Über seltsame Kontakte eines Waldorflehrers der freien Waldorfschule Minden - ins rechtsextreme Milieu - hatte das Mindener Tagblatt am vergangenen Wochenende berichtet. Im Internetportal "Blick nach rechts" sowie in einem taz-Artikel wurde der Fall Anfang der Woche ebenfalls aufgegriffen.
mm/mi-tdz. - Die Waldorfschule ist wieder einmal im Fokus der Öffentlichkeit. Diesmal geht es um Kontakte eines Mindener Waldorflehrers ins rechtsextreme Milieu. Der Bund der Freien Waldorfschulen soll die Schule aufgefordert haben, hieß es in dem Bericht des Mindener Tageblatts, die Zusammenarbeit mit dem Lehrer zu beenden. Das Mindener Kollegium allerdings, so der Bericht weiter, stünde zu dem Kollegen und vertraue ihm: "Nach Abwägung der aktuell vorliegenden Ergebnisse unter Berücksichtigung der Erfahrung der Zusammenarbeit sei das Kollegium zu dem Schluss gekommen, dass er 'keinerlei rechtsextremes, rassistisches oder völkisches Gedankengut vertritt'. In geheimer Abstimmung wurde ihm ohne Gegenstimme das Vertrauen ausgesprochen, so die Schule in einer schriftlichen Erklärung."
In der Tat hat der Vorstand des Bundes der Freien Waldorfschulen (BdFWS) die Mindener Waldorfschule aufgefordert, den betreffenden Kollegen mit sofortiger Wirkung vom Unterricht freizustellen und die Zusammenarbeit zu beenden. Auf Empfehlung des BdFWS hat die Waldorfschule Minden zur Unterstützung zusätzlich die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus NRW“ hinzugezogen. Die hatte am Montag den Verantwortlichen in der Schule ihren Bericht vorgelegt. In diesem Bericht kommen die Fachleute der Beratungsstelle zu einer ziemlich eindeutigen Einschätzung: "Aufgrund der uns zurzeit vorliegenden Informationen muss Wolf-Dieter S. als Aktivist innerhalb eines extrem rechten völkischen Netzwerkes gesehen werden. In verschiedenen Organisationen der völkischen Bewegung nahm und nimmt er organisatorische Funktionen ein und betätigt sich als Publizist. In den von S. verfassten Texten finden sich wesentliche Denk- und Argumentationsmuster der völkischen Ideologie." Allerdings, so heißt es weiter in der Einschätzung, fänden sich keine "offen rassistische, antisemitische, antidemokratische und [...] NS-verherrlichende Haltungen" in den Texten. Nach Auffassung der Schulverantwortlichen sei es damit eine "Ermessenssache" ob der Lehrer "an unserer Schule verbleiben kann."
Früheren Medienberichten zufolge hatte der Lehrer vor einigen Jahren den Vorsitz eines Vereins mit dem Namen "Ahnenstätte Conneforde" in Wiefelstede in der Nähe von Oldenburg übernommen, der jahrelang von Alfred Manke geleitet worden sei, laut Wikipedia soll es sich dabei um einen ehemaligen niedersächsischen NPD-Funktionär handeln. In dieser Ahnenstätte sind zahlreiche Gedenksteine für alte Nationalsozialisten zu finden, unter anderem auch einer für die Holocaustleugnerin Gertrud Herr, die eine maßgebliche BDM-Führerin gewesen sei. Zitat der Nordwestzeitung: "Wo alte Nazis friedlich ruhen". Hier soll sich der Pädagoge bereits eine Grabstelle für sich und seine Familie gesichert haben.
