Khedira: "Erfolge geben große innere Ruhe" – DFB – Deutscher Fußball

Hinter Sami Khedira liegt ein Jahr voller Höhen und Tiefen: Die Reha nach dem Kreuzbandriss, das Comeback, der Champions-League-Sieg mit Real Madrid, die WM in Brasilien und die Verletzung kurz vor dem Finale gegen Argentinien. Im DFB.de-Gespräch mit Redakteur Steffen Lüdeke lässt der 27 Jahre alte Nationalspieler die großen und schweren Momente noch einmal Revue passieren und spricht über sein großes persönliches Projekt für das kommende Jahr.

DFB.de: Herr Khedira, Weihnachten steht an, der Jahreswechsel naht. Geht es für Sie wieder gemeinsam mit der Familie in die Berge?

Sami Khedira: Ja, das ist bei uns schon Tradition, es gehört fest zu unseren Ritualen. Berge und Schnee passen zu Weihnachten. Ich freue mich immer sehr auf diese Zeit, sie gibt uns als Familie die Möglichkeit, mal ein wenig länger zusammenzusein. Die Ruhe und Gemütlichkeit genieße ich sehr. Ich ziehe aus der Zeit mit meiner Familie immer viel Kraft. Das alte Jahr war anstrengend, das neue wird intensiv - da ist es gut, um die Jahreswende herum noch einmal richtig auftanken zu können.

DFB.de: Aufgrund der vielen Verletzungen haben Sie im Jahr 2014 nicht unerheblich weniger Spiele als gewöhnlich bestritten. Lässt sich daraus schlussfolgern, dass Sie weniger belastet waren und die Pause weniger nötig als sonst ist? Oder raubt die Arbeit in der Reha mehr Kraft als der gewöhnliche Spielrhythmus?

Khedira: Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass mein Jahr 2014 körperlich nicht ganz so anstrengend gewesen ist. Allerdings ist der Aufwand enorm, der für ein möglichst schnelles Comeback erforderlich ist. Auch mental. Ich habe es zum Glück rechtzeitig zur WM geschafft, aber das hat Kraft gekostet. Auch nach der WM musste ich immer wieder mit kleineren Verletzungen kämpfen. Und das nervt total. Ich bin Leistungssportler, ich will mich messen, ich will meinen Mannschaften helfen. Das konnte ich auch in der zweiten Hälfte des Jahres nicht in dem Maße, wie ich mir das vorstelle. Es ist hart, immer alleine trainieren zu müssen, es ist hart, die Geduld nicht zu verlieren. Es stimmt: Ich habe weniger Spiele als sonst in den Knochen. Ich kann aber nicht behaupten, dass ich dadurch auch weniger Erholung nötig hätte.

DFB.de: Innenbandriss, Kreuzbandriss, Wadenverhärtung, Muskelbündelriss, Gehirnerschütterung. Sie haben 2014 wenig ausgelassen. Ihr Wunsch für 2015 dürfte klar sein: keine Verletzungen mehr?

Khedira: Ja. Ich bin Fußballer, ich will Fußball spielen. In diesem Jahr ist es mir gelungen, rechtzeitig zu den Highlights wieder fit zu sein. Aber mein Anspruch ist es, meinen Mannschaften nicht nur bei den Highlights, sondern auch auf dem Weg dorthin zu helfen. Und das geht nur, wenn ich gesund bin und keine Verletzungen habe.

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DFB.de: Angesichts dieser Verletzungen ist kaum zu glauben, was alles auf der Habenseite steht: Sie hatten den Champions-League-Pokal und die WM-Trophäe in den Händen. Sind Sie dadurch vollends mit dem Schicksal versöhnt?

Khedira: Schicksal ist ein großes Wort. Ich bin einfach unglaublich glücklich und stolz, die beiden größten Titel gewonnen zu haben, die es im Fußball gibt. Mit meinen Verletzungen hatte ich viel Pech, das stimmt. Ich hatte in der Reha aber auch viel Glück. Es gab keine oder kaum Komplikationen und Rückschläge, alles ist fast optimal verlaufen. Durch die beiden Titel ist 2014 für mich ein überragendes Jahr, auf das ich ohne jede Verbitterung schaue. Diese Erfolge sind eine große Bestätigung, die mir eine große innere Ruhe geben. Und zugleich einen großen Antrieb. Ich will diese Erfolge bestätigen, von Titeln bekomme ich nie genug.

DFB.de: Welche Trophäe fühlt sich besser, größer, schöner an: der WM-Pokal oder der Henkelpott?

