Giora Feidman als Diener

Als junger Mann ging der jüdische Musiker Giora Feidman aus seiner Heimat Argentinien fort, um in Israel durchzustarten. Mit dem traditionell jüdischen Klezmer gelangte der Klarinettist zu Weltruhm. Im Interview gibt sich der 76-Jährige vor seinem Besuch am nächsten Samstag, 17. November, in Würzburg, wo er in der Musikhochschule mit dem Quartett „Gitanes Blondes“ spielt, bescheiden.

Frage: Sollen wir das Interview lieber auf Deutsch oder auf Englisch führen?

Giora Feidman: Deutsch ist eine tolle Sprache – aber sooo schwer. Ich schäme mich, weil ich so oft und seit so vielen Jahren in Deutschland bin und die Sprache nicht sprechen kann. Klarinette zu spielen ist leichter für mich als Deutsch zu sprechen (lacht).

Sie schreiben, Sie spielen Klarinette, um Ihre Gefühle mit den Menschen zu teilen. Was drücken Sie mit Ihrem Spiel aus?

Feidman: Die Klarinette ist ein Medium, das Mikrofon meiner Seele. Und Musik ist spirituelle Nahrung. Ohne spirituelle Nahrung können wir nicht leben. Leider ist das vielen Menschen in unserer Gesellschaft nicht bewusst. Ich bin überzeugt, dass alle Probleme auf diesem Planeten daher rühren, dass wir uns nicht bewusst sind, dass wir spirituelle Nahrung brauchen. Sie ist die einzige Nahrung, die die Seele braucht. Sie braucht keine Spaghetti. Aber sie braucht Liebe. Deshalb gehe ich auf die Bühne. Nicht, um zu zeigen, dass ich Klarinette spielen kann.

Wie sind Sie zur Musik gekommen?

Feidman: Jeder Mensch geht morgens los und macht einen Job. Und indem wir das tun, sind wir Diener der Gesellschaft. Alle von uns, der Arzt, der Mensch, der in der Post arbeitet. Der Grund, dass ich am Leben bin, ist anderen Leuten zu dienen. Natürlich möchte jeder Mensch auch Geld verdienen, um in der Gesellschaft leben zu können. Aber im Endeffekt dienen wir anderen Menschen. Das war meinem Vater sehr bewusst. Ich spiele Klarinette auf der Bühne, seit ich 14 Jahre alt bin. Ich war damals sehr jung, das Spiel tat meinem Selbstbewusstsein gut, ich wollte Mädchen beeindrucken. Mein Vater hat mich jeden Tag auf den Boden zurückgeholt und zu mir gesagt: Der Arzt ist verantwortlich für deine körperliche Situation, Du bist verantwortlich für spirituelle Nahrung. Du bist dadurch kein besserer Mensch, kein Künstler, kein Boheme. Sondern ein Mensch wie jeder andere.

Sie sind mit 21 Jahren nach Israel gegangen. Was zog Sie damals dorthin?

Feidman: Die Juden haben 2000 Jahre lang darauf gewartet, nach Hause zu kommen. Tausende Jahre lang waren sie überall auf der Welt verstreut. Endlich konnten sie dorthin kommen, wo sie verstanden wurden. Ich bin nach Israel gegangen, weil mich die Philharmonie eingeladen hatte, das Israel Philharmonic Orchestra. Ich hatte keinen Anteil an der Tragödie, die den Juden in Europa widerfahren ist, weil ich in Argentinien aufgewachsen bin. Wäre ich aber dort geblieben, würde ich die Klarinette heute nicht so spielen, wie ich sie spiele. Nach Israel zu kommen, hat bei mir einen Kanal geöffnet. Dadurch konnte ich ein besserer Diener der Gesellschaft sein.

Sie gelten als Botschafter zwischen den Kulturen, zwischen Juden und Deutschen. Wie ist das Verhältnis aus Ihrer Sicht heute?

