Opposition in Argentinien Enthüllungsstories ohne Filter – FAZ

© AP

Realsatire pur: Nachdem Jorge Lanata im selben Krankenhaus landete, in dem die Präsidentin operiert wurde, musste er das Spital umgehend wieder verlassen

Jorge Lanata

© AP



Realsatire pur: Nachdem Jorge Lanata im selben Krankenhaus landete, in dem die Präsidentin operiert wurde, musste er das Spital umgehend wieder verlassen

Jorge Lanata ist nicht nur wegen seiner massigen Statur das markanteste Schwergewicht im argentinischen Medienzirkus. Seine Fernsehsendung „Periodismo para todos“, Journalismus für alle, sonntags um 22 Uhr, hat Kultstatus. Unter der Woche ist er Hauptfigur im Morgenprogramm des Mittelwellensenders Radio Mitre, im Vierstundenmarathon „Lanata ohne Filter“. Lanata ist bekennender Kettenraucher. In seinem Fernsehprogramm im Canal Trece des oppositionellen Medienkonzerns Clarín deckt er Skandale auf, in die Politiker aus dem Lager der Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner verwickelt sind. Sein Erfolgsrezept: Er streut eine kräftige Portion Satire und Komik zwischen die akribisch recherchierten Enthüllungen. Damit erzielt er höchste Einschaltquoten.

Lanata versucht vor allem, die vorgeblich um die Ärmeren besorgte, doch abgehoben von der Alltagsrealität wie eine absolutistische Herrscherin regierende Präsidentin, die sich gerade von einer Operation wegen eines Blutergusses im Schädel erholt, und ihren Hofzirkel zu demaskieren. Sein jüngster Coup: Er rief die Zuschauer auf, der Bevölkerung in den von Wassermangel und Hunger geplagten Nordprovinzen Formosa und Salta zu helfen. Noch während der Sendung sprang die Zahl der Follower auf einer eigens eingerichteten Facebook-Seite auf 12 000 und später auf mehr als 40 000.

Die wundersame Karriere eines Bankangestellten

Lanata entfesselte eine Welle der Hilfsbereitschaft. Er zeigte zugleich, wie wenig die Regierung unternimmt, um die Lage in den Elendsgebieten zu verbessern. Und er legte anhand einer Liste grotesker Einfuhr- und Zollvorschriften dar, in welchem Maß der Staat Hilfslieferungen von Privatleuten aus dem Ausland behindert. In Lanatas Sendungen traten Gewährsleute auf, die bezeugten, Frau Kirchners verstorbener Gatte Néstor und einige Helfershelfer hätten Geld in so großem Umfang ins Ausland transferiert, dass es nicht mehr gezählt, sondern gewogen worden sei. Lanata berichtete über geheime Tresore im Wohnhaus der Kirchners und beschrieb die wundersame Karriere eines Bankangestellten, der dank offizieller Aufträge und der Freundschaft zur Präsidentenfamilie zu einem der reichsten Bauunternehmer Argentiniens wurde. Manche von Lanatas Zeugen zogen ihre Aussage zurück, sagten, sie hätten ihn reinlegen wollen oder hätten sich die Dinge zusammengereimt. Handfeste Gegenbeweise zu den Enthüllungen gibt es nicht.

Die Regierung reagiert auf die Berichte, wie sie stets auf unangenehme Ereignisse reagiert: mit eisernem Schweigen. Selbst als Lanata die Präsidentin aufforderte, ihn zu verklagen, falls es Zweifel an seinen Recherchen gebe, kam keine Reaktion. Doch versucht der „Kirchnerismus“ immer wieder, Lanata mundtot zu machen. Absurd war der Versuch, ihm die Zuschauerquote seines Programms durch die Ausstrahlung attraktiver Fußballspiele zur selben Zeit im staatlichen Sender TV Pública (Canal Siete) zu vermiesen. Sieger blieb Lanata. Er machte sich sogar darüber lustig und trat im Fußballtrikot auf, was angesichts seiner Körperfülle recht apart aussah.

