Vier Monate vermisst: Am Sonntag ist Raúl Fernando Gómez Cincunegui lebend in den Anden geborgen worden. Der 58-Jährige aus Uruguay war am 11. Mai in Chile aufgebrochen, um mit dem Motorrad nach Argentinien zu fahren. Nach einer Panne beschloss er, zu Fuss weiterzugehen. Vor der Abreise hat er seine Familie gebeten, ihn als vermisst zu melden, falls er bis am 18. Mai nicht in Argentinien angekommen ist. Nach zwei Schneestürmen verlor Gómez die Orientierung und harrte den ganzen Winter in einer verlassenen Berghütte aus.
Je mehr sich die Medien mit der Geschichte beschäftigen, umso mysteriöser wird sie. Laut der argentinischen Online-Zeitung «minutouno» wollen die Behörden der Frage nachgehen, wieso die Vermisstenanzeige erst am 29. Juni bei der Grenzpolizei eingegangen ist, obwohl Gómez' Angehörige behaupten, dass sie, wie gebeten, sein Verschwinden eine Woche nach seiner Abreise gemeldet hatten. Auch bleibt unklar, wieso Raúl Gómez die unkontrollierte – und verlassene – chilenische Grenzstelle Pedernal auf 4500 Meter Höhe wählte, um nach Argentinien zu gelangen.
Polizei lässt nicht locker
Selbst der Arzt, der den abgemagerten Gómez nach seiner Rettung in einem Spital in der Stadt San Juan behandelte, behauptet, sein Patient rücke nur ungern Informationen heraus. «Er ist sehr schwach und hat fast keine Muskelmasse, ist aber bei vollem Bewusstsein. Auf Fragen antwortet er allerdings nur mit halben Sätzen». Die chilenische Radiostation «Bio Bio» berichtete am Montag, Gómez sei in Santiago de Chile am 13. April wegen sexuellem Übergriff angezeigt worden. Die chilenische Staatsanwaltschaft bestätigte später, dass der Mann dort wegen eines Sexualverbrechens gesucht werde. Das Opfer soll sein achtjähriger Neffe sein.
Der zuständige Richter ordnete am Dienstag seine vorläufige Verhaftung an, nachdem ein Auslieferungsantrag aus Chile eingegangen war, berichtet die Nachrichtenagentur DyN. Auch in Uruguay bestätigte Interpol der Nachrichtenagentur DPA, dass in Montevideo ein internationaler Haftbefehl gegen den Mann vorliege. In Chile war indessen am 17. Juli eine Fahndung eingeleitet worden, als der Mann nicht zu einem Termin vor Gericht erschien.
Zufällig gefunden
Seine Familie dementierte diese Version am Montag vehement. Ihr Mann sei von Uruguay nach Chile gereist, um an einer Motorradmesse teilzunehmen, sagt seine Ehefrau. Es gebe keine Anzeige gegen ihn. «Wir wollen ihn nach Montevideo holen, sobald er etwas besser bei Kräften ist», sagt sie weiter. Raúl habe viel durchgemacht, so die Ehefrau: «Er hat Ratten und sogar eine Eule gegessen, um zu überleben.»
Die Grenzbehörde konnte sie damit nicht überzeugen: «Wir wollen wissen, wieso er ohne Vorrat eine so gefährliche Route durch die Anden wählte», so Ingrid Massardo, Bürgermeisterin von Petarco: «Der Mann hat eine Anzeige wegen Vergewaltigung am Hals. Als er erkannt wurde, hat er alles liegen gelassen und ist über den Pedernal-Pass geflohen.» Der Gesuchte war zufällig von der Besatzung eines argentinischen Helikopters in der Berghütte Ingeniero Sardina in der Provinz San Juan gefunden worden.
(kle)