Politik
Lateinamerika schaut gespannt nach Buenos Aires - mit dem Sieg des Oppositionellen Mauricio Macri bei der Präsidentschaftswahl hat womöglich nicht nur eine Zeitenwende in Argentinien begonnen. Die Folgen könnten bis nach Deutschland reichen.
In Südamerika geht eine Ära linker Politik zu Ende. Mauricio Macri wird am 10. Dezember die Amtsgeschäfte von Präsidentin Cristina Kirchner übernehmen. Zwölf Jahre lang waren sie und ihr verstorbener Mann Nestór an der Macht. Nun hat sich der wirtschaftsliberale Kandidat des breit aufgestellten konservativen Parteienbündnisses Cambiemos ("Lasst uns verändern") in der ersten Stichwahl der argentinischen Geschichte durchgesetzt - und nicht wie erwartet der linke Kirchner-Kandidat, der Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Daniel Scioli. Noch steht Argentinien politisch links, nun aber vor einem Rechtsruck.
Mit 51,4 Prozent der abgegebenen Stimmen war es ein knappes Ergebnis für Macri, aber der Sieg ist trotzdem eine Sensation. Kaum jemand hatte dem Bürgermeister der Hauptstadt Buenos Aires vor dem ersten Wahlgang eine Chance eingeräumt, nicht einmal die liberalen NGOs im Land. Doch mit fortschreitendem Wahlkampf wurde der Ex-Klubchef des Fußballklubs Boca Juniors bei seinen öffentlichen Auftritten immer souveräner. Zudem profitierte er von dem folgenreichen Fauxpas seines Hauptkontrahenten Scioli, der einer Fernsehdebatte der Präsidentschaftskandidaten einfach fernblieb, weil er nicht damit rechnete, in die Stichwahl zu müssen. Als Scioli bemerkte, dass er sich getäuscht hatte, forderte er Macri zum TV-Duell - was wie ein Eingeständnis seines Fehlers klang.
Macri hatte die Oberhand und ließ gönnerhaft über die Presse verlauten: "Willkommen in der Debatte, überhaupt kein Problem." Der Auftritt im Fernsehen vor einer Woche war dann mehr eine Schlammschlacht als inhaltliche Diskussion, endete allerdings mit etwas, was das Land bewegte. Nach den Schlussplädoyers bat der Moderator die Frauen der beiden Kandidaten auf die Bühne. Während Scioli noch allein herumstand, kam Macris Partnerin Juliana Awada von rechts hinzu - und gab ihrem Mann einen leidenschaftlichen Kuss. Im Netz explodierten die Emotionen, und die älteste argentinische Zeitung, "La Nacion", positionierte das Foto ganz oben.
Der Kuss von rechts hat auch symbolischen Wert - denn Scioli wollte die zweistellige Inflationsrate mit moderaten wirtschaftlichen Anpassungsmaßnahmen in den Griff bekommen. Mit einer sehr langsamen Abwertung der Währung, die 40 bis 50 Prozent zu teuer gehandelt wird, um soziale Härten vermeiden. Und mit einer nur allmählichen Senkung von Import- wie Exportrestriktionen und -steuern, wenn überhaupt. Diese Ankündigungen waren der Mittelschicht offensichtlich zu wenig. Die meisten Wähler des im ersten Wahlgang ausgeschiedenen, konservativen Kandidaten Sergio Massa entschieden sich für Macri. Er wird der erste Präsident seit den 1950er Jahren sein, der sich nicht als Peronist bezeichnet, als national orientierter Progressiver.
"Anstieg der Armut unvermeidlich"
Folgen:
Wie lange die Unterstützung für Macri vorhält, muss sich zeigen. Fast die Hälfte der 42 Millionen Argentinier erhält Geld vom Staat, als Gehalt oder in Form anderer Unterstützung. Sollte Macri seine zwischenzeitliche Ankündigung wahr machen, im Handstreich sämtliche Import- und Exportbeschränkungen in die Geschichtsbücher des Kirchnerismo zu verbannen und staatliche Ausgaben und Leistungen für die unteren Bevölkerungsschichten zu beschneiden, stehen Argentinien wohl gesellschaftliche Umwälzungen und Konflikte bevor, wie es sie seit la crisis kurz nach der Jahrtausendwende nicht gegeben hat.
Führt Macri seine radikalen Reformen durch, sei "ein Anstieg der Armut unvermeidlich", sagte der marktliberale Wirtschaftswissenschaftler Agustín Etchebarne vor der Stichwahl über die Folgen dieses "geplanten Vertrauensschocks". Die Linke Lateinamerikas, darunter Boliviens Staatschef Evo Morales, formulierte indes in einem Manifest die eindringliche Warnung vor einer "konservativen Restauration" Argentiniens; Künstler wie der populäre Zeichner und Autor Miguel Repiso fürchten gar einen "Putsch von rechts", wie er n-tv.de sagte.
Die Abkehr von der protektionistischen Politik könnte aber nicht nur für die Bevölkerung und die nationale wirtschaftliche Entwicklung des Landes Folgen haben, sondern auch für die Verbindungen zu Europa und Deutschland. Bereits seit 1999 steht Argentinien als Teil des südamerikanischen Wirtschaftsbündnisses Mercosur mit der EU in Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen. Die Gespräche gerieten jedoch schnell ins Stocken: Im selben Jahr kam in Venezuela der Linke Hugo Chávez an die Macht, momentan regiert sein ebenso orientierter Nachfolger Nicolás Maduro. Brasilien wird seit 2003 von einer linken Regierung gelenkt. Und Argentinien kämpfte mit la crisis. Das Ergebnis war die national orientierte Politik der Kirchners.
Mit Macri als Präsident steht Argentinien nun auch vor der Entscheidung, so wie die brasilianische Staatschefin Dilma Rousseff, die Bundeskanzlerin Angela Merkel bis zum Jahresende einen Entwurf für ein bilaterales Abkommen angekündigt hat, die Verhandlungen mit Europa wieder aufzunehmen. Macris erste Sorge dürfte aber sein, dass ihn der geplante Rechtsruck nicht aus der Bahn wirft.
Quelle: n-tv.de