht in Sicht. Stagnation statt Strukturwandel.
Also müssen es noch einmal die Alten richten. Wieder einmal. Und doch ist der Druck größer als in den Jahren zuvor. Scheitert die Generation Messi schon wieder, wird der Ruf in der Heimat nach einem Umbruch immer lauter. Es ist gerade Wahlkampf in Argentinien. Ein Nachfolger für Staatspräsidentin Cristina Kirchner wird gesucht. Das Ergebnis der Copa América wird auch darauf Einfluss haben, denn Fußball war in Argentinien schon immer auch ein Thema für die Politik. Schon jetzt gibt es erste Stimmen aus der Opposition, die die „Stagnation“ in der argentinischen Politik und im Fußball aufbrechen wollen.