Die so genannte "Nazi-Sekte" BDU (Bund der Unitarier) dürfte weitere Fragen aufwerfen, dort soll der Pädagoge Mitglied gewesen sein. Und sicher ist die Frage erlaubt, ob es tatsächlich als harmlos oder normal einzustufen ist, wenn ein Waldorflehrer ausgerechnet in der Zeitung "Mensch und Maß" publiziert, die im Verlag "Hohe Warte" erscheint, einem rechtsgerichteten Verlag, der in der unrühmlichen Tradition derer von Ludendorff steht.
Angesichts der vielen Ungereimtheiten dürfte es wohl nicht ganz auszuschließen zu sein, dass es vielleicht doch eine stärkere Verbindung zu rechten Kreisen geben mag, als der Waldorfpädagoge und die Mindener Schule die Kritiker glauben machen will. Auch in einer rechtsgerichteten Publikation aus Österreich namens AULA taucht der Name des Pädagogen als Autor auf. Laut Wikipedia wird diese Publikation vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und vom ehemaligen Informationsdienst gegen Rechtsextremismus als rechtsextrem eingestuft. Und dass der Waldorf-Werklehrer - mit Familie - an einer Veranstaltung der so genannten "Artgemeinschaft" in Thüringen teilgenommen haben soll, die auch vom Verfassungsschutz beobachtet wird, könnte durchaus als weiteres Indiz dafür gewertet werden, dass hier nicht nur Naivität im Spiel ist. Denn an derlei - zumeist nicht öffentlichen - Veranstaltungen, die zudem an nicht bekannten Orten stattfinden, nimmt im Normalfall niemand teil, wenn er nicht eine gewisse Verbindung zu der veranstaltenden Organisation hat.
Zugute gehalten wird dem 1962 geborenen Lehrer von seinen Kollegen an der Schule offensichtlich, dass er erst zu Beginn der 1990er Jahre nach Deutschland gekommen sei und demzufolge über die Strukturen in Deutschland natürlich nicht so gut Bescheid wissen konnte. Nun kam er allerdings nicht aus irgendeinem Ausland, sondern aus Argentinien. Er sei in Buenos Aires geboren, erfahren wir von einem Kollegen, und dort auf eine deutsch-argentinische Schule gegangen. Dass man die Strukturen im Hinblick auf das "Deutschtum" in Argentinien auch kritisch sehen kann, wird an einer deutschen Schule in Bariloche sichtbar, denn just an dieser deutschen Schule war bis 1994 kein geringerer als Erich Priebke Schul-Vorstandsvorsitzender, ein ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS, der 1994 in diesem Ort von den Behörden aufgespürt und nach Italien ausgeliefert wurde. Dort wurde er wegen der Massenerschießung italienischer Partisanen im Jahre 1945 gesucht. Dieser Mann genoss offensichtlich an diesem Ort eine hohe Reputation. In einer WDR-Dokumentation des argentinischen Filmemachers Carlos Echeverría, eines ehemaligen Schülers dieser Schule, wird durch zahlreiche Hintergrundinformationen zum Thema Argentinien und der dortigen deutschen Gemeinschaften ziemlich schnell deutlich, dass man nicht nur an diesem Ort, sondern in ganz Argentinien sehr wohl über die Aktivitäten der Altvorderen Bescheid gewusst haben dürfte.
Laut einer Elterninformation der Mindener Schule vom Wochenende, in der noch einmal klargestellt wurde, dass man dem Pädagogen einstimmig das Vertrauen ausgesprochen habe, war der Lehrer bis zu den Sommerferien freigestellt worden.
