- trend Interview. Viktor Klima über die politische Integration Südamerikas, seinen Bauernhof, seine Gesundheit, sein Verhältnis zu Österreich und warum er macnhmal heilfroh über die 12.000 Kilometer Distanz zwischen Wien und Buenos Aires ist.
10 Jahre lang hat Viktor Klima keinem heimischen Medium mehr ein Interview gegeben. Vor fünf Jahren hatte trend-Redakteur Bernhard Ecker schon den Flug nach Buenos Aires gebucht, dem Lebensmittelpunkt des ehemaligen Bundeskanzlers, als Klima ein schon vereinbartes Interview plötzlich absagte. Ecker flog dennoch und kam mit einem lesenswerten Porträt zurück. Für den trend machte Klima, der sich per Ende September aus seinen Funktionen bei VW Südamerika zurück gezogen hat, nun deshalb eine absolute Ausnahme, wie er betont.
trend: Sie sind anders als andere ehemalige SPÖ-Kanzler wie Franz Vranitzky oder Alfred Gusenbauer, die ihre Kontakte in Europa monetarisiert haben, weit weg gegangen. Warum?
Viktor Klima: Vorab: Ich möchte mich in diesem Interview nicht allzu viel mit der Vergangenheit beschäftigen. Aber es war in der Tat so, dass ich 1992 nach 25 Jahren Wirtschaft in die Ministerfunktion gewechselt bin; und nach meinem Entschluss im Jahr 2000, nicht in der Politik zu bleiben, hatte ich durch diese Kombination aus Wirtschafts- und Politikerfahrung ein umfangreiches Telefonbuch, inklusive Staats- und Regierungschefs. Ich hatte gute Angebote, die darauf abzielten, mein Lobbyingpotenzial zu nutzen nur weiß ich, wie kurz die Halbwertszeit in so einer Funktion ist: Im ersten Jahr redet man noch mit dem einen oder anderen Regierungschef, im zweiten Jahr wird man schon an den Assistenten verwiesen, und im dritten Jahr kommuniziert man nur noch mit der Sekretärin des Assistenten. Deshalb wollte ich unbedingt in den industriell-gewerblichen Bereich zurückkehren.
Den gibt es auch in Europa
Klima: Ich wollte inhaltlich und örtlich nach meinem Leben in der Politik einen gänzlichen Neuanfang machen, auch mit neuen Herausforderungen. Daher hat mich das Angebot überzeugt, in den Automobilbereich in Südamerika zu wechseln. Und ich wollte auch später in keiner Phase beruflich zurück nach Wien oder nach Wolfsburg.
In der Tat war es ein turbulentes Jahrzehnt. 2002 war der argentinische Staat pleite, die Bilder der auf Kochtöpfe schlagenden Protestierenden gingen um die Welt.
Klima: Einige Jahre davor war die Krise in Brasilien. Es gab ja die verschiedensten Namen für diese Krisen in Lateinamerika: Tequila-Krise, Caipirinha-Krise und dann eben die Tango-Krise. Aber entscheidend ist: Die nächsten Jahrzehnte werden in Südamerika ebenso spannend sein, weil es darum gehen wird, welches Integrationsmodell sich durchsetzen wird.
Welches setzt sich durch?
Klima: Da gibt es zum einen viele, die für das Modell ALCA sind, eine All-American-Integration, also ganz Amerika inklusive der USA, Kanada und Mexiko, was einer riesigen Freihandelszone gleichkäme. Dazu gehört der so genannte Acuerdo del Pacifico, der Chile, Peru, Kolumbien und Mexiko umfasst. Als Gegenmodell gibt es jene, die auf Basis des Mercosur eine politisch-ökonomische Integration anstreben, nach dem Vorbild Europas auch wenn das heute etwas schwieriger zu erklären ist. Dazu gehören Brasilien, Argentinien Uruquay, Paraquay und wenngleich zurzeit suspendiert Venezuela. Über den reinen Freihandel hinaus geht es dabei auch um eine tiefere Kooperation, ähnlich wie sich die EFTA auf dem Weg zur Europäischen Union um eine Dimension weiterentwickelt hat.
(...)
Wie bringen Sie sich da ein?
Klima: Indem ich mich vehement für die regionale Integration einsetze. Aber ich habe auch schon dem früheren brasilianischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso versucht zu erklären, dass die europäische Integration mit einem Deutschland, das sich egoistisch verhalten hätte, nicht geglückt wäre ähnlich sei es in Südamerika, wo Brasilien mit 200 Millionen Einwohnern über 70 Prozent der Bevölkerung des Mercosur stellt. Auch mit seinem Nachfolger Lula da Silva habe ich das besprochen, und in Argentinien mit einer Handvoll Präsidenten. Ich bin für diese regionale Integration manchmal wie ein Wanderprediger unterwegs: in der Industrie, in der Gewerkschaft, in Universitäten zu Vorträgen. Das nimmt auch Argentinien in die Verantwortung, das neben Brasilien das zweite lateinamerikanische Mitglied der G-20 ist.
Aber taugt die EU in ihrer derzeitigen Verfasstheit als Integrationsmodell?
