Tennis - Davis Cup, Halbfinale: Belgien steht nach 111 Jahren wieder in einem Finale - Steve Darcis ist am Ende der große Sieger - Goffin ebnet den Weg
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Die Unterstützung der Fans war das gesamte Wochenende über phänomenal. Foto: David Hagemann
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Am Ende kannte der Jubel keine Grenzen mehr. Foto: belga
Von Mario vondegracht und Cathérine Keutgen
Es ist ein Sieg von historischem Ausmaß: Am frühen Sonntagabend zog Belgien nach einem Tennis-Thriller ins Davis-Cup-Finale ein. Steve Darcis, der am Freitag ein Einzel und am Samstag das Doppel verloren hatte, war der große Gewinner.
Belgien - Argentinien 3:2
Nach dem Doppel am Samstagnachmittag führten die Lateinamerikaner mit 2:1. Damit war aber lange noch nichts entschieden, denn die Belgier waren schon in der Vergangenheit in der Lage gewesen, einen 1:2-Rückstand aufzuholen und die Partie umzubiegen. Zuletzt gegen Israel im September 2013.
Doch kommen wir zunächst zum Samstagnachmittag. Nachdem am Donnerstag zwar angekündigt worden war, dass Ruben Bemelmans und Kimmer Copperjans gegen Carlos Berlocq und Diego Schwartzman in den Kampf ziehen würden, zeigte sich eine Stunde vor Spielbeginn ein anderes Bild. Der Lütticher Steve Darcis spielte anstatt Coppejans, während Argentinien Leonardo Mayer (mit Berlocq) aufs Feld schickte. Auf argentinischer Seite war dieser Schachzug vorhersehbar, da Berlocq und Mayer als eingespieltes Team gelten. Beide spielen des Öfteren auch bei normalen Turnieren zusammen, zum letzten Mal bei den French Open in Paris. Beide haben auch im vergangenen Juli, im Viertelfinale gegen Serbien, die Doppelexperten Zimonjic und Troicki eines Besseren belehrt und sie nach drei glatten Sätze nach Hause geschickt.
Die Nominierung Darcis’ durch Kapitän Johan Van Herck war insofern eine Überraschung, hatte er doch am Tag zuvor fast vier Stunden gegen Mayer kämpfen (und schließlich auch verlieren) müssen.
Goffin, der eigentlich die offensichtlichere Wahl gewesen wäre, unterstützte die Entscheidung des Kapitäns Johan Van Herck und erklärte dem RTBF: „Ich war heute zwar auch körperlich fit, um im Doppel anzutreten, aber Steve hat sich nach seinem langen Spiel gestern extrem gut erholt und ist bereit, heute wieder zu spielen. Deshalb denke ich, dass wir das bestmögliche Doppelteam aufgestellt haben.“
Doch der Weltranglisten-15. sollte sich irren. Im ersten Satz taten sich die Belgier noch sehr schwer, sie mussten ihr erstes Aufschlagspiel sofort abgeben. Carlos Berlocq, der älteste aller Spieler, die in diesem Halbfinale vertreten sind, zeigte seine ganze Erfahrung und diktierte das Spiel. Derweil schienen die Belgier aus ihrer Erstarrung langsam aufzuwachen. Bemelmans zeigte sich viel energischer und versuchte, Darcis mitzuziehen. Das gelang auch, obwohl die Argentinier im zweiten Satz schnell wieder mit 5:2 führten. Die Belgier kämpften sich jedoch zurück ins Spiel und erreichten den Tie-Break. Als es dann 1:0 für Belgien stand, sorgte ein Schiedsrichterfehler zugunsten der Argentinier für große Aufregung im belgischen Team. Die Zuschauer ließen ihren Ärger freien Lauf und der Schiedsrichter benötigte schließlich mehr als fünf Minuten, bevor wieder Ruhe eingekehrt war und das Spiel weitergehen konnte. Die Argentinier profitierten von der Bestürzung der Belgier und gewannen den zweiten Satz.
Im dritten Durchgang zeigten sich die Belgier wieder sehr stark und gewannen mit 7:5. Auch im vierten Satz hatten Bemelmans und Darcis die Nase vorne, aber die Argentinier kamen zurück und erzwangen einen erneuten Tie-Break. Nach einer Gesamtspielzeit von über vier Stunden erhielten die Argentinier dann ihren ersten Matchball, den sie auch verwerten können. Die Aussichten für Sonntag waren also weniger rosig. Beide Einzel mussten gewonnen werden. Das belgische Team um Kapitän Johan van Herck kämpfte gegen eine stark motivierte argentinische Mannschaft. Obwohl diese auf ihre zwei Topstars Juan Martin Del Potro (US-Open-Sieger 2009) und Juan Monaco verzichten musste, waren die Spieler in Höchstform. Sowohl Mayer als auch Berlocq gaben gestern alles, um den fünften Einzug ins Finale zu erreichen. Am Samstagabend hatten die Organisatoren im Forest National noch bekanntgegeben, dass noch ungefähr 2.000 Tickets für den Tennis-Sonntag zur Verfügung standen. Daraufhin ließen es sich die belgischen Fans nicht nehmen, ihre Mannschaft unterstützen zu kommen. Obschon noch ein paar Sitze frei blieben, mangelte es nicht an guter Stimmung und sehr lauten Anfeuerungsrufen Die Atmosphäre war vergleichbar mit der einer Fußball-Weltmeisterschaft.
