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Ariela, elf Jahre, lebt mit ihrer Tante in einem Armenviertel in Buenos Aires. Die Mutter starb vor kurzem an Krebs, von ihrem Vater weiß sie nichts. Aber sie mag ihr zu Hause und hat große Pläne.
Spielen? Lernen? Arbeiten? Wie wächst ein Kind auf? Das hing bislang davon ab, wo es zur Welt kam. Das ändert sich gerade, denn in vielen Teilen der Welt wächst der Wohlstand. Wir haben fünf Kinder aus fünf Kontinenten gebeten, ihren Alltag zu fotografieren. Teil 5 der Serie: Ariela, 11, Buenos Aires.
Dort, wo Ariela Hermosi lebt, ist Buenos Aires grau. Vom schicken Bezirk Palermo braucht der Nahverkehrszug eine knappe Stunde nach José León Suárez. Das ist eine Siedlung am Stadtrand, zu Teilen auch eine "Villa", wie die Armenviertel hier heißen. Viele Häuser sind aus rohen Ziegeln. Ein Abwasserkanal wurde erst kürzlich mit Asphalt bedeckt, auch die Kloake an der Müllkippe verschwand spät. Aber die elf Jahre alte Ariela mag ihre Heimat. "Mir gefällt es." Und sie hat große Pläne.
Es ist ein frischer Morgen im Hochsommer des Südens, dabei wird es um diese Zeit oft heiß. Auch überschwemmt Gewitterregen mangels Kanalisation schnell die Straßen. Das Mädchen wohnt seit einigen Monaten bei seiner Tante Betty hinter einer karminroten Metalltür mit der Aufschrift St. Brígida, Nr. 22. Ihre Mutter starb vor Kurzem an Krebs, von ihrem Vater weiß sie nichts. Ein älterer Bruder zog nach Tucumán, ein anderer blieb mit Familie im Elternhaus.
Die kleine Wohnung liegt am Ende eines schmalen Ganges, Ariela teilt ihr Schlafzimmer mit ihrer Cousine. Im Wohnraum steht ein Hund aus Porzellan, darin sammelt sie Peso-Münzen, "ich spare alles". Von Dezember bis März sind Sommerferien, da schläft Ariela bis zehn. Ihre Angst vor der Dunkelheit der Nacht schwindet, nur die Nachbarn mit ihrer lauten Musik stören manchmal.
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Schießereien auf der Straße
Urlaubsreisen sind zu teuer. Ihre Tante putzt im Stadtteil Flores, wo der Papst Franziskus geboren wurde. Wenn sie zurückkommt, dann gehen sie gelegentlich zusammen einkaufen oder zu einer Vereinigung von Frauen aus dieser Gegend. Ab und zu essen sie ein Eis oder fahren ins Zentrum. Ansonsten sieht Ariela fern oder schaut sich DVDs an, hört Elektromusik. Oder sie schreibt und liest auf Facebook, wobei man ihr geraten hat, im Netz aufzupassen.
Noch gefährlicher ist es draußen, jedenfalls nachts. Immer wieder werden im Viertel Kinder und Jugendliche getötet, wenn sie bei Schießereien zwischen die Fronten von Drogenbanden geraten. In der Nähe von Arielas Haus starb ein zehnjähriges Mädchen, getroffen von einer bala perdida, einem Querschläger, Ariela kannte sie. Seitdem die Gendarmerie gegenüber wacht, fühlt sie sich sicherer.
Die öffentliche Grundschule steht einige Ecken entfernt in einer ruhigeren Umgebung. Ariela besucht die fünfte Klasse, ihre Noten sind gut. Morgens findet eine Ode an die argentinische Fahne statt, zuweilen wird die Hymne gesungen. Der Unterricht dauert von acht Uhr bis zwölf Uhr. Gegessen wird daheim. Gerne Schnitzel, Milanesas genannt, oder Empanadas, Teigtaschen. Danach Hausaufgaben. Wegen der Inflation wissen Ariela und ihre Tante oft nicht, wie sie das Material für die Schule bezahlen sollen, aber es geht irgendwie.
Es ging immer irgendwie, auch in Argentiniens Wirtschaftschaos, als ihre Mutter und Brüder Eisen verkauften. Jetzt würde Ariela Hermosi gerne zu Hause helfen, aber sie will auch lesen und lernen und tanzen, Breakdance findet sie cool. Zur Oberstufe soll sie wegen ihres Talents auf eine Privatschule wechseln, man bemüht sich um ein Stipendium.
Ihr Berufswunsch? "Geschichtslehrerin, Geschichte interessiert mich." Und fremde Länder reizen sie, Japan vor allem. Sie liebt Pflanzen und hat Fotos von japanischen Gärten gesehen. Von Deutschland weiß sie, dass Deutsche Bier aus großen Krügen trinken, zwei davon stehen im Wandschrank. Auch beim Oktoberfest der deutschen Botschaft war sie mal. Sie will studieren und irgendwann in ein eigenes Haus ziehen, "an einem schönen Ort, in der Nähe".
Fünf Kinder aus fünf Ländern erzählen aus ihrem Leben - in ihren eigenen Worten und Fotos: Kiran, 14, aus Delhi | Shem, 13, aus Nairobi | Xinran, 11, aus Peking | Henri, 12, aus München | Ariela, 11, aus Buenos Aires