Meinung – Desaster für den DFB

Wolfgang Niersbach kann wunderbar Geschichten erzählen, vor allem von der Weltmeisterschaft 1990, seiner WM. "Es gibt Bilder von mir, auf denen ich wie ein Känguru über den Rasen hüpfe. Ich glaube, ich bin vorher und nachher nie höher gesprungen", schilderte der heute 64-Jährige, damals Pressechef, die Momente nach dem 1:0-Finalsieg in Rom gegen Argentinien. Lothar Matthäus, Andy Brehme, Jürgen Klinsmann – das waren und sind seine Jungs. Zuverlässig organisierte Niersbach danach die Wiedersehensfeiern. Zum 25. Jahrestag traf man sich am Kalterer See. Nach einer gemeinsamen Rede von Niersbach und Franz Beckenbauer bekam Matthäus noch mal den WM-Pokal überreicht.

Der Wolfgang und der Franz – ein lange unschlagbares Team. Der Coup des Duos, die WM 2006 nach Deutschland zu holen, ebnete Niersbach den steilen Aufstieg vom Sportjournalisten zum Präsidenten, der 2014 erneut den WM-Triumph feiern durfte. Dass nun ausgerechnet der so geliebte Franz nichts zur Aufklärung des Skandals beitragen oder sogar die Verantwortung übernehmen wollte, dürfte Niersbach tief getroffen haben. Genauso die fehlende Rückendeckung von seinem bisherigen Intimus Günter Netzer.

Niersbachs Rücktritt konnte am Montag niemanden mehr überraschen, sein Schritt war längst überfällig. Sich öffentlich in die Opferrolle zu begeben und weiter alle Schuld von sich zu weisen, verwunderte aber doch, schließlich konnte Niersbach die dringendsten Fragen nicht beantworten. Vor allem wann er von der ominösen Zahlung in Höhe von 6,7 Millionen Euro erfahren hat, ist weiter ungeklärt. Wohin das Geld am Ende geflossen ist, ebenfalls. Mit der Ankündigung, die Umstände der WM-Vergabe 2006 bedürfen weiterer Ermittlungen, machte Interimschef Rainer Koch klar: Da kommt noch was, ganz sicher.

Wieso aber Niersbach trotz seines Abgangs als DFB-Präsident weiter seine Ämter in den Exekutivkomitees der Uefa und der Fifa ausüben soll (er ist bis 2019 gewählt), bleibt wohl sein Geheimnis und das des Präsidiums. Ein letzter Freundschaftsdienst unter Männern? Diese Ankündigung lässt ihn jedenfalls zu einem machthungrigen Funktionär verkommen, der verzweifelt gegen seinen Bedeutungsverlust ankämpft. Und er schadet damit dem Deutschen Fußball-Bund, für den der Abgang Niersbachs sowieso schon ein kapitales Desaster ist.

Bis zum Sommermärchenskandal schien der DFB wie ein weißer Ritter über den von Korruption, Untreue und Betrug verseuchten Fifa- und Uefa-Sumpf zu schweben. Nun braucht der Verband nicht nur einfach einen neuen Chef, der bei Proficlubs und Amateuren gleichermaßen gut vernetzt ist. Der DFB muss einen unabhängigen Präsidenten finden, der zur Not sogar mit der Lichtgestalt des deutschen Fußballs bricht, wenn dieser nicht zur Mitarbeit bei der Aufklärung des WM-Skandals bereit ist. Denn das Drama ist längst noch nicht ausgestanden.

Vor allem aber benötigt der DFB einen Gestalter. Wenn es in der Vergangenheit möglich war, die Wege einer solchen Millionensumme zu verschleiern, bedarf es dringend einer Überprüfung von Kontrollmechanismen – und Strukturen. Dass in den Gremien, die in Frankfurt über die Zukunft von Niersbach berieten, unter fast drei Dutzend Männern mit Hannelore Ratzeburg nur eine Frau saß, sagt viel aus über den Reformbedarf. Wann ein DFB-Präsident wieder unbeschwert über den Rasen hüpfen kann und nur noch der Sport interessiert? Das kann lange dauern. Sehr lange.

Seite 28: Bericht

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