Als Steve Darcis im Tie-Break den Matchball verwandelte, gab es in der Halle kein Halten mehr.
Wie schon am Freitag war der Lütticher David Goffin (ATP-15) als Erster der beiden Einzel an der Reihe. Dieses Mal trat der 24-Jährige gegen den 23-jährigen Diego Schwartzman (ATP-68), der Leonardo Mayer ersetzte, an. Diese Entscheidung vom argentinischen Coach kam nicht so überraschend, da Mayer, der nach dem Spiel gegen Darcis am Freitag und dem Doppel am Samstag schon fast acht Stunden auf dem Platz verbracht hatte, nicht mehr ganz so fit war.
Als Goffin auf den Platz kam, waren die Fans nicht mehr zu halten. Bei jedem Punkt Goffins bebten die Mauern der Brüsseler Konzerthalle, doch Schwartzman ließ sich zunächst davon nicht einschüchtern und lieferte gekonnt Widerstand. Man muss zugeben, dass auch die argentinischen Fans, obschon nicht so zahlreich wie die Belgier, für Stimmung in ihrem Lager sorgten. Alsdann gelang David Goffin beim 4:3 im ersten Satz das Break. Beim eigenem Aufschlag gewann der Lütticher den ersten Satz. Da waren bereits 47 Minuten gespielt. Der zweite Satz verlief wesentlich schneller. Goffin schaffte das Break gleich am Anfang und eilte davon. Nach einer knappen halben Stunde gewann er diesen Durchgang mit 6:2. Auch am Anfang des dritten Satzes schaffte der Weltranglisten-15. das Break. Während des ganzen Satzes zeigte er sich beim Aufschlag besonders solide und hatte nach einer Stunde und 47 Minuten die ersten Matchbälle. Und schließlich durfte Belgien dank seines Sieges weiterhin vom Einzug in ein zweites Davis-Cup-Finale träumen.
Sofort nach seinem Sieg bedankte sich Goffin bei seinen Fans: „Ich möchte mich unbedingt beim Publikum bedanken. Ihr habt mich beflügelt und bis zum Sieg getragen. Vielen Dank dafür!“
Steve Darcis (ATP-64) hatte nach Goffins Sieg die schwere Aufgabe, Federico Delbonis um einen Platz ins Finale herauszufordern. Obschon es nach Goffins Match bald unmöglich schien, jubelten die Fans beim 31-jährigen Lütticher noch lauter. Darcis schien dadurch seine Niederlagen im Einzel und im Doppel zu vergessen und beißte sich durch den ersten Satz mit 6:4.
Das Finale wird von 27. bis zum 29. November in Belgien stattfinden, wo genau wird erst nach dem 28. September bekanntgegeben. Als es im zweiten Satz dann plötzlich 3:2 für Argentinien stand, bekam Delbonis darüber hinaus mehrere Breakchancen. Und schließlich gelang es dem Argentinier auch, mit 4:2 in Führung zu gehen. Dieser Punkt entpuppte sich als psychologisch sehr wichtig für den Argentinier, denn er zog davon und gewann den zweiten Durchgang mit 6:2. Im dritten Satz glich sich das Spiel wieder aus, und beide Spieler boten den mehreren Tausend Zuschauern ein Spektakel von sehr hohem Niveau. Beim Stand von 5:5 gelang Darcis das Break zu null. Kurze Zeit päter gewann der Lütticher dann auch noch sein eigenes Aufschlagspiel, womit der dritte Satz erneut an Belgien ging (7:5).
Im vierten und entscheidenden Satz kam es dann zum eingangs erwähnten Thriller. Beim Stand von 6:6 ging es in den berüchtigten Tie-Break. Zuvor hatte Darcis das Publikum ganz schön bei Laune gehalten, denn der Tennisprofi vergeigte zwei Matchbälle. Man wähnte sich schon im fünften (und letzten) Satz der Begegnung, doch im Tie-Break zeichnete sich früh ab, dass Belgien auf dem Weg ins historische Finale nicht mehr zu stoppen war. Als Steve Darcis den Ball zum 7:2 schmetterte, gab es in der Halle kein Halten mehr. Darcis wurde unter einem Berg von Menschen im Freudentaumel begraben. Nach der bitteren Niederlage im Doppel am Samstag hatten die Belgier den Spieß umgedreht. Nun stehen die Belgier zum zweiten Mal nach 1904 im Endspiel der Davis Cup, das Ende November gegen das britische Team um den Weltranglistendritter Andy Murray stattfinden wird. Pikantes Detail: Beim ersten Finale war Großbritannien ebenfalls der Gegner. Das Finale wird von 27. bis zum 29. November in Belgien stattfinden, wo genau wird erst nach dem 28. September bekanntgegeben. In Anwerpen kann es genauso wenig stattfinden wie in Brüssel, weil beide Hallen wegen Popkonzerten ausgebucht sind. Organisiert wird das Endspiel vom flämischen Tennisverband (VTV), der sich immer mit dem wallonischen Tennisverband abwechselt.
Die Diskussion, wo Ende November gespielt werden soll, störte Kapitän Johan Van Herck aber zunächst ziemlich wenig. Er sagte direkt im Anschluss an den Sieg von Steve Darcis: „Dieses Finale wird mit Sicherheit ein riesiges Fest werden.“