Globale Insolvenzordnung – Das Recht auf Staatspleite

Die UN-Vollversammlung befürwortet ein globales Insolvenzrecht für ganze Länder. Unter anderem ist Deutschland dagegen.

Die Argentinier feierten am East River in New York. „Historisch“ sei das, was die Generalversammlung der Vereinten Nationen da gerade beschlossen habe, jubelte Hector Timerman. Er ist Außenminister Argentiniens. Also jenes Landes, das nach Ansicht der Finanzmärkte seit Ende Juli pleite ist. „Diese Abstimmung ist ein deutliches Zeichen für die Notwendigkeit, sich der zügellosen Spekulation entgegenzustellen“, sagt Timerman. Die Uno-Generalversammlung hatte gerade beschlossen, die internationale Gemeinschaft solle so schnell wie möglich weltweit gültige Regeln für die geordnete Abwicklung von Staatspleiten aufstellen.

Ist ein Unternehmen insolvent, kann es vorübergehend Schutz vor Gläubigern beantragen und seine Schulden neu ordnen. Das Gleiche gilt für Privatpersonen. Doch ist ein Staat bankrott, wird er wie Argentinien schnell zum Spielball von Investmentfonds, Banken und Zivilgerichten – mit Risiken für das Land und das weltweite Finanzsystem. Seit Jahren fordern Experten eine Insolvenzordnung, um Pleite-Staaten einen Neustart zu ermöglichen. Sie sollen nach klaren Regeln Zahlungserleichterungen, Umschuldungen oder einen Forderungsverzicht aushandeln können.

124 Staaten stimmen mit Ja

Argentinien war im Juli von den Ratingagenturen für zahlungsunfähig erklärt worden, weil es mit zwei Fonds um 1,5 Milliarden Dollar streitet. Die könnte das Land zahlen – wenn dies nicht riesige Forderungen anderer Gläubiger nach sich zöge. Nach der vorangegangenen Pleite Argentiniens Anfang des Jahrtausends hatten sich fast alle Gläubiger bereiterklärt, auf einen Großteil ihres Geldes zu verzichten. Aber eben nicht alle: Wird aber einer besser behandelt, sind auch Vereinbarungen mit den restlichen Geldgebern hinfällig.

Die Mehrheit in der Vollversammlung war überwältigend: 124 Staaten stimmte für den Text, 24 enthielten sich, elf waren dagegen. Dennoch ist fraglich, ob das Projekt jemals konkrete Formen annehmen wird. Resolutionen sind nicht bindend. Und unter den wenigen Nein-Staaten, sind einige, gegen deren Willen sich keine wirksamen Finanzmarkt-Regeln auf die Beine stellen lassen: USA, Großbritannien und Deutschland.

Dabei halten Experten wie der Ökonom Henning Vöpel vom Hamburger Weltwirtschafts-Institut (HWWI) eine globale Insolvenzordnung für wichtig: „Wenn Investoren wissen, dass ein solches Instrument existiert, gibt es weniger Anlass zur Panik, wenn Zweifel an der Solvenz eines Staates aufkommen“, sagt Vöpel. „Mittelfristig ist das eine gute Sache.“

Die Frage ist aber, ob das auch kurzfristig der Fall wäre. Skeptiker argumentieren, dass gerade die Einführung eines derartigen Mechanismus neue Turbulenzen auslösen und Länder vom Geldfluss abschneiden könnte. Diesen Gedanken brachte in der vergangenen Woche auch die US-Vertreterin in der Generalversammlung vor.

Hilfskonstruktionen sind unerlässlich

Wie solche Turbulenzen aussehen können, hatte im Jahr 2010 die Europäische Union erlebt. Damals ging es um die Rettung Griechenlands. Deutschland forderte ein Regelwerk für Staatspleiten und kündigte mit Frankreich an, dass private Gläubiger fortan an Rettungsprogrammen für Euro-Staaten beteiligt würden. Die Folgen waren verheerend: Die Finanzmärkte gerieten vollends in Panik, die Zins-Aufschläge für einige Staatsanleihen schossen in die Höhe, auch Irland und Portugal mussten schließlich bei den Partnern Hilfe beantragen. Seitdem sind in Europa die Pläne für eine Staats-Insolvenzordnung in der Schublade verschwunden.

Bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist, werden sich die Staaten mit Hilfskonstruktionen begnügen müssen. Beim Verkauf von Staatsanleihen werden heute häufig spezielle Vertragsklauseln vereinbart. Sie besagen, dass sich Investoren im Falle eines Schuldenschnitts Mehrheitsentscheidungen aller Gläubiger zu unterwerfen haben. Den Argentiniern hilft das nicht mehr: Sie streiten sich mit zwei Hedgefonds. Die halten Wertpapiere aus einer Zeit, als es solche Vertragsklauseln noch nicht gab.

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