Parodien von Präsidentin und Politikern

Die Fernsehsendung Lanatas folgt einem festen Ritual. Eröffnet wird sie mit einem „Monolog“. Lanata erscheint vor einem roten Bühnenvorhang und vor einem historischen Riesenmikrophon, einer Attrappe, an der er sich gern festhält. Süffisant kommentiert er die politischen Ereignisse, das Studiopublikum johlt. Er wird immer wieder unterbrochen, besonders gern von der „Sueca“, der „Schwedin“, die ursprünglich eine um die Gesundheit des Moderators besorgte Krankenschwester mimte, inzwischen als Sexpüppchen auftritt und ihn mit gespielt naiven Einwürfen in fehlerhaftem Spanisch konterkariert. Alexandra Larsson ist wirklich Schwedin. Sie kam als Model und Tänzerin nach Buenos Aires.Und Lanata war wegen seines Übergewichts wirklich schwer krank, litt sogar an Nierenversagen. Inzwischen hat er dreißig Kilogramm abgenommen, hält sich an eine Diät, hat das Rauchen allerdings nicht aufgegeben.

An die Stelle der fingierten Krankenbehandlung sind Parodien getreten, in denen Schauspieler die Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und eine Reihe populärer oder verhasster Politiker karikieren. Manchmal verdunkelt sich auch das Studio, und aus der Höhe ist die Stimme des verstorbenen Präsidentinnengatten Néstor Kirchner mit seinem markanten Sprachfehler zu vernehmen. Bisweilen spielt auch die Realität Satire: Am vergangenen Dienstag suchte Lanata wegen neuerlicher Nieren- und Herzprobleme ausgerechnet die Klinik auf, in der Frau Kirchner operiert wurde. Am Abend musste er in ein anderes Krankenhaus umziehen, weil kein Bett frei war.

Der agressive Enthüllungspublizist aus dem linken Spektrum

In seiner Sendung bezieht Lanata nach dem „Monolog“ Position an einem Tisch mitten auf einer Bühne. Von dort aus präsentiert er seine Interviews als Einspielfilme, lässt seine Mitarbeiter Ergebnisse ihrer Recherchen vortragen. Das Heer der Politiker-Imitatoren und Journalisten kreist um ihn wie um ein Zentralgestirn. Es bleibt keine Minute ein Zweifel daran, dass es seine Sendung ist. Mit Hornbrille, Silberstoppelbart und Riesenstatur wirkt er eher wie ein gutmütiger Bär denn wie ein aggressiver Enthüllungspublizist. Eingeweihte wissen aber - er kann auch aus der Haut fahren.

Eigentlich passt Lanata, der aus dem linken politischen Spektrum kommt, nicht so recht zu dem neoliberalen Prinzipien huldigenden Medienriesen Clarín, doch haben ihn seine Fernsehauftritte dort erst richtig populär gemacht. Er schreibt zudem eine wöchentliche Kolumne für die gleichnamige Tageszeitung, das Blatt mit der höchsten Auflage in Argentinien, und sieht sich als Bollwerk gegen das staatliche Medienimperium, das die Regierung aufbaut.

Der Oberste Gerichtshof entscheidet über Lanatas Zukunft

Auch wenn die Fronten zwischen der Kirchner-Regierung und Lanata als mittlerweile populärstem Journalisten des Clarín-Konzerns klar scheinen, sind die Verhältnisse doch komplizierter. Ursprünglich stand das mächtigste Medienunternehmen Argentiniens auf Seiten der Kirchners. Seit dem Bruch 2008 setzt die Regierung jedoch alles daran, den Konzern zu zerschlagen. Die Brechstange ist ein Mediengesetz, dessen entscheidende Bestimmungen von Clarín als verfassungswidrig angesehen werden. Darüber muss bald der Oberste Gerichtshof entscheiden. Sollte das Gericht das Gesetz für gültig erklären, könnte auch Lanatas Sendung kippen - ein von der Kirchner-Regierung höchst erwünschter Effekt.

