«Wir sind erschüttert über die Nachrichten aus Zürich», sagte Nelson Castro, einer der wichtigsten TV-Moderatoren Argentiniens. «Aber überrascht sein, nein, das können wir nicht.»
Wie auch? Seit Jahrzehnten sind es die Lateinamerikaner gewohnt, dass Spitzenvertreter ihres Fussballs verdächtigt werden, Teil eines Schmiergeldschemas zu sein, das Clubs und Sponsoren ebenso umfasst wie Verbandsfunktionäre und Politiker. Und ebenso sind sie es gewöhnt, dass nichts passiert.
«Todo pasa» waren die zwei Worte, die auf den klobigen Goldring geprägt waren, den Julio Grondona an seinem linken Ringfinger trug. Grondona war 35 Jahre lang der Präsident des argentinischen Fussballverbandes AFA. Sein Name steht auf der Liste der US-Justizministerin Loretta Lynch, obwohl der Funktionär am 31. Juli vorigen Jahres starb. Grondona soll 15 Millionen Dollar erhalten haben, um drei TV-Unternehmern die Übertragungsrechte der vier kommenden Amerika-Meisterschaften zuzuschanzen.
Fussball, Politik, Gewalt
Grondona war, wie seine brasilianischen Amigos João Havelange und Ricardo Teixera, Symbolfigur für die Durchmischung von Fussball, Schattenwirtschaft, Politik und Gewalt in Südamerika, jenem fussballverrückten Kontinent, auf dem Politikkarrieren nicht selten in den Büros grosser Hauptstadtclubs beginnen. So war Mauricio Macri, der Ende Oktober Argentiniens Präsident werden möchte, zwölf Jahre lang Präsident von Boca Juniors, dem populärsten Verein des Subkontinents. Macri wird nun während des Wahlkampfes erklären müssen, warum er zu jenen Vereinspräsidenten gehörte, die Julio Grondona neunmal wiederwählten.
Nachdem Grondona zum FIFA-Finanzdirektor aufgestiegen war, wurde er zur rechten Hand des Weltfussballbosses Joseph Blatter. In Argentinien nannten sie den Mann mit der sparsamen Mimik und der leisen Stimme schlicht «Don Julio» oder «El padrino», der Pate. Die beiden Worte auf Grondonas Ring haben zwei mögliche deutsche Übersetzungen: «Alles geschieht» oder «Alles geht vorbei».
Ob das auch vor der US-Justiz zutrifft, werden Grondonas hinterbliebene Amigos in den kommenden Wochen herausfinden. Unter den im Baur au Lac Verhafteten befinden sich Saurier mit ähnlichen Lebensläufen wie jenem des argentinischen Fussballpaten. In Auslieferungshaft sitzt etwa Rafael Esquivel, dem das Kunststück gelang, dass ihn die bolivarische Revolution nicht vom Chefsessel des venezolanischen Fussballverbandes FVF spülte.
Seit 1987 steuert Esquivel die Geschicke des venezolanischen Fussballs. Seine Glanzzeit hatte er im Vorfeld der Copa América, die 2007 erstmals in Venezuela ausgetragen wurde. Dass der Karibikstaat, der lieber Baseball als Fussball schaut, zur kontinentalen Bühne – mit entsprechenden TV-Verträgen – wurde, hatte Esquivel seiner Treue zu Nicolas Léoz zu verdanken, der Jahrzehnte die Fäden in Paraguays Fussball und im Südamerika-Dachverband Conmebol zog.
Fussballfunktionäre mit diplomatischer Immunität
Der einstige Sportjournalist leitete seit 1986 den Südamerika-Verband, dem er in Paraguays Hauptstadt Asunción ein prachtvolles Gebäude hinstellte. Dessen Angestellte geniessen in dem armen Binnenland den Status diplomatischer Immunität, was zeigt, welchen Einfluss die Fussballfunktionäre in den fragilen Rechtsstaaten Südamerikas ausüben können.
Léoz, der jahrzehntelang in engster Verbindung zum Argentinier Grondona und den Brasilianern Havelange und Teixera gestanden hatte, musste 2013 seinen Posten als stellvertretender Fifa-Präsident räumen. Britische TV-Recherchen hatten dokumentiert, dass er, Havelange und Teixera Schmiergelder angenommen hatten, als die TV-Rechte für die Weltmeisterschaften 2002 und 2006 vergeben wurden.
Bei seinem Rücktritt 2013 räumte Léoz sein Verbrechen sogar ein, in der Hoffnung, weiteren Ermittlungen zu entgehen. Er hatte genügend Strippen in der Hand, um auf seinem Millionenberg entspannt in den Lebensabend zu blicken.
Der Bannstrahl aus den USA
Trotz aller Weitsicht und Beziehungspflege: Léoz, Esquivel sowie die ebenfalls im Baur au Lac festgenommenen Granden José Maria Marin aus Brasilien und Eugenio Figueredo aus Uruguay hatten nicht damit gerechnet, dass sie der Bannstrahl des Gesetzes ausgerechnet aus den USA, dem Niemandsland des Fussballs, treffen könnte. Alle stehen auf der 15-Namen-Liste von Loretta Lynch. Unter den Fotos, die nun rund um den Planeten verbreitet werden, steht unter Léoz’ Name das Wort «gesucht». Der alte Fuchs ist flüchtig, genauso wie die drei argentinischen TV-Unternehmer Alejandro Burzaco sowie Hugo und Mariano Jinkis. Deren Firmen «Torneos y Competencias» und «Full Play Group» sollen 15 Millionen Dollar an den «padrino» Julio Grondona gezahlt haben.
Während Vater und Sohn Jinkis in Argentinien vermutet werden, soll sich Burzaco momentan in Italien aufhalten, was unter Umständen ein Problem darstellen könnte, denn dort können ihn seine Geschäftspartner in der argentinischen Regierung nicht so gut schützen.
Burzacos Firma produziert die Übertragungen sämtlicher Spiele von Argentiniens erster Liga, deren Rechte seit 2009 in Staatsbesitz sind. Die Regierung unter Präsidentin Cristina Kirchner lässt das live und frei übertragene Ballgetrete aus Steuergeldern finanzieren und nutzt die Halbzeitpausen, um ihr eigenes Wirken zu bewerben oder politische Gegner zu denunzieren. Dass dabei die Kosten explodierten, beschäftigt längst die Justiz, ebenso wie die intransparenten Zahlungsabläufe zwischen Verband und Regierung.
Keine Angst vor der Justiz
Deren Kabinettschef Aníbal Fernández, nebenbei Clubpräsident des Erstligisten Quilmes, verkündete nur Stunden nach Bekanntgabe der Lynch-Liste, dass Argentiniens Steuerbehörden ebenfalls gegen die drei Unternehmer ermittelten, die jahrelang geschätzte Geschäftspartner des Staates waren.
Es dauerte nicht lange, bis die Medien bekannt gaben, dass Argentiniens Rechtssystem Bürger nicht ausliefert, wenn gegen sie im Inland Verfahren laufen. Vor Argentiniens Gerichten hatten Fussball-Granden bislang wenig zu befürchten. Julio Grondona überstand zig Verfahren unbeschadet. (Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 30.05.2015, 09:21 Uhr)