Inflation und Schwarzmarkt sind zurück im Alltag der Argentinier

Hochbetrieb am Hafen von Colonia de Sacramento. Die älteste Stadt Uruguays, nur eine Fährstunde von Buenos Aires entfernt, wird von argentinischen Touristen überrannt. Nicht des kolonialen Stadtkerns wegen - das Interesse gilt den Geldautomaten im Nachbarland. Dort nämlich gibt es etwas, das in Argentinien heiß begehrt ist: US-Dollar.

"In Argentinien kann man keine Dollar mehr zum offiziellen Wechselkurs tauschen. Wenn wir mit Kreditkarte in Uruguay abheben, zahlen wir zwar einen Aufschlag: etwas über sechs statt fünf Peso. Aber das ist immer noch besser als der Schwarzmarktkurs in Argentinien, da kostet der Dollar mittlerweile bis zu zehn Peso."

Erklärt ein junger Mann, sportlich gekleidet. Mit mehreren Kreditkarten in der Hand. wartet er in der inzwischen meterlangen Schlange. Hinter ihm eine 40-Jährige mit einer großen Ledertasche.

"Wir sind sauer auf die Regierung, weil sie uns verbietet, mit unserem Geld zu tun, was wir wollen. Sie schickt uns die Steuerbehörde auf den Hals, wenn wir im Ausland Dollar abheben. Sie will uns zwingen in Peso zu sparen, aber der Peso verliert fast täglich an Wert. Deswegen sparen wir Argentinier traditionell in Dollar, weil das eine stabile Währung ist."

Dollarfahrten nach Uruguay - ein beliebter Trick um die sogenannte "Wechselklemme" zu umgehen. Vor anderthalb Jahren hatte die Regierung von Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner Devisenbeschränkungen eingeführt, um Kapitalflucht zu verhindern. Die belief sich auf über 20 Milliarden US-Dollar. Erstmals seit der schweren Wirtschaftskrise waren die Devisenreserven des Landes eingebrochen. Selbst die hohen Überschüsse aus dem Agrarexport reichten nicht mehr aus, um die teuren Energieimporte und die hohen Auslandschulden des Landes zu begleichen. Seitdem blüht der Schwarzmarkt:

Die Einkaufsstraße Florida in Buenos Aires ist voller "Bäumchen", der Spitzname für Straßenhändler, die illegal Geld wechseln - etwas diskreter geht es in sogenannten "Höhlen" zu. Inoffizielle Wechselbüros, die sich hinter unscheinbaren Türen verstecken. Es herrscht ein Kommen und Gehen. Noch etwas ungläubig hält diese deutsche Touristin ein dickes Bündel Pesoscheine in den Händen:

"Ich habe hier jetzt fast doppelt so viel Peso bekommen, als hätte ich zum offiziellen Kurs getauscht. Kaum zu glauben!"

Währenddessen muss Federico, der eigentlich anders heißt, doppelt so viele Peso pro Dollar hinblättern - dafür kommen die grünen US-Banknoten bis an die Haustür: "Viel zu tun, wie jeden Tag", brummt der Geldbote und ist schon wieder weg.

Federico stopft seine Schwarzmarktscheine ganz klassisch in einen Strumpf - der junge Familienvater muss sparen, denn er hat Schulden - und zwar in Dollar.

"Wir haben vor einem Jahr ein Haus gekauft. Auch wenn die Regierung mittlerweile fordert, dass man Immobilien in Peso kauft: Der Markt fordert Dollar. Verwandte haben uns einen Teil des Geldes geliehen. Doch nun ist der Kurs explodiert und auf fast auf zehn Peso geklettert. Keine Ahnung, wie wir das zurückzahlen sollen."

Freunde von ihm flüchten sich stattdessen in den Konsum, kaufen Elektrogeräte, ein neues Auto auf Ratenzahlung oder renovieren ihre Wohnung. Sparen in der Landeswährung kommt für niemanden infrage:

"Das Problem unserer Wirtschaft ist ja gerade, dass niemand auf Landeswährung und Banken vertraut. Aber der Dollar ist für viele keine Option mehr. Auch deswegen steigen die Preise ständig, die Leute konsumieren wie verrückt. Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir schlechte Erfahrung mit Inflation machen."

Nach Angaben der amtlichen Statistikbehörde liegt die Preissteigerung bei knapp 10 Prozent pro Jahr. Doch das glaubt niemand: Unabhängige Institute sprechen von mehr als 25 Prozent, nach dem Iran und Venezuela die drittgrößte Teuerungsrate weltweit. Der Volkswirt Jose Luis Espert:

"Das ist das Ergebnis der Geldpolitik der Regierung. Sie weigert sich, den Peso abzuwerten und die Inflation zu bekämpfen. Stattdessen erhebt sie Kontrollen und wirft die Notenpresse an, um die ständig steigenden Staatsausgaben zu finanzieren. Die Wirtschaft wächst kaum noch."

Jorge Canaves muss mal wieder die Löhne anheben. Angesichts der Inflation fordert der Betriebsrat 26 Prozent für die 70 Angestellten des Familienunternehmens. Es produziert Reitsättel, die meisten Kunden sitzen in Europa. Doch die Einnahmen aus dem Export werden zum offiziellen, nicht inflationsbereinigten Dollarkurs auf das Firmenkonto überwiesen - während die Kosten im Inland steigen. Der deutschstämmige Argentinier erklärt sein Dilemma

"Was heißt das: Dass die Produktion immer teurer wird. Der Vorteil, den wir hatten: Qualität zu einem guten Preis, ist jetzt Qualität zu einem höheren Preis, der schon sehr nah am europäischen Produkt liegt."

Die Bestellungen aus Europa gehen zurück.

"Zurzeit hängt meine Firma, wie fast das ganze Land, an einem sehr dünnen Seil, der jeden Moment brechen kann und es kommt alles runter wie ein Kartenhaus."

Im uruguayischen Kolonialstädtchen Colonia ist inzwischen wieder Ruhe eingekehrt. Die argentinische Regierung hat dem Dollar-Tourismus den Hahn zugedreht: In Nachbarstaaten dürfen nur noch 100 Dollar pro Quartal abgehoben werden. Für mehr Vertrauen in ihre Wirtschaftspolitik sorgt das bei den Argentiniern nicht. Martin Gonzales Rozada, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Torcuato di Tela:

"Die wirtschaftliche Situation des Landes ist ziemlich kompliziert. Darauf reagiert die Regierung mit immer mehr Kontrollen. Im Land versucht sie die Lage mit höheren Staatsausgaben und Sozialhilfen abzufedern. Dieser Weg, einmal eingeschlagen, ist schwer wieder zu verlassen. Als Argentinier habe ich schon viele Krisen mitgemacht, irgendwann geht es wieder aufwärts."

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