Lanata ist ein journalistisches Urviech. Schon mit vierzehn Jahren hat er für einen Radiosender gearbeitet, er gab sich als Neunzehnjähriger aus. Er hat für unzählige Radio-, Fernsehsender und Publikationen gearbeitet, neue Sendeformate entwickelt, Bücher geschrieben, Zeitungen und Zeitschriften ins Leben gerufen. Mit 26 Jahren war er 1987 Mitbegründer der Tageszeitung „Página 12“ (Seite 12) und sieben Jahre lang Chefredakteur des Blattes. Ihr Markenzeichen waren ironische Überschriften voll frecher Wortspiele, vor allem auf der Titelseite. Mitte der neunziger Jahre stieg Lanata aus. Inzwischen ist „Página 12“ das Petrusblatt der Kirchners, von denen es sich regelrecht kaufen ließ. Lammfromm verteidigt es selbst die absurdesten Schritte der Regierung als weise Entscheidungen.

Kirchner ruinierte seine Zeitung

Die Zeitung ist, wie Lanata sagt, nur noch eine „Fratze“ dessen, was sie einst war. Sie stand bis zur Allianz mit den Kirchners in Opposition zu allen seit der Diktatur herrschenden demokratischen Regierungen. Das Blatt sollte sich nie mit der Macht gemein machen. Als im Mai 2012 der fünfundzwanzigste Geburtstag von „Página 12“ gefeiert wurde, war Mitgründer Lanata nicht eingeladen. Präsidentin Kirchner erwähnte ihn in ihrer Festrede nicht.

Ein später Versuch Lanatas, 2008 noch einmal eine neue Zeitung („Crítica de la Argentina“) herauszubringen, war ein Misserfolg. Das Projekt wurde aber auch von den Kirchners torpediert. Mit seinem Einfluss gelang es Néstor Kirchner, Firmen davon abzuhalten, in der Zeitung Anzeigen zu schalten. Kirchner habe schon in der ersten Woche der Existenz des Blattes einem Vertrauten gegenüber angekündigt, er werde „Crónica“ ruinieren, „und tatsächlich hat er uns ruiniert“, stellt Lanata fest. Nach zwei Jahren kam das Aus. Lanata hat das nicht erschüttert. „Ich hänge nie an der Vergangenheit fest“, sagt er. Derlei Erfahrungen und Umfragen, die ihm größere Wahlchancen als Frau Kirchner prophezeiten, haben ihn nicht verlocken können, selbst in die Politik einzusteigen und Rache zu üben. „Ich will keine Politik machen. Das ist nicht meine Rolle. Dafür tauge ich nicht. Das interessiert mich nicht“, bemerkte er lakonisch.

Quelle: F.A.Z.
Hier können Sie die Rechte an diesem Artikel erwerben




 
Weitersagen
Kommentieren

Merken
Drucken


 
Beitrag per E-Mail versenden

Opposition in Argentinien: Enthüllungsstories ohne Filter

Opposition in Argentinien

Enthüllungsstories ohne Filter


Von Josef Oehrlein, Buenos Aires

Jorge Lanata ist der Star des argentinischen Journalismus und jagt die Präsidentin Kirchner vor sich her. Dabei macht er die beste Satire im Fernsehen und enthüllt einen Skandal nach dem anderen.

Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte überprüfen Sie Ihre Eingaben.


E-Mail-Adresse des Empfängers
(Mehrere Adressen durch Kommas trennen)


Ihre E-Mail Adresse


Ihr Name (optional)



Ihre Nachricht (optional)


Sicherheitscode


Um einen neuen Sicherheitscode zu erzeugen, klicken Sie bitte auf das Bild.


Bitte geben Sie hier den oben gezeigten Sicherheitscode ein.

 

Beitrag per E-Mail versenden

Vielen Dank
Der Beitrag wurde erfolgreich versandt.






Open all references in tabs: [1 - 7]

Leave a Reply