Meine Presseschau – Wende in Argentinien

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Das Land hat gewählt, und einige Bürger sind entsetzt - auch über die Kommentatoren der konservativen Zeitung "La Nación". Lateinamerika-Korrespondent Boris Herrmann zeichnet den Konflikt nach.

Geboren 1978 in Karlsruhe. Studium in Berlin und Sevilla. Volontariat bei der Berliner Zeitung, ab 2008 stellvertretender Ressortleiter Sport bei der Berliner Zeitung. Von 2010 bis 2014 Mitarbeiter der Sportredaktion der Süddeutschen Zeitung. Seit 2015 Lateinamerika-Korrespondent mit Sitz in Rio de Janeiro.

Vor einer Woche haben sich die Argentinier für einen neuen Präsidenten entschieden. Nach zwölf Jahren Kirchnerismus wird der konservative Mauricio Macri das Land regieren. Er tritt mit dem Versprechen an, eine ideologisch gespaltene Gesellschaft zu einen. Da hat er sich etwas vorgenommen. In den Tagen nach der Wahl wurde so heftig um Ideologien gestritten wie schon lange nicht mehr. Auslöser war ein Leitartikel der Zeitung La Nación. Das alte Flaggschiff der Konservativen rief gleich am Morgen nach Macris Triumph das Ende der argentinischen Menschenrechtspolitik aus. Und zwar jubelnd.

Unter dem Titel "Schluss mit der Rache" hieß es, der Regierungswechsel sei ein guter Moment, um mit den Lügen über die Siebziger aufzuräumen.

Dass von 1976 bis 1982 in Argentinien eine mörderische Militärdiktatur herrschte, lässt sich schwer als Lüge abtun. Der nicht namentlich genannte Autor von La Nación versucht es trotzdem. Und zwar so: "Die tragischen Vorfälle der Siebziger wurden von einer Linken umgedeutet, die ideologisch mit terroristischen Gruppen verbandelt ist, die hier mit Waffen und Bomben gemordet haben auf eine Weise, die sich nicht von dem unterscheidet, was am Freitag, dem 13., in Paris passierte und die Welt erschütterte." Es geht aber noch weiter: "Diese schwatzhafte Linke, die in Wahrheit eine faschistische Grundeinstellung hat, bemächtigte sich von Anbeginn der Kirchner-Regierungen des offiziellen Propaganda-Apparats."

Was man dazu wissen muss: In den zwölf Jahren der Regierungen von Nestór und Cristina Kirchner hat Argentinien wie kein anderes Land Südamerikas seine Diktaturgeschichte juristisch aufgearbeitet und einstigen Folterknechten den Prozess gemacht. An die 500 kamen ins Gefängnis. Das gilt auch jenseits der Kirchner-Fans als historische Errungenschaft.

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Für die linksgerichte Zeitung Página 12 war das der Marschruf zur rechtskonservativen Restauration. "Sie haben nicht einmal einen Tag gewartet", lautete die Schlagzeile auf der Titelseite. Macri sah sich umgehend zur Klarstellung gezwungen. Die Prozesse und die Aufarbeitung der Diktaturgeschichte würden natürlich weitergeführt.

Die Zeitung Clarín, die größte in spanischer Sprache, hielt sich weitgehend aus dem Streit heraus, interessanterweise. Denn Clarín führt mit Cristina Kirchner einen öffentlichen Kleinkrieg, seit diese die Herausgeber beschuldigt hat, von der Militärherrschaft profitiert zu haben. Die Zeitung nutzte aber die Gelegenheit, die scheidende Regierung noch einmal als die schlechteste der "demokratischen Etappe" darzustellen. "Der Kirchnerismus war meisterhaft darin, die Gesellschaft zu spalten, zu zerreißen und aufzuwiegeln."

Die heftigste Gegenwehr zum Artikel von La Nación kam aus der eigenen Redaktion. Große Teile der Belegschaft veröffentlichten einen Gegen-Leitartikel mit der Kernaussage: "Die Angestellten der Zeitung La Nación sagen Ja zur Demokratie."

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