Feidman: Das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen ist einzigartig. Es ist einer der größten Ausdrücke von Menschlichkeit. Ich fühle mich als Jude in Deutschland zu Hause. Unsere menschliche Beziehung hat nichts mit der Vergangenheit zu tun. In Frieden zu leben, ist der natürliche Weg zusammenzuleben – für alle Menschen. An den Juden und den Deutschen muss sich die Welt ein Beispiel nehmen. All die Regionen, in denen niemals Friede sein wird, weil es immer nur um Rache geht – in Syrien, im Irak, in Afrika. Du tust mir etwas Schlimmes an, ich tue Dir etwas Schlimmes an. Wir wollen alle in Frieden leben. Das ist etwas Natürliches, wieso also müssen wir es verteidigen? Der Krieg ist keine Folge von Liebe, sondern davon, dass einer der Herrscher über den anderen sein will. Aber wieso? Die Luft ist verschmutzt, wieso kümmern wir uns nicht darum? Wieso kümmern wir uns nicht um unsere Kinder? Der Krieg ist das größte Geschäft auf diesem Planeten. Es geht darum, Waffen zu verkaufen. Aber selbst wenn man gewinnt, kann niemand sagen, dass es ein guter Krieg war. Die Musik, der Tanz und die Malerei können helfen, die Menschen davon zu überzeugen, als Familie zusammenleben. Das ist die Macht der Musik.

Sie spielen auf der ganzen Welt – in Deutschland, in New York, in Tokio. Wird Ihre Musik – Klezmer – überall gleich aufgenommen?

Feidman: Wenn ich nach Japan gehe, verstehe ich die Sprache nicht. Wenn ich in ein Restaurant gehe oder die U-Bahn benutze, brauche ich einen Übersetzer. Aber wenn ich auf der Bühne stehe, brauche ich keinen Übersetzer. Dort habe ich die Sprache der Musik, die alle Menschen verstehen. Ich spiele jüdische Musik, aber die Zuschauer fühlen das nicht. Es kommt nicht auf die Religion an. Sie und ich, wir sind geeint durch die Sprache, die wir Musik nennen. Musik ist ein Gebet ohne Religion.

Sie touren derzeit mit den „Gitanes Blondes“. Wie war es, auf die junge Klezmer-Gruppe zu treffen?

Feidman: Diese vier jungen Menschen sind außergewöhnlich. Am Anfang, als ich mit ihnen spielte, dachte ich: Wow, diese Leute haben viel Energie. Jetzt denken sie das auch über mich. Die Energie dieser Musiker ist sehr rein. Sie gehen nicht auf die Bühne, um zu zeigen: Seht her, ich spiele Geige! Oder: Seht her, ich spiele Akkordeon! Das ist der Grund, weshalb sie so gut sind. Wir sind fünf junge Leute – mich eingeschlossen – und haben viel voneinander gelernt. Die Leute fragen mich: Du bist 76, wie kannst du noch auf der Bühne stehen? Dann sage ich: Ich fühle das Alter nicht. Ich mache es, weil ich mein Selbst mit meiner Seele verbinde und der Gesellschaft diene. Es ist das größte Geschenk, das Gott mir gegeben hat.

Giora Feidman in Würzburg

Der Klarinettist, in Argentinien geboren am 25. März 1936 als Sohn jüdischer Einwanderer aus Bessarabien (Moldawien/südliche Ukraine), musizierte schon als Kind mit seinem Vater. Er erhielt mit 18 Jahren eine Anstellung am Teatro Colon, der renommiertesten Opernbühne Südamerikas. Mit 21 Jahren wanderte Feidman nach Israel aus, wo er einen Vertrag mit dem Israel Philharmonic Orchestra bekam. Später begann er seine Solokarriere als Klezmer-Musiker. In Deutschland wurde er durch seine Rolle in dem von Peter Zadek inszenierten Theaterstück „Ghetto“ bekannt. Er war auch in deutschen Filmen wie „Jenseits der Stille“ und „Comedian Harmonists“ zu sehen. Am Samstag, 17. November, gastiert Feidman mit „Gitanes Blondes“ um 20 Uhr in der Würz- burger Musikhochschule. Karten: Tel. (09 31) 60 01 - 60 00) sowie Tel. (0 18 05) 60 70 70

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