Next generation: Paula Rosolen Fremdes in die Tanzwelt einspeisen – Goethe

Rote Lockenmähne und energischer Auftritt sind das Erste, was an der aus Argentinien stammenden Choreografin auffällt. Ihre außergewöhnlichen Choreografien bewegen sich lustvoll zwischen Tanzgeschichte und Populärkultur, sie befassen sich beispielsweise mit Musicals oder mit den Pianisten, die Tanzproben begleiten. Hierfür hat die 1983 geborene Choreografin in den vergangenen Jahren wichtige Förderungen erhalten: Sie war Residentin bei K 3 in Hamburg realisierte ein Stück im Rahmen des Tanzfonds Erbe der Bundeskulturstiftung und gewann mit einer Preview ihres neuen Stückes „Aerobics!“ den ersten Preis beim Wettbewerb Danse Élargie im Thêatre de la Ville in Paris.

Frau Rosolen, wie haben Sie mit dem Tanzen angefangen?

Ich glaube wie jedes Mädchen, die von ihrer Mutter zum Ballett gebracht wird. Allerdings war mein Unterricht spielerischer, es war keine reine Ballettschule, sondern ich lernte unterschiedliche Techniken des zeitgenössischen Tanzes. Nach der Schule habe ich Choreografie und Kunstgeschichte in Buenos Aires studiert. Da habe ich gemerkt, dass das Tanzen für mich intensiver war, dass mir die Herausforderung Spaß gemacht hat. Schließlich habe ich an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt vorgetanzt und wurde genommen, eigentlich nur für ein einjähriges Auslandsstudium.

Warum sind Sie dann geblieben?

Ich bin jemand, der beenden möchte, was er angefangen hat. Nach vier Jahren wollte ich nicht mit leeren Händen nach Argentinien zurückgehen. Und dann wurde der Masterstudiengang Choreografie und Performance in Gießen gegründet, ich gehörte zu den ersten vier, die aufgenommen wurden. Das hat mir die Zeit gegeben, etwas Eigenes zu entwickeln, herauszufinden, was meine Interessen sind.

Was haben Sie dort herausgefunden?

Das erste ist die Möglichkeit, mit dokumentarischem Theater zu arbeiten. Bei Gastprofessor Jeff Friedman lernte ich die Methoden der „Oral History“ kennen, sie interessieren mich sehr. In Gießen war es wichtig, wie man Sachen macht. Und ich hatte Raum, Methoden selbst zu entwickelt, zu schauen, wie Ideen umgesetzt werden können, wie Recherchen geordnet und Ideen auf die Bühne gebracht.
 

  • © Laurent Philippe

    „Aerobics!“ (2014)

  • © Jörg Baumann

    „Piano Men“ (2013) mit David Morrow und Thorsten Larbig

  • © Valentin Fanel

    „Die Farce der Suche“ (2010), ein Solo von und über Renate Schottelius mit Natala Mariel Gómez

  • © Daniel Barth

    „Libretto“ (2013)

  • © Jörn Lund (blue ligt)

    „Libretto“ (2013)

Sie arbeiten viel mit Interviews, auch bei „Piano Men“, einem Stück mit und über Korrepetitoren und ihre Perspektive auf den Tanz – warum?

Für mich sind Interviews ein Weg, mich etwas Neuem, Unbekannten anzunähern und es kennenzulernen, Informationen zu bekommen, die nicht geschrieben worden sind, Erinnerungen, Bewegungen, Stimmen. Wie beschreibt man Tanz, wie erinnert man ihn? Schließlich sprechen Tänzer häufig auch in Gesten und Bewegungen.

Wie gehen Sie mit dem recherchierten Material künstlerisch um?

