Schönheiten des ewigen Eises

Beim Ablegen der MS Fram lässt Kapitän Andreassen die sonore Schiffssirene erklingen und bald werden die bunten Häuser von Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt, kleiner. Auf dem spiegelglatten Wasser des Beagle-Kanals nimmt das Schiff Kurs in Richtung Süden. Es geht zur Antarktischen Halbinsel. Dazwischen liegt noch die Drake-Passage, ein für seine Stürme berüchtigtes Seegebiet zwischen der Südspitze Südamerikas und der Nordspitze der Antarktischen Halbinsel.

Doch die Passagiere haben Glück: In den Gewässern vor Kap Hoorn weht nur eine leichte Brise. So steht statt Seekrankheit Sonnenbaden an Deck auf dem Programm. Leider lässt sich kein Albatros blicken; normalerweise folgen sie dem Schiff, doch sie benötigen viel Wind, um ohne Anstrengung segeln zu können. Rund 1.000 Kilometer südlich von Ushuaia kündigen dann kleine Eisberge, Landfetzen und Seevögel, die von nun an das Schiff begleiten, die Antarktische Halbinsel an.



Bevor das Schiff Half Moon Island erreicht, erläutert Expeditionsleiterin Anja Erdmann die Spielregeln: "Fragt nicht, wann der nächste Landgang ist, fragt nicht, wie lange ihr an Land bleiben dürft. Wir können nicht einmal garantieren, ob der nächste Landausflug überhaupt stattfinden kann." Erdmann ist Perfektionistin und organisiert alles bis ins kleinste Detail. Mit ihrem Team geht sie vor den Passagieren an Land. Sie erkunden, ob eine Anlandung problemlos möglich ist, deponieren eine Sicherheitsausrüstung, damit die Gäste – falls eine planmäßige Rückkehr zum Schiff nicht möglich sein sollte – auch einen Wettersturz heil überstehen. Die ganze Prozedur ist extrem aufwändig, deshalb dauert ein Landgang für die rund 200 Passagiere der MS Fram vier bis fünf Stunden, auch, weil immer nur 100 Menschen gleichzeitig an Land dürfen.

Wegen der halbmondförmigen Bucht, in der die MS Fram ankert, könnte der Inselname Half Moon Island nicht passender sein. Bizarre Felstürme und das nahe Livingston Island mit seinen Gletschern und den roten Häusern der argentinischen Sommerstation Teniente Camara bilden eine spektakuläre Kulisse. Die kleinen Boote landen mitten in einer Pinguinkolonie an. Dutzende Zügelpinguine stehen wie ein Begrüßungskomitee am Strand. Hin und wieder springen einige aus dem Wasser und watscheln über den Kiesstrand zwischen den faul herumliegenden Pelzrobben hindurch. Von den Menschen, die in ihr Revier eindringen, nehmen weder Pinguine noch Robben Notiz.Zwischen der Antarktischen Halbinsel und den vorgelagerten Inseln verläuft der Antarctic Sound, der auch als Straße der Eisberge bekannt ist. Die Antarktis-Fahrer müssen auch nicht lange warten, bis zu beiden Seiten des Schiffes immer mehr Eisberge auftauchen. Haushoch und viele hundert Meter lang sind die Tafeleinsberge, an denen das Schiff so langsam und nah vorbei gleitet, dass jede noch so feine Struktur im Eis zu erkennen ist.

Die Straße der Eisberge führt schließlich nach Deception Island, einer hufeisenförmigen Vulkaninsel mit gut zehn Kilometer Durchmesser. Es ist eine mit Wasser gefüllte Caldera. Die Fahrt in den Krater ist spektakulär, denn Kapitän Andreassen muss das Schiff durch eine nur 200 Meter breite Öffnung manövrieren. Dieser schmale Durchlass ist der einzige Weg in den Vulkankrater und wird Neptuns Blasebalg genannt. Auch wenn um das Schiff herum nur Eis ist – Deception Island ist ein aktiver Vulkan, der im 20. Jahrhundert mehrere Male ausgebrochen ist. Als Erstes geht es an der Telefon Bay im Norden des Kraters an Land. Bedeckter Himmel und leichter Schneefall machen die Landschaft zu einem monochromen Schwarz-Weiß-Gemälde.

Über lose Vulkanasche marschieren die Besucher auf ein kleines Plateau und über einen Grat weiter bergauf, bis der Blick über eine Landschaft mit vielfältigen geometrischen Mustern schweifen kann. Am Nachmittag beim Landgang in Whalers Bay scheint dann wieder die Sonne und die Landschaft hat ihre Farbe zurück. In der Bucht befinden sich die Reste einer Walfang- und Forschungsstation, von 1912 bis 1931 arbeitete hier die südlichste Trankocherei der Welt. Nach einigen weiteren Landgängen und Hunderten Pinguinfotos erreicht die MS Fram im Lemaire Channel mit 65° 04’ ihre südlichste Position. Bis zum Polarkreis wäre es zwar nicht mehr weit, aber Eis macht die Weiterfahrt unmöglich.

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