Klima: Natürlich herrscht auch in Südamerika durch die Fernsehbilder über Demonstrationen in Spanien, Griechenland usw. große Unsicherheit. Deshalb ist der Weg der Integration meines Erachtens eines der zentralen Themen, die Bundespräsident Heinz Fischer bei seinem Staatsbesuch im Dezember in Argentinien mit Präsidentin Cristina Kirchner besprechen wird, und danach auch in Chile. Mit seiner Erfahrung und dem politischen Sachverstand kann er hier viel einbringen. Für uns Europäer ist wichtig: Wir reden ja gerne von den historischen Wurzeln mit Südamerika nun gab es jedoch schon ein Jahr, in dem China der größte Einzelinvestor war. Wir müssen also aufpassen, dass uns andere nicht den Rang der privilegierten Partnerschaft ablaufen: Wie lange reden wir z. B. noch um den EU-Mercosur-Vertrag herum, der übrigens der erste Assoziierungsvertrag zwischen zwei Blöcken wäre? Der darf doch nicht wegen ein paar Kilo Rindfleisch scheitern!
Sie waren bis Ende März als Österreicher Präsident der Deutsch-Argentinischen Handelskammer, konnten hier auch viele Besuche deutscher Ministerpräsidenten begleiten. In welcher Funktion setzen Sie sich künftig für die skizzierte Integration ein?
Klima: Ich hatte ja eine Zeit lang ziemlich viele Funktionen gleichzeitig inne, dann hatte ich eine wirklich sehr kritische Gesundheitssituation im Jahr 2009 zu überstehen das bringt einen Menschen zum Nachdenken. Deshalb habe ich mich schrittweise vom operativen Geschäft zurückgezogen. Neben meinen beiden Kindern in Österreich habe ich ja drei Kinder in Argentinien im Alter von neun, sieben und vier Jahren.
Denen wollen Sie sich jetzt mehr widmen?
Klima: Ja. Und auch meinem Bauernhof, obwohl ich nach argentinischen Verhältnissen mit meinen knapp über 200 Hektar, auf denen Kühe und Schafe herumlaufen, ein Schrebergärtner bin. Aber ich werde das nicht ausschließlich machen, für meine Ideen und Initiativen setze ich mich weiter ein: Ich bleibe Vorsitzender der Mercosur-Allianz, der Dachorganisation der bilateralen deutschen Handelskammern. Gleichzeitig arbeiten wir in der Deutsch-Argentinischen Handelskammer daran, eine Art Euro-Handelskammer zu errichten.
Ich und die trend-Leser wollen jetzt natürlich endlich wissen, wie der Ex-Kanzler der Republik die innenpolitischen Vorgänge des letzten Jahrzehnts bewertet.
Klima: Genau dazu möchte ich, wie ich das seit vielen Jahren praktiziere, nichts sagen. Der trend ist doch ein Wirtschaftsmagazin
mit innenpolitisch interessierten Lesern.
Klima: Sehen Sie: Wir haben die besten sechs Monate österreichischer Exporte nach Argentinien hinter uns, mit zweistelligen Wachstumssteigerungen das halte ich für spannend. Ich bin leidenschaftlicher Österreicher und freue mich, dass der Bundespräsident die Strapaze auf sich nimmt, um mit einer großen Delegation nach Südamerika zu kommen, begleitet von Ministern und Wirtschaftsleuten.
Aber warum die Innenpolitik-Abstinenz?
Klima: Weil ich immer ein gewisses Maß an Loyalität mit meinen Nachfolgern habe. Sie werden das bei mir nach meiner Tätigkeit in der OMV, im Verkehrsministerium und im Finanzministerium gesehen haben. Ich habe meinem Nachfolger als Parteivorsitzenden keine Ezzes gegeben, und ich werde das auch bei meinem Nachfolger bei VW Argentinien so halten.
Es ist der Eindruck entstanden, dass die Bande zwischen Ihnen und der SPÖ nach Ihrem Abgang aus der Politik zerrissen sind.
Klima: Ich habe regelmäßig mit aktiven und nicht mehr aktiven Freunden in der SPÖ Kontakt und habe etwa vor Kurzem lange mit Franz Vranitzky telefoniert.
(...)
Aber warum schaffen Sie nicht Klarheit bei vom Boulevard aufgegriffenen Themen wie Ihrer Politikerpension von 11.700 Euro oder jüngst beim noch nicht zurückgegebenen Diplomatenpass? Damit geben Sie doch ein ideales Ziel ab.
Klima: Ich wurde informiert, dass der Diplomatenpass mit 26. Oktober nicht mehr gültig ist. Daraufhin habe ich einen normalen Pass beantragt, mit dem ich jetzt auch nach Österreich gereist bin. Es ist nirgendwo gestanden, dass ich den alten Pass öffentlich verbrennen muss. Eine Nebengeschichte in einem Medium beeinträchtigt mein Wohlbefinden nicht, da bin ich um die 12.000 Kilometer Distanz zwischen Wien und Buenos Aires manchmal froh. Zur Pension: Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, gleich zu sagen, dass ich bei Volkswagen am 30. September aufhöre aber ich hatte Stillschweigen zugesichert.
Die Vollversion des Interviews finden Sie im trend 12/12.
Weitere Details der Vorgeschichte wird Bernhard Ecker auf Twitter veröffentlichen.
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