Khedira: Das kann man unmöglich miteinander vergleichen. Für mich waren es einfach unbeschreibliche Momente, als ich diese Pokale zum ersten Mal berühren durfte. Der Champions-League-Sieg mit Real war ja ein ganz spezieller, "La Decima", zwölf Jahre lang hatten die Menschen in Madrid auf diesen zehnten Titel in der Königklasse gewartet - ich selber vier Jahre lang. Und dann ist es endlich gelungen, wir sind endlich angekommen. Wahnsinn. Danach die Weltmeisterschaft. Wir haben ein ganzes Land vertreten, unser Land, wir haben eine ganze Nation stolz gemacht. Etwas Größeres kann es kaum geben. Beide Titel waren sehr speziell, sehr emotional, sehr wichtig. Ich durfte sie binnen zwei Monaten gewinnen - das ist perfekt, besser geht es nicht.

DFB.de: Wenn Sie für sich ein "Spiel des Jahres 2014" küren müssten, welches wäre dies?

Khedira: Das WM-Finale.

DFB.de: Obwohl Sie aufgrund der Wadenverletzung kurz vor Spielbeginn ausgefallen sind?

Khedira: Das spielt keine Rolle. Das WM-Finale ist der absolute Höhepunkt. Für alle, die daran beteiligt waren, und auch wenn sie nicht auf dem Platz standen. Ich bin kurzfristig ausgefallen, natürlich war das bitter. Aber das ist nur meine individuelle Geschichte. Für die Mannschaft, für jeden einzelnen Spieler - und auch für mich - war das Spiel gegen Argentinien ein sensationelles Erlebnis. Der Zusammenhalt des Teams, die Unterstützung, die von der Bank auf das Feld geflossen ist, die Kraft, die daraus entstanden ist - das sind wesentliche Bausteine des Erfolgs. Wir alle wissen sehr gut, dass dieser Erfolg ein Erfolg aller Spieler und der gesamten Gruppe ist. Nicht nur der Spieler, die auf dem Platz standen. Jeder hat einen großen Anteil, und das ist keine Floskel. Die Minuten in der Verlängerung, Marios Tor, die Erlösung durch den Abpfiff, die Szenen auf dem Spielfeld und später in der Kabine und im Hotel - diese Bilder werde ich nie vergessen. Es sind die emotionalsten Augenblicke, die ich in meinem Leben bisher erleben durfte.

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DFB.de: War dieses Beteiligtsein, die Betroffenheit, ohne selber auf dem Spielfeld zu stehen, für Sie eine prägende Erfahrung?

Khedira: Das ist einfach eine Grundeinstellung. Als Mannschaftssportler darf man sich nicht wichtiger nehmen als die Gruppe. Jeder kann sich vorstellen, dass die Situation für mich nicht einfach war. Die Chance, ein WM-Finale zu spielen, hat man möglicherweise nur einmal im Leben. Besonders bitter war auch die Geschichte dahinter. Die große Verletzung, den Kreuzbandriss, hatte ich überwunden. Und dann hindert mich eine eher kleine Verletzung am großen Spiel. Aber ich wusste, dass ich der Mannschaft auch von außerhalb helfen kann. Ich habe auf der Bank extrem mitgelebt und versucht, meine Energie auf das Team zu übertragen.

DFB.de: Ihr Ausfall war sehr kurzfristig, Christoph Kramer kam für Sie ins Team. Hatten Sie noch die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen? Haben Sie ihm irgendetwas mit auf den Weg gegeben?

Khedira: Ich gebe zu, dass ich für einige Augenblicke extrem mit mir kämpfen musste. Aber dann bin ich zu jedem einzelnen Spieler gegangen und habe ihm Glück gewünscht. Mit Christoph habe ich kurz gesprochen, ja, aber im Endeffekt habe ich ihm nur gesagt, dass er versuchen soll, das Spiel zu genießen. Mehr konnte ich ihm nicht mit auf den Weg geben, das war alles, was mir eingefallen ist.

DFB.de: Als sich Kramer dann während des Spiels verletzte - bestand für Sie die Option, es doch zu versuchen?

Khedira: Ganz oder gar nicht. Entweder ich bin fit oder eben nicht. Auf diesem Niveau kann man dem Team nicht helfen, wenn man nicht bei 100 Prozent ist. Auch nicht für die letzten fünf Minuten oder so. Das wäre nicht fair. Nicht dem Spieler gegenüber, der für mich spielen könnte, nicht der Mannschaft gegenüber. Und damit auch nicht mir selbst gegenüber.

