Manche Freundschaft währt ein halbes Leben und länger. Wie die zwischen der argentinischen Pianistin Martha Argerich und dem israelischen Geiger Ivry Gitlis. Einst, so heißt es, traten sie auf den Straßen von Paris gemeinsam auf, in Zeiten der Studentenrevolte – wild, unkonventionell, dem Existenzialismus zugetan. Und bis heute musizieren sie zusammen, die Grand Dame des Klavierspiels, der Grandseigneur der Geigerzunft. Treten auf in ausgesuchten Konzerten. Gestalten Abende, die dem Publikum unvergesslich bleiben. Weil sich großes Können mit einem Hauch von Komik, aber auch mit einiger Tragik verbindet. Weil Gitlis 90 Jahre alt ist, eine lebende Legende, der von der Musik nicht lassen kann.
Zerbrechliche Intonation
Das hat er nun in der Essener Philharmonie bewiesen, als Gast des Klavier-Festivals Ruhr. Der betagte Herr nimmt Platz zum Spielen, scherzt ein wenig beim Einstimmen seines kostbaren Instruments, dem Publikum mit lebenslustigem Gesicht zugewandt. Dann zaubert Martha Argerich in betörender Sensibilität die ersten Töne von César Francks Sonate für Klavier und Violine hervor. Bereitet so den Boden, auf dem sich Gitlis ähnlich sinnlich bewegt. Im Publikum ist es mucksmäuschenstill.
Zum 200. Geburtstag von Wagner und Verdi hat das Klavierfestival Ruhr also einen Abend mit Opern-Paraphrasen aufs Programm gesetzt. Ya-Fei Chuang und Prof. Robert Levin leisten bei dieser Expedition in die Geschichte der Klavierbearbeitung von Wagner-Opern absolute Schwerarbeit.
Viele mögen über den Mut des Mannes staunen, dessen Ton nur gelegentlich in aller Leidenschaft aufblitzt.Dessen Intonation höchst zerbrechlich wirkt. Der Francks Sonate oft leise interpretiert, in verhangenem Klanggestus. Anderen ist ehrfürchtiges Staunen ins Gesicht geschrieben. Wenige schütteln den Kopf. Ja, Gitlis ist angreifbar. Er weiß dies gewiss, doch die Antwort liegt in seinem Spiel.
Wuchtige Härte, Leidenschaft
Francks Sonate kehrt die Befindlichkeit des Geigers nach außen. Sie erzählt von Musik als Lebenselixier, von den verflixten Fingern, die nicht mehr so wollen. Und wenn Gitlis Kreislers bittersüßes „Liebesleid“ spielt, offenbart sich die ganze Tragik. Zugleich jedoch erzählt der Abend von der tiefen Freundschaft, mit der Martha Argerich den Älteren behutsam über virtuose Klippen hinweg geleitet.
Die Pianistin ist noch immer aufmerksame Gestalterin, Zauberin in Sachen Klagfarbe und nicht zuletzt wilde Virtuosin. Davon zeugt Prokofjews „Romeo und Julia“-Suite, die sie mit dem Armenier Sergei Babayan an zwei Klavieren interpretiert. In wuchtiger Härte, dissonanter Schärfe, Leidenschaft und Todesseligkeit. Babayan hat diese Fassung selbst erarbeitet – er gibt sich als Berserker, Argerich hingegen ist Ruhepunkt. So rundet sich alles zu einem außerordentlichen Konzert.