Ein vermeintlicher Überlebensheld wird in Südamerika seit Monaten als Sexualtäter gesucht. Der 58-jährige Mann aus Uruguay war am Sonntag nach viermonatiger Irrwanderung in den argentinischen Anden geborgen worden. Er war aus Chile geflohen, wie die chilenische Staatsanwaltschaft am Montag (Ortszeit) bekannt gab. Der Mann werde dort wegen eines Sexualverbrechens gesucht. Das Opfer soll sein achtjähriger Neffe sein.
In der westargentinischen Stadt San Juan, wo der Mann sich in einem Krankenhaus von seiner starken Unterernährung und Dehydrierung erholt, ordnete der zuständige Richter am Dienstag seine vorläufige Verhaftung an, nachdem ein Auslieferungsantrag aus Chile eingegangen war, wie die Nachrichtenagentur DyN berichtete. Auch in Uruguay bestätigte Interpol der Nachrichtenagentur dpa, dass in Montevideo ein internationaler Haftbefehl gegen den Anden-Wanderer vorliege.
Vermisst seit 11. Mai, Fahndung seit 17. Juli
Der Mann war am 11. Mai von der chilenischen Ortschaft Petorca aus gestartet. Er hatte seiner Familie mitgeteilt, er werde wegen einer Panne seines Motorrads zu Fuß die Anden überqueren und bat, ihn als vermisst zu melden, falls er eine Woche später nicht auf der argentinischen Seite ankomme. Die polizeiliche Anzeige der Familie wurde erst Ende Juni in Argentinien empfangen. Eine Suchaktion blieb damals erfolglos.
In Chile wurde indessen am 17. Juli eine Fahndung eingeleitet, als der Mann nicht zu einem Termin vor Gericht erschien. Er war am 22. April wegen eines mutmaßlichen Sexualverbrechens gegen das Kind einer Schwägerin in dem Hauptstadtvorort Cerro Navia angezeigt worden, wie der Rundfunksender Cooperativa berichtete. Die Frau und die Tochter des Mannes, die aus Uruguay nach San Juan gereist sind, erklärten demnach, Verwandte in Chile versuchten sie zu erpressen.
Der Mann wurde am Sonntag auf rund 3000 Meter zufällig von der Besatzung eines argentinischen Hubschraubers in der Berghütte Ingeniero Sardina in der Provinz San Juan gefunden. Die Maschine der lokalen Wasserwerke war wegen des Wetters von der vorgesehenen Route abgewichen. Einem der Piloten, der selbst einmal fünfzehn Tage in den Anden verloren war, fiel auf, dass die Türen der Berghütte offen standen und bestand auf einer Landung. "Er saß auf dem Boden, wach, aber sehr schwach", erklärte ein Teilnehmer der Bergung der Zeitung "Clarin". Der Mann habe zum Hubschrauber getragen werden müssen.
Der Uruguayer hatte 20 Kilo abgenommen und viel Flüssigkeit verloren und war wegen der Höhensonne leicht sehbehindert, befand sich aber sonst in allgemein gutem Gesundheitszustand, erklärten die Ärzte. Das Eis- und Schneewasser im Hochgebirge ist sehr mineralarm und wird deshalb vom Körper kaum gehalten.
Orientierung wegen Schneefall verloren
Der Wanderer, der in seiner Heimatstadt Bella Union als Installateur arbeitete, hatte die Anden westwärts nach Chile auf seinem Motorrad gekreuzt. Dort hatte er Verwandte seiner Frau besucht, erklärte seine Mutter nach Angaben der argentinischen Nachrichtenagentur DyN. Bei seiner Flucht zu Fuß verfolgte er einen Weg, der im Sommer auf bis zu 4500 Meter Höhe für Anden-Kreuzungen zu Pferd benutzt wird. Der starke Schneefall verdeckte aber den Pfad, weshalb sich der Mann nordwärts verirrte. Die Bergpässe der Anden werden während der Wintersaison ab 30. April geschlossen.
Er überlebte nach eigenen Angaben dank der knappen Lebensmittel, die in den im Winter verlassenen Berghütten der Bergsteiger hinterlassen werden. Auch jagte er Bergmäuse und eine Eule und verzehrte das wenige Gras, das er auf dem Weg fand. In Ingeniero Sardina gab er dann die Wanderung auf und wartete auf das Wunder, das sich am Sonntag ereignete.
Im südlichen Winter 1972 hatten 16 Uruguayer 72 Tage in den Anden nach dem Absturz ihres Flugzeugs überlebt. Um dem Hungertod zu entgehen, hatten sie Fleischstücke ihrer 29 umgekommenen Reisegefährten verzehren müssen. Der Fall des "Andenwunders" wurde später verfilmt.
(APA/dpa)