DFB.de: Aus Sicht der Nationalmannschaft endete 2014 mit einem für Sie besonderen Spiel: in Vigo gegen Spanien. Wie wichtig war es für das Team, das Weltmeisterjahr mit einem Sieg zu beenden? Und für Sie auch im Hinblick auf die Rückkehr zu Ihren Kollegen von Real Madrid?

Khedira: Meine Kollegen von Real haben danach versucht, das Spiel ein wenig abzuwerten und gesagt, dass es nur ein Freundschaftsspiel war. Vor dem Spiel hatten sie allerdings noch anders geredet. (lacht) Ich will die Partie jetzt auch nicht überbetonen, aber ich glaube, dass der Sieg wichtig war. Für uns wurde 2014 noch runder, wir konnten mit einem positiven Erlebnis aus dem Jahr gehen. Wir hatten es nach der WM nicht leicht. In der EM-Qualifikation hatten wir Startschwierigkeiten, haben nicht immer gezeigt, was wir können. Das Spiel gegen Spanien hat uns die Gewissheit gegeben, dass wir auch in neuer personeller Zusammensetzung und mit einigen Verletzten in der Lage sind, gegen einen Topgegner Topleistungen zu bringen.

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DFB.de: Ihr Spiel des Jahres 2014 war das WM-Finale. Schon heute steht fest, welches Spiel das "Spiel des Jahres 2015" wird…

Khedira: Stimmt. (lacht) Das "Spiel des Jahres" steigt am 14. Juni 2015 im Stuttgarter Gazi­stadion auf der Waldau. Aber das müssten wir vielleicht kurz erläutern…

DFB.de: Bitte schön: Was ist der Hintergrund dieses "Spiels des Jahres"?

Khedira: Es ist ein Benefizspiel, das von meiner Stiftung organisiert und durchgeführt wird. Wobei das Spiel der Höhepunkt einer längeren Initiative ist. Ursprung des Ganzen ist eine Aktion meines Heimatklubs TV Oeffingen. Dort wurde während der WM ein Stadion nach mir benannt. Mich hat das berührt und inspiriert. Ich habe dadurch das Bedürfnis gespürt, den Kindern aus meiner Heimatregion zu helfen. Ich habe als Kind und Jugendlicher extrem viel bekommen, aber ich weiß, wie schwer das ist. In unserer Familie hatten wir kaum finanzielle Mittel. Aber ich hatte das große Glück, dass meine Eltern mich immer in dem unterstützt haben, was ich wollte. Und das war Fußball spielen. Sie haben mich zu jedem Training und zu jedem Spiel gefahren, auch finanziell war das für meine Eltern ein Kraftakt. Dadurch konnte ich mich entwickeln, nur dadurch hatte ich die Möglichkeit, ein guter Fußballer zu werden.

DFB.de: Und Sie wollen nun Kindern helfen, damit diese einen ähnlichen Weg gehen können?

Khedira: Es geht nicht darum, dass alle Profis oder Nationalspieler werden. Es geht darum, dass alle Fußball spielen oder sich in dem, was sie sonst gerne machen, entfalten können. Ich weiß, dass in ganz Deutschland, aber eben auch in der Region Stuttgart, viele Kinder leben, viele junge Menschen, die aufgrund verschiedenster Umstände diese Möglichkeit nicht haben. Weil die Eltern sie nicht unterstützen können oder wollen. Es gibt auch Kinder, die gar keine Eltern mehr haben. Es gibt viele Situationen und Schicksale, die Kinder hilfsbedürftig werden lassen. Und für mich ist es eine gewaltige Freude, dass ich die Möglichkeit habe, mich für diese Kinder einzusetzen. Es ist für mich keine Verpflichtung, ich erfülle mir damit einen Herzenswunsch. Ich bekomme viel mehr zurück, als ich gebe.

DFB.de: Das "Spiel des Jahres" stellt den Höhepunkt einer Reihe von Aktionen dar. Die Partie hat einen Vorlauf von sechs Monaten.

