In Argentinien ist ein Sieg im ehemaligen Europa-Südamerika-Pokal, der inzwischen zur FIFA Klub-Weltmeisterschaft globalisiert wurde, mehr als nur ein weiteres Ziel. Er ist ein Traum, gar eine Obsession. Es geht darum, gegen die europäische Großmacht die Vorherrschaft auf dem Bolzplatz zu verteidigen. Deshalb sieht San Lorenzo de Almagro seinem Debüt in Marokko 2014 voller Vorfreude entgegen, die Lust auf einen Triumph ist riesig. Und aus diesem Grund machte sich Trainer Edgardo Bauza vor zwei Monaten, als sein Team nach dem historischen Gewinn der Copa Libertadores etwas aus dem Tritt gekommen war, auf die Suche nach neuen taktischen Lösungen mit Blick auf den Auftritt in Marrakesch. Denn einige Schlüsselspieler hatten den Verein verlassen, und er fand einfach nicht die richtige Abstimmung. Bis ihm schließlich Enzo Kalinski in den Sinn kam.
"Ich bin ein klassischer Mittelfeldspieler. Meine Aufgabe ist es, mit den beiden anderen zentralen Spielern zusammenzuarbeiten und das Spiel der Mannschaft anzukurbeln", analysiert Kali seine Rolle im Gespräch mit FIFA.com. Die zwei anderen Mittelfeldakteure sind Néstor Ortigoza und Juan Mercier. Kalinski ist der dritte zentrale Mittelfeldspieler auf dem Platz. "Mercier und Ortigoza haben eine großartige Ballbehandlung. Ich habe ihnen Kalinski an die Seite gestellt, der mehr Durchschlagskraft hat", erklärte der Trainer im Interview mit der spanischen Tageszeitung El País.
In der Copa Libertadores noch in der Reservistenrolle, erhielt Kalinski im "Torneo Transicion" aufgrund der Abwesenheit von Mercier seine Chance. Pichi kehrte zurück, aber dann fiel Ortigoza aus. Kalinski wurde erneut aufs Feld beordert. Das Spiel der Mannschaft lief nicht rund. Sie verlor sechs von zwölf Partien. Gegen Lanús standen alle drei Akteure auf dem Platz. Es setzte zwar eine Niederlage, doch Trainer Bauza hatte trotzdem einen guten Eindruck gewonnen. Der Sieg gegen Boca Juniors in der darauffolgenden Woche markierte schließlich den Beginn eines neuen Höhenflugs: El Ciclón gewann vier von sechs Begegnungen.
"Ich denke, dass wir deshalb so gut miteinander harmonieren, weil wir Spieler mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften sind", so Kalinski. Mercier ist mehr der lautstarke Antreiber, Ortigoza der Organisator, und er selbst hat mehr Zug nach vorne. Seine Rolle gleicht fast schon der eines Mittelstürmers, ohne ein solcher zu sein. Seine Qualitäten in Strafraumnähe, zusätzlich zu seinen natürlichen Fähigkeiten auf dieser Position, sind das Erfolgsgeheimnis von Enzo Kalinski.
"Wir gewannen [die Copa Libertadores] mit einem 4-4-2-System", erklärte Bauza in der spanischen TV-Sendung Fiebre Maldini. "Inzwischen spielen wir ein 4-1-4-1 für ein besseres Gleichgewicht, und ich stelle fest, dass die Mannschaft solider spielt. Dieses taktische Schema sorgt dafür, dass die Mittelfeldspieler mehr Druck nach vorne ausüben und wir damit die fehlende Torgefährlichkeit ausgleichen."
Der Basketball als gute Schule
Ein Teil der Qualitäten Kalinskis hat seinen Ursprung in seiner großen Leidenschaft, dem Basketball. Als Kind war er im Verein Santiago del Estero, der sich unmittelbar in der Nähe seines Wohnorts befand, ständig mit seinen Freunden auf Korbjagd. Er spielte gleichzeitig Fussball und Basketball, und mit 14 Jahren entschloss er sich, mit dem Fussball aufzuhören und sein Glück auf dem Parkett zu suchen. Doch es ergab sich die Gelegenheit, nach Buenos Aires zu reisen und in den Nachwuchsteams von Quilmes zu spielen. Er überlegte es sich anders. Er spielte gerne als hängende Spitze, doch bei Quilmes wurde er zentraler Mittelfeldspieler.
"Aufbauspieler [im Basketball] gewesen zu sein, hat mir enorm dabei geholfen, auf dem Platz stets den Überblick zu behalten", sagt der Spieler mit der Rückennummer acht, der auch außerhalb des Fussballfelds sein Auge schärft. Er wuchs auf dem Land auf und geht seit seinem achten Lebensjahr auf die Jagd. Immer, wenn es die Verpflichtungen im Fussball erlauben, schnappt er sich sein Gewehr und seine Angel und kehrt zurück zu seinen Wurzeln.
Seine Entwicklung auf dem Feld ist wiederum das Resultat großer Anstrengungen. Nach einigen kräftezehrenden Spielzeiten bei Quilmes, in denen das Team um Auf- oder Abstieg kämpfte, kam er 2011 zu San Lorenzo. Es war eine schwierige Phase für den Klub, die nicht mit heute zu vergleichen ist. Am Ende jener Spielzeit war das Team nur denkbar knapp einem Abstieg entronnen.
"Wir mussten schwere Zeiten durchmachen. Es hat mich sehr geprägt, miterleben zu müssen, wie unsere Fans angesichts des drohenden Abstiegs gelitten haben. Doch mit Opferbereitschaft, Bescheidenheit und Zusammenhalt fingen wir an, anders zu arbeiten. Zum Glück gingen wir Schritt für Schritt vor", so Kalinski. In Marokko wird er nach dem Gewinn der Copa Libertadores und der Meisterschaft im "Torneo Inicial" 2013 um den dritten Titel mit seinem Klub kämpfen. Die schweren Zeiten sind eindeutig vorbei.
Wenige Augenblicke vor seinem Debüt bei der FIFA Klub-Weltmeisterschaft gegen Auckland City blickt der Argentinier zurück und fühlt sich angesichts der Tatsache, dass er leiden musste, um in Marokko dabei sein zu können, umso erfüllter. "Diese Schritte sorgen nun dafür, dass ich es viel mehr genieße. Hier dabei zu sein, ist eine Belohnung."