Kirchnerismus in Argentinien: Aus der Verlegenheitslösung ist eine Epoche …

Buenos Aires - Es waren günstige Umstände, unter denen Néstor Kirchner vor zehn Jahren die Regierung übernahm – bloß wusste das damals noch niemand. Argentinien war kurz vorher in die tiefste Krise seit Menschengedenken gestürzt, die Bürger wandten sich enttäuscht bis hasserfüllt von der Politik ab, und der Provinzpolitiker aus Patagonien, der mit mickrigen 22 Prozent die Wahl gewonnen hatte, galt damals nur als blasse Figur des Übergangs.

Aber die Wirtschaft erholte sich schnell wieder. Für die Tonne Soja bekommen die Farmer heute dreimal so viel wie 2003, der Staat kassiert mit, und die Regierung verteilt um, wofür sich die Wähler stets erkenntlich gezeigt haben. Kirchner biss seine Widersacher entschlossen weg und war bald die unumstrittene politische Kraft. 2007 installierte er in einem unverfroren dynastischen Verfahren seine Frau Cristina, die als Senatorin damals ebenfalls bereits eine nationale Größe war, als Nachfolgerin. Und wenn ihn 2010 nicht ein Herz­infarkt dahingerafft hätte – wer weiß, ob er dann nicht wieder sie im Amt beerbt hätte.

Cristina Kirchner gestaltet politisch

Wie auch immer man die zehn Jahre Kirchnerismus beurteilt – was damals wie eine Verlegenheitslösung aussah, hat sich zu einer Epoche verfestigt. Das liegt vor allem an der Renaissance des Politischen unter den Kirchners, eine entscheidende Kehrtwende nach den neoliberalen Jahren unter Kirchners Vorgänger Carlos Menem, der einfach die Marktkräfte walten ließ. Der wütende Ruf der Menge, die Politiker sollten „alle abhauen“, war die Parole des Jahres 2002. Sie verstummte schnell, weil Kirchner Politik wieder gestaltete und nicht als eitle, inhaltlich leere Selbstdarstellung missbrauchte wie Menem.

Cristina Kirchner führte 2009 ein Sozialhilfesystem ein, und sie verstaatlichte die privatisierte nationale Luftlinie wieder, ebenso wie den Ölkonzern YPF und die Rentenversicherung. Néstor hatte vorher den Gläubigern die Zähne gezeigt, die den Verlockungen irrwitziger Renditeversprechen erlegen waren und ihr im Crash verzocktes Geld zurückwollten. Argentinien gelang es, 93 Prozent der Auslandsverpflichtungen mit einem Abschlag von 75 Prozent umzuschulden. Dass die Kirchner-Regierungen halb aus sozialen Gründen, halb im Hinblick auf die nächste Wahl die Kosten für Energie und Transport niedrig hielten, machte sie zwar beliebt, aber die Firmen hielten sich mit Investitionen zurück, Modernisierungen blieben aus.

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