Ich nehme es auseinander, klassifiziere es, und dann kommt es natürlich auf das jeweilige Projekt an. Bei Piano Men habe ich nach einem Narrativ gesucht, weil die Pianisten sich auf der Bühne ja kaum bewegen. Es war spannend, die Perspektive der Pianisten auf den Tanz zu erfahren, eine Perspektive, die ja sonst nicht gehört wird. Es sind Personen, die eine lange Zeit mit einem Choreografen oder Lehrer verbracht haben, die Tanz sehr genau beschreiben können, das hat mich interessiert. Bei Die Farce der Suche, einem Stück über die Tanzpionierin Renate Schottelius, habe ich versucht, ihre Persönlichkeit aus all den Fundstücken, Dokumenten, Fragmenten wieder aufleben zu lassen. Die Art und Weise, wie ich bei dem jeweiligen Projekt mein Material ordne, ist für mich choreografische Arbeit.

In „Piano Men“ und „Die Farce der Suche“ haben Sie sich explizit mit Tanzgeschichte auseinandergesetzt. In anderen Stücken speisen Sie etwas Fremdes in den zeitgenössischen Tanz ein – in „Libretto“ das Musical oder in „Aerobics!“, woran Sie zurzeit arbeiten, eine Trainingsmethode, die in den 1980er-Jahren sehr populär wurde.

Ich finde es gerade spannend, etwas in die Tanzwelt zu bringen, das da nicht hingehört. Ich nehme Aerobic auseinander und zerlege es, bis nur die Essenz übrig bleibt. Diese betrachte ich dann als Tanz und konfrontiere sie mit Fragen, die aus dem Feld von Theater, Tanz und Performance kommen, mit Codes, die nicht zu Aerobic gehören – diese Konfrontation interessiert mich. Mit Aerobics! beschäftige ich mich schon seit 2012, aber es ist mir lange nicht gelungen, Koproduzenten in Deutschland dafür zu finden – bis im letzten Jahr die Einladung nach Paris kam, dort beim Wettbewerb Danse Élargie eine Miniatur des Stückes zu zeigen. Dadurch konnte ich sie auch hier zeigen, dieses Jahr wird es endlich zur Premiere kommen mit Aufführungen an den Sophiensælen in Berlin, am Mousonturm in Frankfurt und am Théâtre des Abbesse in Paris.

Warum, glauben Sie, war es so schwierig, in Deutschland Koproduzenten zu finden?

Ich denke, man glaubt nicht daran, dass Alltagswissen und Populärkultur etwas Interessantes in den Tanzkontext einbringen können.

Wie sind Ihre Visionen als Newcomerin?

Ich möchte auf Themen oder Felder, die viele bereits kennen oder die medial präsent sind, von einer anderen Perspektive schauen, mit meinem Wissen als Choreografin, die innere Codes kennt, Bewegung in Zeit und Raum platziert, Rhythmus schafft. Auch in Piano Men ging es ja darum, den versteckten Tanz zu entdecken. Oder Bewegungen, die bereits existieren, wieder zu finden, das ist auch eine archäologische Arbeit. Als Choreografin fungiere ich als Filter, ich bin die, die auswählt.

Wie gehen Sie mit dem Erbe um? Wie grenzen Sie sich von den Vätern und Müttern ab?

Ich würde mich von nichts abgrenzen. Es hängt von dem Projekt ab und davon, was ich dafür benötige. Ich arbeite gern mit größeren Gruppen, aber auch das ist abhängig vom Kontext, Libretto hat zwanzig Tänzer, Piano Men zwei. Es ist sehr abhängig von der Idee und von dem Projekt überhaupt, welche Mittel und Methoden Verwendung finden.

Ihre Ensemblegrößen sind tatsächlich ungewöhnlich, viele junge Choreografen arbeiten primär mit kleinen Formaten wie Duos und Trios. Bei „Aerobics!“ sind nun – mit Ihnen – sieben Tänzer auf der Bühne.

Ich habe als Zuschauerin beobachtet, dass es diese Grenze gibt, und mich gefragt, wie ich es finanziell stemmen kann, mit größeren Gruppen zu arbeiten. Das ist für mich auch ein gewisses Statement, ich will nicht dazu gezwungen werden, mit ein bis drei Tänzern zu arbeiten.


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