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07. August 2014
Argentinien
Während der Militärdiktatur in Argentinien sind viele Kinder von Regimegegnern verschwunden – die Großmütter der Plaza de Mayo haben die Suche nie aufgegeben.
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Die ganze Wucht des Medieninteresses hat Ignacio Hurban noch gar nicht so richtig zu spüren bekommen, dabei ist der 36 Jahre alte Argentinier wie aus dem Nichts zur Symbolfigur der jüngeren argentinischen Geschichte aufgestiegen. Nichts ist für Argentiniens plötzlich berühmtesten Enkel mehr so, wie es einmal war. Bis vor ein paar Tagen führte der studierte Musiker ein ganz normales Familienleben irgendwo in der Provinz. Doch den Pianisten plagten schon seit Längerem Zweifel wegen seiner wahren familiären Identität. Also ließ Ignacio Hurban einen Gentest machen, der endlich klären sollte, wo eigentlich seine Wurzeln liegen. Das amtlich beglaubigte Ergebnis sorgt für Jubel im ganzen Land.
Denn Ignacio Hurban ist niemand anders als der aufgespürte Enkel Nummer 111, und der Enkel von Estela de Carlotto (83), der Vorsitzenden der Großmütter der Plaza de Mayo – einer Organisation, die die Kinder, die während der Militärdiktatur der 1970er-Jahre zur Zwangsadoption freigegeben wurden, auffinden und im besten Fall zu ihren Ursprungsfamilien zurückbringen will. Was bislang 110-mal gelungen war. Die mutige und tapfere Frau erhielt den Menschenrechtspreis der Vereinten Nationen. Sie ist das Sinnbild des argentinischen Gewissens und steht für die Teile der Gesellschaft, die die Verbrechen nicht vergessen wollen und können. Der Fall Hurban ist spektakulär und beherrscht seit Dienstag alle Titelseiten in Argentinien – denn aus dem politischen Kampf ist eine persönliche Geschichte geworden.
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Vorausgegangen war unter anderem eine Kampagne der argentinischen Fußballnationalmannschaft, die sich für eine Initiative der Großmütter der Plaza de Mayo eingesetzt hatte. Mit dabei an vorderster Front: die Superstars Lionel Messi und Javier Mascherano, die die Bevölkerung zu freiwilligen Gentests ermunterten – ein groß angelegter Versuch, um die damals von Dissidenten und Diktaturgegnern geraubten Kinder aufzuspüren. 400 von ihnen sind heute noch verschwunden. Mascherano vom FC Barcelona schickte nach Bekanntwerden der Nachricht einen Glückwunsch an de Carlotto. Argentiniens Kicker sind froh, dass ihre Unterstützung der Kampagne ein spektakuläres glückliches Ende fand.
Nach mehr als 36 Jahren Suche hat Estela de Carlotto nun also ihren eigenen verschwundenen Enkel wiedergefunden. Damit schließt sich zumindest für die Frau mit den grau-weißen Haaren und dem markanten Gesicht eine Leidensgeschichte. "Ich wollte nicht sterben, ohne ihn noch einmal zu umarmen", sagte de Carlotto sichtlich bewegt in einer Pressekonferenz in Buenos Aires.
Ignacio Hurban heißt eigentlich Guido und ist in der argentinischen Kleinstadt Olavarria zu Hause. Mit 99,99-prozentiger Sicherheit ist er der Sohn von de Carlottos Tochter Laura, die am 25. August 1978 nur zwei Monate nach der Geburt ihres Sohnes von den Schergen der Diktatur ermordet wurde. Laura de Carlotto hatte das Kind im Gefängnis während der Militärdiktatur zur Welt gebracht, unmittelbar nach der Geburt war es der Mutter mit unbekanntem Ziel weggenommen worden. Es war eine ganz besonders brutale Form der Folter der argentinischen Machthaber um General Jorge Rafael Videla. Die Kinder der jungen Mütter, die gegen die Diktatur kämpften, landeten oft bei Familien, die den Herrschenden nahestanden und sich einen Kinderwunsch erfüllen wollten. Auch in Nazi-Deutschland und in der DDR wurden Frauen ihre Kinder weggenommen, aktuell bedient sich Kolumbiens linke Guerillaorganisation Farc dieser perfiden Form der Strafe.
"Ich komme mir immer noch vor wie in einem Traum", sagt Estela de Carlotto am Tag nach der öffentlichen Enthüllung. Sie kann sich vor Glückwünschen kaum retten. Die argentinische Präsidentin Cristina Kirchner habe sie noch am Dienstag angerufen, um zu erfahren, ob die Nachricht denn tatsächlich stimmen würde: "Danach haben wir gemeinsam geweint", berichtet de Carlotto. Kirchner und die Großmütter der Plaza de Mayo unterhalten seit Jahren eine von der Opposition heftig kritisierte Beziehung. Die Menschenrechtsorganisation erhält staatliche Zuwendungen, im Gegenzug lobt die charismatische de Carlotto gerne demonstrativ in Krisenzeiten die Geldgeberin aus dem Präsidentenpalast.
Auf Ignacio Hurban alias Guido de Carlotto stürzt nun das Medieninteresse des ganzen Landes ein. Ob und wie es eine Familienzusammenführung gibt, steht bislang noch nicht fest. Man wolle seine Privatsphäre respektieren, heißt es aus dem Hause de Carlotto, als bereits die ersten Bilder von dessen musikalischer Arbeit auf den Internetportalen der Zeitungen erschienen. Auch seine andere Großmutter, mit 91 Jahren noch etwas älter als de Carlotto, wird von den Journalisten interviewt. Guido de Carlotto ahnt bereits, dass er für den Rest seines Lebens damit leben müssen wird, eine Symbolfigur der argentinischen Geschichte zu sein. Seine erste schwere Entscheidung wird sein, für welchen Namen er sich künftig entscheiden wird: Ignacio Hurban oder Guido de Carlotto.
Soll er nun Guido de Carlotto oder Ignacio Hurban heißen?
Während der Militärdiktatur sind in Argentinien laut Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen rund 30 000 Menschen gestorben – und mindestens 500 Kinder von Regimegegnern in Gefängnissen und Folterlagern zur Welt gekommen, die dann systematisch Adoptiveltern übergeben wurden. Der glückliche Ausgang der Leidensgeschichte der Familie de Carlotto wird einerseits der weiteren Suche nach den anderen geraubten Kindern noch einmal neuen Schwung geben, andererseits wird er auch dabei helfen, die immer noch nicht gänzlich aufgearbeitete dunkle Epoche der Militärdiktatur aufzuarbeiten. Argentinien diskutiert wieder über seine Vergangenheit. Und seit dieser Woche hat diese Geschichte auch ein Gesicht: Guido de Carlotto.
Autor: Tobias Käufer
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