Am gestrigen Mittwoch nun gab es an der Mindener Schule eine Veranstaltung, zu der von der Schule zwei Fachleute des oben genannten "Mobilen Beratungsdienst gegen Rechtsextremismus" eingeladen worden waren, die die Schulgemeinschaft über die Ergebnisse ihrer Recherchen und ihre Einschätzung der Aussagen des Lehrers gegenüber der Schule informierten. In ihrem Bericht hatten sie explizit darauf hingewiesen, dass "die Organisations- und Publikationszusammenhänge (...) in denen S. auftritt, (...) ganz eindeutig für Rassismus, Antisemitismus, Demokratiefeindlichkeit und NS-Akklamation (stehen). Es handelt sich insgesamt um Gruppen und Vereinigungen mit vergleichsweise starken Zugangsbeschränkungen; es ist nicht so ohne Weiteres möglich, sich in derartige Szenen zu integrieren. Es wäre daher höchst ungewöhnlich, wenn ein erwachsener Mensch 'zufällig' oder 'unbewusst' in derartige Kreise gerät, dort ohne inhaltliche Übereinstimmungen oder zumindest starke Affinitäten viele Jahre lang verbleibt sowie publizistisch wirkt und organisatorische Funktionen einnimmt."
Die Abstimmung über die Frage nach dem weiteren Vorgehen zeigte nach einer vorangegangenen und erstaunlich wenig emotionsgeladenen Informations- und daran anschließender Diskussionsrunde ein ziemlich deutliches - wenn auch nicht einheitliches - Meinungsbild. Die Auswertung wurde nach dem Status der Anwesenden aufgelistet. So sprachen sich 17 Schüler für eine Entlassung aus, 12 waren für eine Beurlaubung für 3 Monate, in denen ein Prozess der Aufarbeitung stattfinden soll und 31 plädierten für ein Weiterarbeiten des Pädagogen. Von den Lehrern waren 5 für die Entlassung, 16 für eine Beurlaubung und 5 für die Weiterbeschäftigung. Bei den Eltern waren es 28, die für eine Entlassung stimmten, 33, die für die Beurlaubung und 42, die für die Weiterbeschäftigung waren. Es obliegt jetzt der Schulführungskonferenz, am heutigen Nachmittag eine Entscheidung über das weitere Vorgehen zu treffen.
In ihrer aktuellen Presseveröffentlichung distanzierte sich die Schule ausdrücklich "von jeder Unterstützung von rechtsradikaler oder -extremer Seite. Wir haben mit der Partei „Die Rechte“ keinerlei Kontakt. Die Solidarität eines Teils der Schulgemeinschaft mit dem Lehrer speist sich nur aus der Überzeugung, dass dieser Kollege kein Rechtsextremist ist."
Dieser Meldung voraus gegangen war ein Zeitungsartikel, der darüber berichtet hatte, dass es auf der Facebook-Seite der Parte "Die Rechte" Solidaritätsbekundungen für die Haltung des Lehrers und der Schule gegeben habe.
Der Bund der Freien Waldorfschulen betonte sowohl gegenüber unserer Redaktion, wie auch in seiner aktuellen Pressemitteilung zu dem Thema noch einmal ausdrücklich die Empfehlung an die Schule, den Lehrer zu entlassen. Ein Vorgehen, das nach den vor einiger Zeit bekannt gewordenen Vorfällen an der Rendsburger Waldorfschule - bezüglich der so genannten Reichsbürger - nur folgerichtig und konsequent erscheint. Henning Kullak-Ublick, Vorstandsmitglied beim BdFWS kommt zu der Einschätzung, dass der Bericht der "Mobilen Beratungsstelle" den Mitarbeiter nicht von dem Vorwurf entlastet, im extrem rechten Spektrum aktiv gewesen zu sein: "Weder mit der Pädagogik noch mit dem zivilgesellschaftlichen Selbstverständnis der Waldorfschulen ist Rechtsextremismus vereinbar. Die Schule muss sich schnell, entschieden und glasklar positionieren und das auch vor den Eltern vertreten."
Eine Weiterbeschäftigung des Lehrers an der Mindener Schule dürfte nach dieser Auffassung allerdings nicht ohne Konsequenzen im Hinblick auf den Verbleib der Schule im Bund der Freien Waldorfschulen bleiben.
Artikel im Mindener Tageblatt
Pressemeldung des BdFWS
Artikel bei Blick nach Rechts (bnr)
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