Lateinamerikanisches Kino bei Filmfestspielen stark vertreten

Venedig sz 25 bis 30 Jahre ist es jetzt her, dass in Lateinamerika die Diktaturen allmählich ihren Geist aufgaben. Chiles brutaler Diktator Pinochet wurde abgewählt, Argentinien tat sich schwerer: Erst der Falkland-Krieg beendete die Militärdiktatur, die 30000 Menschen auf dem Gewissen hatte. Von deren Folgen handelt jetzt im Wettbewerb von Venedig der Spielfilm „El Clan“ vom Argentinier Pablo Trapero.

Er beginnt mit Archivaufnahmen, in denen die Militärs ihren Rückzug erklären, und mit einer Rede des ersten demokratisch gewählten Präsidenten Raul Alfonsin. Dann erzählt „El Clan“ eine auf Tatsachen beruhende, unglaubliche Geschichte: Mindestens drei Jahre lang entführte eine ganze Familie – Mann, Frau, drei erwachsene Kinder – reiche Argentinier, erpresste ihre Familien und ermordete die Geiseln.

Dies ist aber kein Kriminalfilm, sondern das Porträt eines Milieus, das durch die Gewalt und die faschistischen Werte der Diktatur geprägt wurde, und deren Methoden ins Private überträgt, um schnelles Geld zu machen. Ein abgründiger, in seiner cleveren Inszenierung auch unterhaltender, starker Film, in dessen Zentrum der überaus böse Vater-Tyrann steht. Zugleich ist dies ein Gesellschaftsporträt und bizarres Sittenbild Lateinamerikas.

Bei den Filmfestspielen ist das lateinamerikanische Kino nach vielen Jahren, in denen immer nur zwei, drei Latino-Filme in den Nebenreihen liefen, diesmal auffallend stark vertreten. Drei Filme aus Argentinien, je zwei aus Brasilien und Mexiko, dazu ein Werk aus Chile und – selten zu sehen – aus Venezuela, sind ein starker Auftritt dieses gelegentlich gegenüber Boom- und Krisenregionen übersehenen Kontinents.

Lateinamerika hat seit langer Zeit ein besonders reichhaltiges Kino, das bunte und vielfältige Lebenswelten einer Kultur zeigt, die wir zu wenig kennen. Zugleich fragen viele dieser Filme auch danach, was die Gemeinsamkeiten dieser Länder zwischen Rio Grande, Äquator und Patagonien sind – jenseits der spanischen Sprache, die überall außer in Brasilien gesprochen wird.

Eine solche Gemeinsamkeit kristallisiert sich schnell heraus: Die Latino-Filme sind oft sozial engagierter als anderswo. Und der Ton ist ein anderer: leichter, anarchistischer. Eine solche Farce ist etwa „Un monstruo de mil cabezas“ vom Uruguayer Rodrigo Pia, der aber in Mexiko spielt. Alles beginnt mit einer Frau, deren Mann schwer an Krebs erkrankt ist. Das titelgebende tausendköpfige Monster ist aber dann nicht etwa der metastasierende Tumor, sondern die Krankenkasse, die teure Behandlungsmethoden nicht zahlen will. Da ergreift die Gattin die Initiative und entführt den Vorstandschef der Krankenkasse, um ihn zur Genehmigung der Medikamente zu zwingen: Eine Verzweiflungstat, die aber nie verzweifelt oder depressiv inszeniert ist, sondern wütend, als surreale Farce mit einer gehörigen Portion Witz und Anarchie.

Stilisierte, theatralische Bilder

Das Kino Lateinamerikas zeigt sich in Venedig engagiert und gut gelaunt. „Zonda, Folklore Argentina“ heißt der neue Film des spanischen Altmeisters Carlos Saura. Einst kämpfte er gegen die Franco-Diktatur, im hohen Alter beschftigt er sich mit den schönen Dingen des Lebens, besonders der Musik: Hier geht es um Argentinien jenseits von Tango-Rhythmen. In stilisierten, theatralischen Bildern in der Tradition seiner Filme „Carmen“, „Bluthochzeit“ und „Fados“ entfaltet Saura die Vielfalt der argentinischen Gesellschaft – vielleicht ein Zukunftsmodell? Wer kennt schon Chalambo, Baguala, Chacarera, Chamamé, Vidala und Gato, um nur einige der hier vorgestellten Rhythmen zu nennen. Und es gibt eine Hommage an die unvergessene Mercedes Sosa: „Cambio, todo cambio“ – ihr Lied vom Wandel als Lebenskonstante haben bisher alle Generationen Lateinamerikas am eigenen Leib erfahren.

Das verbindet, im Guten wie im Schlechten.

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