Khedira: Genau. Mir war es zu wenig, lediglich ein weiteres Benefizspiel durchzuführen. Also haben wir überlegt, wie wir die Aktion mehr und längerfristig in der Region verankern können. Im Grunde besteht die Aktion aus mehreren Bereichen. Sieben- bis zwölfjährige Kinder aus Stuttgarter Kinderheimen bekommen die Möglichkeit, an einem wöchentlichen Fußballtraining teilzunehmen. Wer sich dabei sportlich und sozial hervortut, ist beim "Spiel des Jahres" dabei - als Einlaufkind oder Balljunge. In einem B-Juniorenturnier spielen Vereinsmannschaften aus der Region gegeneinander. Scouts beobachten das Geschehen und wählen Spieler und Trainer aus, die dann an der Seite vieler Stars das "Spiel des Jahres" bestreiten. Die Erlöse kommen ausgewählten sozialen Einrichtungen in Stuttgart zugute. Deswegen hoffe ich, dass möglichst viele Menschen zum Spiel kommen oder unsere Aktion auf andere Weise unterstützen. Wir haben beispielsweise ein Spendenkonto eingerichtet, Informationen dazu gibt es auf der Homepage meiner Stiftung. Helfen kann man also nicht nur durch den Kauf einer Eintrittskarte - wir freuen uns über jeden Euro, der eingeht.

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DFB.de: Die Liste der Zusagen für Ihr "Spiel des Jahres" ist bereits jetzt prominent. Viele Kollegen aus der Nationalmannschaft sind dabei: Jerome Boateng, Benedikt Höwedes, Julian Draxler, Mario Gomez. Daneben aber auch Stars, die Sie aus Madrid kennen, Michael Essien und Luka Modric beispielweise. Dabei sein werden auch Andrea Pirlo und Didier Drogba, mit denen Sie nie in einer Mannschaft gespielt haben. Wie läuft so etwas ab: Sie greifen zum Hörer und rufen Drogba an?

Khedira: Einfach gesagt: ja. (lacht) Es ist so, dass ich im Laufe meiner Karriere viele große Fußballer kennengelernt habe, die zugleich auch großartige Menschen sind. Drogba kannte ich nicht persönlich, aber er ist mit Spielern befreundet, mit denen ich befreundet bin. Michael Essien zum Beispiel. Als ich Drogba dann angerufen habe, hat er sofort zugesagt. Ehrlich gesagt, hat auch mich gewundert, wie einfach das ging. Ich habe ihn dann gefragt, warum? Seine Antwort hat mich sehr berührt: Drogba hat gesagt, er habe gehört, dass es sich lohnt, einem Menschen wie mir diesen Gefallen zu tun. Da musste ich schon schlucken.

DFB.de: Die Mannschaften werden von Thomas Tuchel und Christian Gross trainiert. Joachim Löw und Oliver Bierhoff wollen als Spieler dabei sein. Für Sie eine Möglichkeit, den Trainer mal zappeln zu lassen? Als Initiator werden Sie doch Einfluss auf Gross und Tuchel haben…

Khedira: Es geht auch nach Leistungskriterien, ganz klar. Auch für den Bundestrainer und den Teammanager gibt es da keine Ausnahmen. Ich kenne Christian Gross und Thomas Tuchel ganz gut, wenn Joachim Löw und Oliver Bierhoff auf dem Platz nicht umsetzten, was die Trainer vorgeben, dann sind sie ganz schnell wieder runter vom Platz. (lacht) Aber Spaß beiseite. Ich bin sehr stolz, dass der Bundestrainer und der Manager der Nationalmannschaft bei so einem Spiel dabei sind. Ich bin beiden sehr dankbar, dass sie mir und den Kindern und Jugendlichen auf diese Weise helfen.

DFB.de: Ihr Vater wird einige Trainings leiten, ihr Bruder Rani vom Zweitligisten RB Leipzig wird zum Spiel kommen, ihr Bruder Denny verantwortet die Internetseite der Stiftung und ist federführend in die Organisation aller Aktionen eingebunden. Das "Spiel des Jahres" enthält jede Menge Khedira.

Khedira: Meine Familie ist der Hauptgrund, warum ich so große Erfolge feiern und meinen Weg gehen konnte. Das Vertrauen untereinander ist riesengroß. Für mich war deswegen keine Frage, dass ich meine Familie in eine Aktion, die mir so wichtig ist, so weit wie möglich einbinde. Ich weiß, dass ich mich auf alle absolut verlassen kann, das ist ein gutes Gefühl. Wobei nicht nur meine Familie beteiligt ist - viele meiner Freunde helfen ehrenamtlich, neben ihren Berufen investieren sie viel Zeit. Dafür bin ich sehr dankbar, ohne sie wäre es nicht möglich. Das ist auch die zentrale Botschaft, die ich den Kindern, die ich zuletzt in den Heimen besucht habe, vermitteln wollte: Alleine ist man klein, zusammen wird man groß.

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